Seite:Die Gartenlaube (1897) 714.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Jagdleben im Herbste.[1]
Von Ludwig Ganghofer.

Ein Herbsttag im sterbenden Wald! Da liegt es wie zitternder Feuerschein über allen Wipfeln in der Luft, über das falbe Grün des moosigen Grundes webt die Sonne eine wundersame Mosaik von goldigen Lichtern und zuckenden Schatten; wo sie ihren Weg durch das gelbe und rote Laub der welkenden Buchen und Ahornbäume nimmt, scheinen alle Zweige in hellem Brand zu stehen, und wenn von den Bäumen, durch die ein seufzendes Rauschen gleich dem schweren Atmen eines Sterbenden geht, zuweilen ein welkes Blatt gemächlich zur Erde niederflattert, so ist das anzusehen, als hätte sich von den brennenden Zweigen ein Flämmlein losgelöst, um auf den seidendünnen Fäden zu tanzen, welche blitzend und gleißend durch den ganzen Wald gesponnen sind. Die kleinen Vögel huschen mit erregtem Gezwitscher durch die Wipfel, als galt’ es ein hastiges Abschiednehmen oder ein Sammeln für die kommende Zeit der Not, Käfer schwirren auf und surren wieder hinab in das Versteck der gefallenen Blätter, und zahllose Ameisen, krabbeln in emsiger Eile über alle Stöcke und Steine, als wüßten sie, daß sie den schönen Tag mit doppeltem Fleiß zu nützen haben, da schon der nächste Morgen den Winter bringen kann.

Und sinkt nach solchem Tag die Sonne – welch’ wundersamen Zauber bringt dann der Abend mit der bunten Dämmerung, mit der sanft verschwimmenden Glut all dieser Farben, mit der lautlosen Schlummerstille des todmüden Waldes! Und steht der neue Tag wieder auf, so sind alle Farben noch mehr gebrochen, noch milder getönt, und über allen Zweigen und Gräsern schimmert mit Perlenglanz der weiße Reif, der in der kalten Nacht gefallen.

Der Wald kann nie schöner sein als in solcher Zeit! Oder urteilt nur so der Jäger in mir – weil der sterbende Wald auch dem Weidmann gesteigerte Freuden bietet, weil die Zeit des Herbstes die lärmende, lustige Hochsaison des Weidwerks ist?

Wie im Frühlinge das Jägerjahr eröffnet wird durch die von jedem Weidmann heiß ersehnte Heimkehr der Schnepfe, so eröffnet die Südlandsreise des Langschnabels und seiner jungen Brut das fröhliche Jagdgetriebe des Herbstes. Die Freude, die ein Jäger an der Buschierjagd auf Schnepfen findet, ist eine Probe für seine weidmännische Tüchtigkeit und Ausdauer. Vom Morgen bis zum Abend durch wirr verwachsene Gräben auf und nieder zu klettern, sich unermüdlich durch Dorngestrüpp und stachliche Brombeerstauden zu winden, den gutgeschulten Hund mit erfahrenem Geschick zu führen und bei all dieser Mühe immer bereit sein für den schwierigen Schuß – das ist nicht die Sache des Sonntagsjägers, der von der Buschierjagd auf Schnepfen zu reden pflegt wie das Füchslein von den sauren Trauben. Schon auf dem Abendanstand verlangt der Schuß auf die hastig und lautlos ziehende Herbstschnepfe einen geübten Schützen. Aber ein firmer Meister in der Handhabung seiner Waffe muß der Jäger sein, der gute Schußerfolge beim Buschieren erzielen will, mitten in zäher Dickung, deren Gezweig den Ausblick verschleiert und jede Bewegung stört. Wohl kündet die von der feinen Nase des Hundes aufgestöberte Schnepfe ihre Flucht durch lautes „Wuchteln“ an, aber klug jede Deckung benutzend, huscht sie mit flinkem Zickzack und niedrigen Fluges davon. Da gilt es, schnell wie der Blitz das Feuer zu werfen. Ein Augenblick in ratlosem Zögern – und wo ist die Schnepfe? Verschwunden auf Nimmerwiedersehen!

Die Schwierigkeit solch eines Schusses macht auch das Erlegen einer Schnepfe zu einer Pikanterie der herbstlichen Treibjagden. Wenn da im Bogen das „Tiro, tiro!“ der Treiber erschallt, zuckt auf den Ständen heiße Erregung durch alle Jägerherzen, jede Hand schließt sich energisch und die Flinte, und aller Augen suchen in den Lüften. Holt einer den Langschnabel glücklich herunter, so fühlt er sich den ganzen Tag als Heros der gesamten Jagdgesellschaft – fehlt er aber die Schnepfe, so möchte er vor all den schadenfrohen Blicken, die ihn von der Seite messen, in seines Nichts durchbohrendem Gefühl am liebsten in den Waldboden versinken.

Eine ähnliche Rolle – himmelhoch jauchzend oder zum Tode betrübt – spielt der Jäger, der auf der Treibjagd einen Fuchs zur Strecke brachte oder den roten Schleicher „ungekränkt“ passieren ließ. Das letztere ist nun allerdings ein weidmännisches Kapitalverbrechen, das die Verachtung, mit der es bestraft wird, vollauf verdient. Deshalb wird der Verbrecher auch immer zum verstockten Leugner. Ein Fuchs wird im Treiben nie gefehlt – er ist immer „angeschossen“, und darauf schwört der verdächtige Schütze die heiligsten Eide. „Ganz unbegreiflich, daß er nicht liegen blieb! Er roulierte im Feuer wie ein Hase! Aber na, seinen Treff hat er, die Bestie muß eingehen!“ Das ist so das Schema für die übliche Ausrede. Und es ist wie ein Schicksal, der Fuchs, der schon beim ersten Laut der Treiber rege wird und pfeilschnell das Weite sucht oder sich vorsichtig drückt bis zum letzten Augenblick vor dem Schluß des Treibens, weiß im Bogen mit Sicherheit immer jenen Stand zu finden, auf dem ein grüner Neuling im Weidwerk just mit der Cognakflasche oder mit seinem knurrenden Hund beschäftigt ist.

Um bei den herbstlichen Treibjagden das pikante Kleeblatt voll zu machen, gesellt sich zu Fuchs und Schnepfe noch der Rehbock, der sein Gehörn schon abgeworfen hat. An seiner Stelle muß gar häufig eine arme, brave „Mutter“ ihr Leben lassen, die nach „Sprung und Gestalt“ von einem unglückseligen Schützen als Bock „angesprochen“ wurde. Gegen solche „Versehen“ hilft leider kein Jagdgesetz und kein Pönale – dagegen hilft einzig und allein nur die echt weidmännische Bestimmung, daß beim Treiben auf den Rehbock, der sein Gehörn schon abgeworfen hat, nicht mehr geschossen wird.

Ein Treiben in gut besetztem Revier bietet ja, auch wenn der Rehbock geschont wird, noch jagdliche Freuden in Hülle und Fülle. Ein Häslein um das andere huscht mit flinkem Lauf über die Schneuse – hole die Ausreißer ein mit noch flinkerem Feuer! Ein Kaninchen saust vorüber wie eine graue Pelzkugel, die ins Fliegen kam – und da gilt's einen blitzschnellen Schuß oder die Schrote kommen zu kurz. Ein „Bouquet“ Fasanen rauscht aus dem Dickicht auf und flattert nach allen Seiten auseinander – doch bevor sie sich noch aufgeschwungen haben über die Wipfel, stürzen im Feuer zwei prächtige Hähne, umwirbelt von stäubenden Federn. Und ist dir die grüne Göttin besonders günstig, so führt sie einen schleichenden Marder zu deinem Stand, einen wackelnden Dachs oder einen verstrichenen Birkhahn. Stehst du aber gerade in Ungnade bei Hubertus, dann kannst du freilich auch im besten Revier vom Morgen bis zum Abend ein Treiben um das andere mit ablaufen, ohne eine einzige Patrone los zu werden. Aber laß dir durch solches „Pech“ das frohe Jägerherz nicht betrüben!

Der Stolz, eine stattliche Strecke erzielt zu haben, ist ja nicht die einzige Freude, die das fröhliche Leben einer Treibjagd bietet. Welche Erquickung ist nach den dumpfen Stubentagen der Stadt dieses Wandern im herbstlich schönen Wald, das Atmen in seiner frischen, gesunden, alle Glieder stählenden Luft! Dazu noch all der reiche Humor des ganzen Tages, vom ersten, lachenden Weidmannsgruß beim Stelldichein bis zum lustigen, mit fliegenden Scherzen gewürzten Jägermahl, das mitten im Walde gehalten wird, zwischen den letzten Blättern des Herbstes und dem ersten Schnee des Winters! Und welche Summe von Genuß bietet dem rechten Jäger für sich allein schon die Teilnahme an einer Waldjagd, die mit tüchtigem Personal und gut geschulten Treibern in streng weidmännischer Weise geführt wird und in musterhafter Ordnung wie am Schnürchen verläuft! Kehrst du heim von solcher Jagd, dann drücke zum Abschied dem Jagdherrn, der dich als einen der Auserlesenen gerufen, mit festem Jägerdanke die Hand! „Auf Wiedersehen im nächsten Jahr!“ Wirst du aber in ein Revier geladen, aus dem du von der letzten Treibjagd nach Hause kamst, beinahe taub vom Mark und Bein durchdringenden Geschrei der Treiber, mit einem halb Dutzend Schroten in den Ledergamaschen, die dein Nachbarschütze für

  1. Wir entnehmen den stimmungsvollen Artikel dem neuesten Werke unseres hochgeschätzten Mitarbeiters, das unter dem Titel „Das deutsche Jägerbuch" demnächst im Verlage der „Union Deutsche Verlagsgesellschaft" in Stuttgart erscheinen wird. Geschmückt mit 158 Illustrationen nach Originalzeichnungen von C. W. Allers und 12 Monatsbildern in farbigem Kunstdruck nach Originalen von H. Engl, wird dieses Prachtwerk bei allen Freunden der Jagd und des deutschen Waldes mit seinem reichen Tierleben sicher die freudigste Aufnahme finden.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_714.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)