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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Die Dobschauer Eishöhle.

Mit Illustrationen von R. Mahn.

In dem Komitate Gömör in Ungarn liegt die alte Bergstadt Dobschau. Schon seit alten Zeiten wurde in jener Gegend Eisen geschmiedet, zu Anfang des 14. Jahrhunderts kamen deutsche Kolonisten in das Land und ihnen

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Der „große Saal“.
Der „Baumstamm.“

verdankten die Eisenwerke einen bedeutenden Aufschwung und die Stadt Dobschau ihre Blüte. Wie oft sie auch im Laufe der Zeiten von Feuersbrünsten zerstört und von den Türken heimgesucht wurde. Immer gelang es den strebsamen Einwohnern, die Spuren der Not zu verwischen.

Dobschau erfreut sich heute auch bei Touristen und Naturfreunden eines guten Rufes, denn seine Umgebung ist reich an Naturschönheiten. In der Nähe von Dobschau zieht sich die 5 km lange Strazener Schlucht hin, die, von der forellenreichen Göllnitz durchströmt, durch schroffe Felsen und prachtvolle Tannenwälder das Auge des Wanderers entzückt. Hier hat die Natur eine wildromantische Landschaft geschaffen, aber auch für anmutige Abwechslung gesorgt, wo das Thal sich erweitert, dehnen sich stille idyllische Wiesenplätze aus. Im Frühling und im Sommer prangt hier die Erde in einem herrlichen und eigenartigen Blumenkleid, denn im Gollnitzer Thal berühren sich das baltische und das polnische Florengebiet. Ihr schönstes Kleinod birgt aber die Schlucht im Bergesschoß. Es besteht in einer der eigenartigsten Höhlen Europas: In der Dobschauer Eishöhle; sie weist ähnliche Gebilde auf wie die mit Stalagmiten und Stalaktiten geschmückten Tropfsteinhöhlen, aber die Altäre und Kanzeln, die Dome und Nischen, die im Scheine des elektrischen Lichtes so wunderbar erglänzen, sind in ihr aus starrem Eis gebildet,

das auch im heißesten Sommer nicht dahinschmilzt. Am 15. Juli 1870 wurde diese Höhle entdeckt und lockte bald Besucher herbei. Die Dobschauer Stadtgemeinde hat dafür gesorgt, daß dieses Naturwunder durch Anlage von Treppen und Stegen leicht zugängig gemacht wurde, und seit dem Jahre 1886 wird die unterirdische Zauberwelt elektrisch beleuchtet. Eine Viertelstunde vom Eingang zu der Höhle, im oberen westlichen Ende der Schlucht, wurde für den Touristenverkehr ein Gasthaus errichtet, das allen modernen Ansprüchen genügt. Ein guter Weg führt von hier die Nordlehne des Ducsaberges hinauf, er windet sich durch einen reizenden Park, und von den Lichtungen genießt man eine prachtvolle Fernsicht, deren Hintergrund der Königsberg und die Hohe Tatra bilden.

In einer Höhe von 969 m über dem Meeresspiegel liegt in einem Kessel der Eingang zu der Höhle. Ursprünglich nur ein schmales Loch, wurde derselbe erweitert, so daß ein etwa 2 m hoher nach rechts und links spitz abschließender Spalt gewonnen wurde. Ueber ihm befindet sich auf gußeiserner Platte die Inschrift, die in deutscher Uebersetzung also lautet: „Den Entdeckern dieser Eishöhle, Eugen Russinyi, Andreas Mega und Gustav Lang, Zur Anerkennung die Stadtgemeinde.“

Ueber Treppen abwärts steigend, gelangt man zunächst in einen niedrigen Gang und durch diesen in einen ungefähr 10 m hohen, 120 m langen und 35 bis 60 m breiten Raum, den sogenannten „Großen Saal“. Spiegelglattes Eis bedeckt den Boden. Vom Gewölbe herab hängen Felszacken im wirren Durcheinander, da und dort sieht man Eiszapfen von wunderbarster Gestalt, geziert mit grotesken Eiskristallen, die in verschiedenen Farben die Lichtstrahlen der Bogenlampen zurückwerfen – ein zauberhaft schöner Anblick!

Wie in den Tropfsteinhöhlen die Stalaktiten von oben herab und Stalagmiten von unten empor den Boden mit der Decke verbinden und sich zu den wunderlichsten Formen vereinigen, so hat auch in der Dobschauer Höhle die Natur Eissäulen von etwa 12 m Höhe und über 2 m Durchmesser geschaffen. Unsere Abbildung zeigt uns zwei solche Eissäulen. Die große wird der „Brunnen“, die kleinere der „Altar“ genannt.

Neben dem „Großen Saal“ liegen, durch eine Felswand getrennt, der „Kleine Saal“, in dessen Mitte zwei pyramidal zulaufende Eisstücke, die „Grabsteine“ und der „Baumstamm“, eine Eissäule von 7,5 m Höhe und 2,5 m Durchmesser sich erheben. Eine Wasserader, die in der Höhle rann und im Eise verschwand, veranlaßte den Ingenieur Russinyi, einen Tunnel nach abwärts brechen zu lassen. So wurde eine weitere tiefer liegende Höhle entdeckt. Sie ist nicht minder herrlich als die beiden Salons; nur herrscht bei ihr die gangartige Gestaltung vor, daher sie auch der „Korridor“ genannt wird. Er zieht sich in einer Länge von 200 m halbkreisförmig unter dem „Großen Saal“ hin, auf der linken Seite durch graue Felswände, auf der rechten durch glitzerndes Eis abgeschlossen. Staunenerregend ist der Anblick dieser Eiswand, die bei 200 m Länge eine Höhe von 15 bis 20 m erreicht! In diese Eismasse, die zugleich den Eisboden der beiden Säle bildet, wurde in wagerechter Richtung ein 10 m langer Stollen getrieben, der einen Einblick in das Gefüge der Eisbildung gestattet. Am Ende des Stollens gelangt man in den blinkenden „Palast des Winterkönigs“ ein kapellenartiges Plätzchen. Auch die untere Höhle ist reich an merkwürdigen Eisbildungen. Besonders schön ist die 10 m hohe und 8 m breite „Laube“. Sie scheint aus Laub gewunden, die in einem Bogen sich aneinander reihen, aus Palmenblättern, feinen Grashalmen und wasserklaren Eisschichten von verschiedener Dicke geflochten zu sein, auch ihren inneren Raum zieren tausendfältige Eisblumen und Eiskristalle. Unser nebenstehendes Bild

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_717.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2019)