Seite:Die Gartenlaube (1897) 710.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Richtig, das stimmt,“ gab er zu. „Besonders zu Anfang hast du dich recht wenig beherrscht. Frauen sind ja darin unglaublich.“

Er erwartete ihre Verteidigung, es kam aber keine. Mit unbeweglichem Gesicht sah sie an ihm vorbei.

„Jetzt ist dir aber doch wohl besser?“

Sie nickte; ein heftiger Hustenanfall strafte sie jedoch in dem selben Augenblick Lügen.

„Na, na!“ wehrte er, horchte aber dann doch auf die rauhen, harschen Töne aus der offenbar schon wunden Kehle.

„Das ist ja recht nett. Weiß der Teufel, wo du dir das wieder geholt haben magst.“

Sie antwortete nicht; schweratmend, mit schmerzlich verzogenem Gesicht lehnte sie in ihrem Sessel.

Sie dauerte ihn aber doch, gar zu jämmerlich sah sie aus.

„Thut der Hals dir weh?“ fragte er mitleidig.

Sie nickte wieder, diesmal glaubwürdiger als zuvor.

„Hm,“ machte er „Armes kleines Tier. Er trat näher auf sie zu, anstatt sich zu Tisch zu setzen. „Was thut man da? August kann ja meinetwegen an Meinhardt telefonieren, er soll kommen und dir was verschreiben.“

„Nicht nötig“, wehrte Hanna ab, der Spottreden eingedenk, die ihr ihre „Pimpelei“ schon eingetragen hatte.

„Quatsche nicht, mein Kind. Du hustest ja wie ein alter Gaul. Denkst du, ich wollte mir noch mal eine Nacht um die Ohren schlagen? Aber nicht allein deshalb, wie deine elegischen Mundwinkel eben andeuten, sondern auch, weil du mir wirklich leid thust, weil es mir wirklich nötig erscheint. Siehst ja förmlich angegriffen aus. Na, komm’ her, ich werd’ dir einstweilen zum Trost einen Kuß geben.“

Sie hatte nicht zu ihm aufgesehen während er sprach, sonst wäre sie jetzt nicht so erschrocken über diesen Schluß seiner Anrede. War denn das möglich? Nach dem, was gestern zwischen ihnen geschehen war? Sie streckte abwehrend die Hand gegen ihn aus und lehnte sich weit zurück.

„Na? Was soll das? Halt’ den Schnabel her. Ach du heulst – i bewahre, ich bin nicht bange vor Ansteckung.“

„Laß mich,“ sagte sie mit ihrer heisern, in diesem Augenblick fast erloschenen Stimme. „Du sollst mich nicht mehr küssen. Du sollst mich nicht mehr anrühren.“

„Gotts Donner, was fällt dir ein?“

Sie sah ihn starr an. „Ich begreife dich nicht,“ erwiderte sie dann. Nach dem von gestern – Aber ich lerne von dir. Das von gestern vergesse ich niemals, verlaß dich darauf. Und darum – geh’ weg da von mir!“

„Du bist wohl toll?“ fuhr er auf.

„Noch nicht, Aber daß mein Kopf sehr gesund bleiben wird bei diesem Leben mit dir – das bezweifle ich.“

„Du bist nicht bei Trost,“ knurrte er ingrimmig, verbissen, nicht so heftig wie zuvor. Etwas in ihren Augen warnte ihn, war ihm unheimlich.

„Nein ich bin nicht bei Trost“, hauchte sie, kaum vernehmlich, „ganz und gar ohne Trost bin ich.“ Ein neuer Hustensturm nahm, was sie noch hätte sagen können, mit sich hinweg.

Ludwig ging im Zimmer auf und ab. Ihm war etwas schwül zu Mute. Sogar nach Reue. Ein sehr ungewohntes, sehr unbequemes Gefühl. Hatte ihn die Wut gestern doch zu weit geführt? Hatte er es doch zu grob gemacht? Daß der Satan aber auch gerade den Menschen daherführen mußte. Der unerwartete Anblick hatte ihm die Fassung vollständig geraubt. Und dann Hannas Gesicht bei der Begegnung –

Er trat rasch auf sie zu, die wieder still dasaß, den Kopf auf die Hand gestützt.

„Schwöre mir,“ sagte er dumpf, „daß zwischen euch nichts ist!“

Sie antwortete nicht gleich. Vor dem Blick, mit dem sie ihn ansah, zitterten ihm aber die Augenlider. Sie schüttelte dann den Kopf.

„Ich schwöre dir nichts. Seit ich dir am Altar Treue gelobt habe, schwöre ich dir nichts mehr. Für mich ist es nicht nötig. Für dich wäre ja alles, was ich noch sagen könnte, nutzlos.“

„Meinst du? Als ob ich dich nicht durchschaute. Du weichst mir nur aus. Du liebst ihn. Sage mir daß du ihn nicht liebst, so will ich dir auch alles andere glauben.“

„Ich antworte dir auf keine solche Frage mehr,“ erwiderte sie zitternd, mit einem angstlos ins Leere flüchtenden Blick. Was hätte sie darum gegeben, jetzt kaltblütig ober zornig Nein sagen zu können, nein, ich liebe ihn nicht. Vielleicht, wenn sie dazu imstande gewesen wäre, hätte sie seinen Argwohn noch verscheucht. Aber auch nur vielleicht. Kaum vielleicht. Ihr Schreck über den Angriff gestern, aus dem Hinterhalt, ihr entsetztes Schweigen hatten sie in seine Hand gegeben. Und sie hatte in demselben Augenblick gewußt, daß sie sich niemals von dieser Niederlage erholen werde, daß dieses Zugeständnis die Schlinge geworden sei, die, ihr über den Kopf geworfen, sie halten und schnüren werde, lebenslang. Das arme Körnchen Wahrheit in dem wüsten Knäuel schnöder Anklagen, ihre uneingestandene, sorgsam verhüllte, kummervolle Liebe zu Arnold sank schwer wie Blei in die Tiefe ihrer erschütterten Seele hinab, erdrückte den Mut zur Gegenwehr, erblickte die helle Flamme der Entrüstung über erlittenes Unrecht.

Sie fühlte den glühenden Blick seiner Augen, ohne ihn zu sehen; sie wand sich darunter wie in körperlicher Qual.

„Siehst du wohl, siehst du wohl,“ sagte er schneidend, nur mühsam beherrscht. Er ließ sich schwer in seinen Sessel fallen, ihr gegenüber am Tisch, und umklammerte mit beiden Händen die Seitenlehnen.

„Warum hast du mir das gethan, du –“ schrie er sie an, jetzt fast so heiser wie sie. „Warum hast du mich genommen, wenn du doch den andern liebtest!“

„Für die Mutter,“ schluchzte sie auf; sie drückte die Hände ins Gesicht und weinte bitterlich.

„Ah!“ sagte er erstaunt, als überraschte ihn diese Auskunft sehr. Mit einem rauhen, kurzen Auflachen fügte er dann hinzu; „Na, dann bist du aber – –“ er brach wieder ab. – Eklig reingefallen, hatte er sagen wollen. Ein dumpfes Gefühl warnte ihn vor dem Aussprechen dieser Rohheit. Die alte Frau war ja tot. Er wußte im Augenblick wieder nicht, ob leider oder gottlob! Seine Eifersucht hieb besinnungslos um sich, wußte kaum mehr, wen und was sie traf.

„Nur deshalb?“ fragte er nach einer Pause. „Für dich selber lag dir nichts dran? An meinem Gelde, meine ich. Aus dem hast du dir keinen Pfifferling gemacht, nein?“

Sie weinte heftiger, ohne zu antworten. Das Schluchzen reizte aber den wunden Hals, sie hustete zum Erbarmen, minutenlang.

„Trink’ doch was Heißes,“ sagte er ungeduldig, aber wider Willen mitleidig gestimmt. Er drehte selbst den Hahn an der Kaffeemaschine auf, unter dem schon eine Tasse bereit stand, that Zucker und Sahne dazu und schob ihr die volle Tasse hin.

„Vorwärts, trink’!“

Sie gehorchte, wenn auch ohne viel Erfolg; sie zwang auch das Weinen nieder.

„Entschuldige,“ murmelte sie abgebrochen „du hast ja noch gar nichts.“ Eifrig sorgte sie für ihn, von Hustenstößen unterbrochen, erschüttert. Nach einem finstern Blick in ihr verweintes, von diesen allerhand Leiden verstörtes, entstelltes Gesicht schwieg er jetzt still. Gewohntermaßen nahm nun auch das Frühstück seine Aufmerksamkeit in Anspruch, lenkte sie wohlthätig ab. Zum Glück befriedigte es ihn. Die kleinen Pastetchen, auf ihrer verdeckten Nickelplatte durch ein Spiritusflämmchen heiß erhalten, „befanden sich durchaus auf der Höhe“. Bisher war noch keine Gemütsbewegung imstande gewesen, Ludwigs gesunden Appetit zu beeinträchtigen. Wieder ein Vorteil, den er vor seiner Frau voraus hatte. Er redete ihr übrigens heute nicht zu, etwas zu genießen. Schweigend ließ er sie gewähren, bis nachdem sie ihn bedient hatte, nun wieder starr vor sich hinbrütete zuweilen von einem heftigen Frösteln erschüttert. Auch ohne wörtliche Bestätigung wußte er, daß ihm da eine Besiegte gegenübersaß, die von seiner Gnade abhing. Mit einem dumpfen Gefühl der Befriedigung machte sich nun aber ein anderes, ein suchendes, tastendes, ein unruhvolles Nachdenken, wie er zunächst über all diese Greulichkeiten zur Tagesordnung übergehen könne, ohne sich etwas zu vergeben. Daß sie so still und stumm dasaß, sich nicht rührte, sich nicht verteidigte, war für den Augenblick gut, aber nicht für alle Tage. Sie sollte wieder lebendig werden, sie sollte ihn lieben lernen! Teufel auch! Dieses Zurückweichen, dieses

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_710.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)