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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

seinem tiefen, sanften Ernst fragte er: „Sie haben auch die antiken Wandgemälde gesehn?“

„Alles, alles, alles. Bin sogar in die ägyptische Abteilung hinuntergeklettert, zu den Mumien und Isis und Anubis …“

Rutenberg blickte lächelnd auf seinen Schilcher, der so in sich versunken im Lehnstuhl saß und die Daumen übereinander rollte. Er trat etwas näher und dämpfte die Stimme: „Du! Schläfst du, Alter?“

„Nein,“ gab Schilcher zurück.

Rutenbergs leichtbeweglicher Kopf ging herum, er warf einen gedankenlosen Blick auch auf die alten Damen am Tisch. „Sehr merkwürdig,“ sagte er dann mit halber Stimme, „sehr merkwürdig sind die alten Mumien –“

„Um Gotteswillen!“ raunte der erschrockene Schilcher rasch. „Mensch, nimm dich in acht!“

„Warum?“ fragte Rutenberg erstaunt.

Mit dem Kopf auf die beiden Damen deutend flüsterte Schilcher: „Sie hören ja, was du sagst!“

Jetzt begriff Rutenberg und lachte. Er sagte leise, sehr vergnügt: „Ich sprach von den Mumien im Museum, Schilcher.“

„Ah so!“ Gertrud, die dieses kleine Zwiegespräch gehört hatte, ging leise lachend durchs Zimmer. Schilcher sah ihr nach. Zwischen Heiterkeit und Ernst murmelte er darauf: „In so ’ner Pension muß man vorsichtig sein.“

„Ja, das merk’ ich!“ sagte Rutenberg, der noch einen verstohlenen Blick auf die alten Damen warf. Seine Augen glänzten, als er dann flüsternd hinzusetzte: „Kuck, wie das Kind lacht!“

Der Amerikaner schob sein Fernglas zusammen und knüpfte an seinem Rock, er schickte sich offenbar an, den regelmäßigen frühen Rückzug in sein Schlafzimmer anzutreten. „Entschuldigen Sie,“ wandte er sich noch an Rutenberg. „Wie weit mag wohl der Vesuv in der Luftlinie von Sorrent entfernt sein?“

Rutenberg sann einen Augenblick. – „Ungefähr zwei deutsche Meilen, mein Herr.“

„Wieviel ist das in Kilometern?“

„Vierzehn bis fünfzehn.“

„Ich danke Ihnen. – Gute Nacht, mein Herr.“

Nach einer kopfnickenden leichten Verbeugung gegen ihn und die andern schritt er ehrenfest hinaus. Die Dominospieler hatten sich schon lautlos entfernt; die Engländerin nahm ihre Bücher vom Tisch. „Also morgen, gnädige Frau, wollen Sie nach Capri?“ fragte Rutenberg.

„Nein,“ erwiderte sie. „Erst übermorgen.“

„Da empfehl’ ich Ihnen als Schiffer und auch als Führer den Marinajo des Hotels, den Pasquale. Das ist ein Unikum, insofern er sogar leidlich deutsch spricht; er war mit einem reichen Deutschen jahrelang auf Reisen, und wie zu allem hat er auch zum Radebrechen Talent.“

Die Engländerin dankte freundlich. Sich zur Thür wendend lächelte sie ihrer jungen Sängerin zu: „Also morgen la bella Napoli, und die Rondinella!

Gertrud nickte: „Wenn kein Ohr uns hört!“

Die Dame hauchte noch ein Good Night und ging.

„Willst du noch essen, Vater?“ fragte das Mädchen.

„Nein, mein Kind. Ich aß unterwegs, in Castellamare. Die wunderbarsten Maccaroni meines Lebens.“

Er hielt inne, mit heimlich aufleuchtender Heiterkeit, da er nun auch die alten Damen aufbrechen sah. Glück über Glück! dachte er und nickte Schilcher schweigend zu. Gertrud, hinter Schilchers Stuhl, flüsterte auf ihn herunter: „Die beiden Parzen gehn fort.“

„Die Mumien,“ raunte Rutenberg.

„Die jüngsten Ausgrabungen,“ berichtigte Schilcher. Langsam rauschten die Damen, die nicht ahnten, wie interessant sie waren, auf den Korridor hinaus.

Rutenberg setzte sich vor Vergnügen, „Kinder,“ sagte er, „wir sind allein, das ist auch nicht übel! –“ Da öffnete sich aber schon wieder die Thür, ein vierter Mann trat ein. Es war diesmal keiner von den Gästen, sondern Pasquale, der Barkenführer, den Rutenberg soeben empfohlen, der die Drei schon manches Mal an den Ufern hin, zu den Felsgrotten, zur Punta della Campanella in seiner Barke spazieren geführt hatte. In der gelbbraunen Sammetjacke, den weichen schwarzen Hut in der gebräunten haarigen Hand, stand er wie ein ehrerbietiges Fragezeichen da, nickte dann aber seinem besonderen Freund, dem Schilcher, vertraulich lächelnd wie ein Amigo zu.

„Aha!“ sagte Schilcher. „Unser Marinajo, mein Pasquale. Treten Sie näher, Pasquale. wir sind unter uns. Was treiben Sie noch so spät im Hotel?“

Pasquale zuckte herzlich die Achseln, hob auch die braunen Hände ein wenig. In seinem gebrochenen Deutsch, das er, wo es not that, durch sein beredtes Gebärdenspiel ergänzte, fing er nach einer Art von Seufzer an: „Man will leben, Eccellenza. Wollte fragen, Eccellenza, was wir morgen machen. Eine kleine Spazierfahrt auf den Meer, zu die Thunfischer? Oder hinüber nach Capri?“

„Da werden wir morgen den Wettermacher fragen,“ gab Schilcher zur Antwort „Wenn gut Wetter ist –“

Pasquale streckte seine Hand wagerecht aus: „Morgen das Meer ist glatt wie meine Hand!“

„So! Wissen Sie das gewiß?“

Der Marinajo lächelte zuversichtlich: „Wenn Pasquale es sagt, dann können Sie vertrauen. Dann ist es gewiß!“

„Seeleute und Italiener,“ entgegnete Schilcher trocken, „haben immer den Herrgott in der Tasche. Amico mio, wir wollen doch lieber morgen den eigentlichen Wettermacher fragen. Schlafen Sie recht gut!“

Pasquales feines Ohr hörte in dem trockenen Ton die innere Gemütlichkeit, die Menschenfreundlichkeit, er verneigte sich und lächelte ein wenig. „Danke“, antwortete er. „lo stesso“, dasselbe. Also wie Eccellenza denkt. – Obwohl ich weiß, morgen Sie werden sagen: Pasquale ist ein braver Marinajo, hatte recht, der Pasquale –“

„Wenn ich das sagen werde, werd’ ich's morgen sagen. Heute nicht, Pasquale!“

„Wie Eccellenza denkt. – Meine Hochachtung vor den schönen Herrn und die schöne Dame!“

Er lächelte dem Vater und der Tochter zu, aber ohne Dreistigkeit, und während sie ihm Gute Nacht zuriefen, zog er sich mit vielem Anstand zurück.

„Hat dieser Sohn des Südens Verstand!“ sagte Rutenberg heiter, wegen des ’schönen’ Herrn. „Aber, im Ernst, wie kindlich pfiffig diese Kerle sind, diese Sorrentiner. – Meine Freunde, Neapel ist schön; Neapel ist sehr schön, aber es lebe Sorrent! Dieses friedliche, märchenhafte Gartenland auf dem Uferfelsen; diese vortreffliche Pension in der alten Villa; – Kinder, alles entzückt mich. Dieser gemütliche Salon mit dem Doppelblick – da schaut er aufs Meer, auf Neapel mit seinen Lichterreihen, auf den alten Vesuv hinauf, hier auf die Orangengärten und alles, was ewig grün ist. – Oder denkst du anders, Trudel? Hast du's hier satt, willst du wieder nach Neapel? Mir ist's recht. Mir kann nichts geschehen, hier bin ich glücklich, dort wär’ ich's. Sag du, was du willst!“

Das Mädchen blickte ihn flüchtig an. „Hier noch bleiben, Vater. Hier noch ’ne Weile so leben, wie bisher, auf die Berge klettern, italienische Lieder singen, am Ufer sitzen –“

„Und meerfahren,“ fiel Schilcher ein, „mit Pasquale, der uns gar so schön findet –“

„Dich hat er nicht schön gefunden, Onkel Schilcher,“ berichtigte Gertrud, indem sie ihm eine Hand auf den Kopf legte. – „Ich will mir eine Arbeit holen, ich komme wieder. – Hier noch bleiben! Hier!“

„Gut,“ rief Rutenberg. „So bleiben wir hier!“ Gertrud schwebte hinaus, der Vater folgte ihr mit den Augen, die noch immer lachten, als sie längst aus der Thür war. Endlich legte er sich beide Hände auf die Kniee und lächelte seinen Schilcher an. „Nun, was sagst du, Alter? Geht es gut, oder nicht? – Dein ‚Abreisen‘ war ein göttlicher Gedanke. Italien thut seine Schuldigkeit, schau dir das Mädchen an. Schau dir diesen Trotzkopf an, Schilcher, der sich damals aufs Sofa warf und beinahe erstickte: ‚Nein, ich will nicht fort! Nein, ich will nicht reisen! Ihr wollt mich nur von Arthur fortnehmen, aber von ihm laß‘ ich nicht, von ihm laß' ich nicht!‘ –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_720.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)