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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Vater!“ rief sie, wandte sich plötzlich zu ihm und warf sich ihm an die Brust. „Ach, Vater, Vater! Ich lieb dich ja so sehr! Bist so lieb, so gut! – Ach, wie schäm’ ich mich, daß ich vor dir, vor dir diese Heimlichkeit – –“

Er küßte sie auf den Kopf.

„Und du küßt mich noch,“ schluchzte sie. – „Ach, wie bin ich unglücklich. – Ach, vergieb, vergieb!“

„Arme, gute Gertrud,“ sagte Rutenberg, der sie liebevoll fest im Arm hielt, sie lag still wie ein Hühnchen, das sich an die Henne drückt. „Könnt’st du fühlen, wie hart es für so ’nen Vater ist, daß er seinem jungen Kind den Angebeteten nie so vor die Seele hinstellen kann, wie sein Aug’ ihn sieht daß er nicht auf eine, eine Stunde ihr sein Gefühl, seine Einsicht leihen kann, – Trudel, das ist hart! – Bist doch sonst so klug, und so wohlgeraten. Wirst diesem Arthur eines Tages weit, weit über den Kopf wachsen –“

Sie schüttelte ihren Kopf.

„Doch, Trudel, doch! – Und was für eine innige, tiefe, große Liebe das ist, da in deinem Herzen, das ahnt er ja nicht, das versteht er nicht! – Ja, starr’ mich nur an, als wär’ ich wohl nicht recht gescheit. Der hat dich gern, Trudel, wie du deine Puppe gern hattest. Sein Herz ist gegen deins, was eine gute warme Suppe gegen den glühenden Vesuv da ist; und es wird einmal eine kalte, stille Suppe werden – glaub’ mir, Kind, ich kenn’ ihn. Wenn er erst hat, was er wollte, dich hübsche kleine Person, und dein Geld dazu …“

Gertrud zog sich aus des Vaters Arm. Ihr jetzt totenblasses Gesicht starrte ihm immer fassungsloser in die Augen.

„Was sagst du da?“ stammelte sie. „Und mein Geld dazu?“

„Ja, denkst du denn, junge Männer wie der werben um so ’ne Erbtochter um des Herzens willen? Laß uns heut’ arm werden, Kind: morgen ist er fort! – Du zitterst ja. Was ist dir? Glaubst du, ich verleumd’ ihn? Glaubst du, es ist nicht so? Stell’ ihn mal auf die Probe, und du wirst’s erleben!“

Gertrud zuckte zusammen. Sie wollte etwas erwidern. die Lippen öffneten sich, es kam aber kein Wort heraus. Es ging nur ein langer, scheuer, qualvoller Blick aus ihren hellen Augen zum Vater hinüber, ihr schien vor ihm oder vor irgend etwas zu grauen. Sie schüttelte sich. Auf einmal wandte sie sich ab, doch nicht rasch, eher wie eine mechanische Figur, die sich langsam dreht, und ging stumm in ihr Zimmer hinter ihr schloß sich die Thür.

Rutenberg sah ihr etwas verlegen nach. Er blickte auf ihre Thür wie auf einen Vorhang, hinter dem gespielt werden soll – man weiß noch nicht, was? – Fort! dachte er ohne einen Laut! – Hab’ ich das nun klug gemacht oder unklug? – So tappen wir durch diese siebzehnjährigen Labyrinthe … Ach du lieber Gott!

Vom Korridor kam Schilcher zurück, mit seinem unergründlich stillen Gesicht. „Na?“ sagte Rutenberg beklommen. „Bist du wieder da?“

„Wollte nur unserm Hirsch auf den Wechsel passen“, gab Schilcher zur Antwort, eine Hand mit der andern reibend. „Hab’ mich in den kleinen Garten neben dem Speisesaal begeben und durch die Glasthür hineingesehn. Ein Stückchen Brot hat der Herr gegessen kam sicher pumpsatt hier an! – Aber mit dem Marinajo, mit unserm Pasquale, hat er verhandelt, der noch unten war. Die Thür war halb offen, so viel hab’ ich von der Unterhaltung verstanden, daß das Süßholz heut’ abend zu Wasser nach seinem Vico zurück will. Fragte aber zweimal, das Herrchen, mit einem Nachdruck und einer Unruhe wie ’ne junge Damen ob das Meer auch still wär'? Er scheint also eine unbändige Furcht vor dem Wasser zu haben –“

„Das ist ja komisch!“ warf Rutenberg ein.

„Na ja, komisch ist es. Aber sag’ mir nur eins: warum will er dann doch auf diesem Wasser zurück, statt auf dem festen Land? Ich finde das auffallend, Rutenberg….“

„Mag sein! Ja, ja!“ – Rutenberg sprach das gleichgültig hin, als dächt’ er an anderes.

„Mein Pasquale versicherte auf Tod und Leben, das Meer sei ungefähr wie ein Spiegel oder wie seine flache Hand. – Da kommt der kühne Seefahrer!“

Schilcher hatte recht. Der leichte Geschwindschritt kam den Korridor entlang, Arthur trat wieder ein. Er schüttelte die braunen Löckchen auf seiner niedrigen Stirn und tändelte mit den Lippen, wie wenn er sich nach einem wiederherstellenden Mahl recht behaglich fühlte.

„Man ist doch ein anderer Mensch,“ sagte er heiter, „wenn man gegessen hat. Da bin ich denn also wieder, mit Ihrer gütigen Erlaubnis.“

„Bitte! Sehr wohl!“ erwiderte Rutenberg verbindlich, ‚Lügenlügner!' dachte er. Der schöne Bariton Arthurs war offenbar durch Gertruds Thür gedrungen, nach wenigen Augenblicken öffnete das Kind und schob sich langsam herein. Sie grüßte den Jüngling noch förmlicher und befangener als vorhin; nach einer Weile flog dann aber ein schräger Blick auf ihn, der offenbar an ihm herumforschte. Die Männer begannen sich zu unterhalten, sie hörte zu, hörte wohl auch nichts. Sie ging zur Thür, die auf den großen Balkon führte, und schien durch das Fenster nach den Lichterzeilen von Neapel hinüberzusehn. Plötzlich wandte sie sich und schaute auf Arthur zurück.

Wie sie blickt! dachte Rutenberg. Sie denkt an ihm herum, meine Rede hat doch gewirkt. Wenn ich jetzt das Kind mit ihm sprechen ließe! – Er gab Schilcher, der alles verstand, einen Wink und sagte dann so gemütlich, wie er’s über die Lippen brachte: „Nun müssen Sie uns aber entschuldigen, Herr von Wyttenbach, wir haben da nebenan im Rauchzimmer eine Schachpartie stehen lassen, Herr Oberappellationsrat Schilcher erzürnt sich mit mir, wenn wir die nicht ausspielen. Es dauert nicht mehr lange, ich krieg’ ihn; Sie nehmen so lange mit dem Kind vorlieb!“

„O, ich bitte sehr!“ erwiderte Arthur, der seine freudige Ueberraschung im ersten Augenblick nicht unterdrücken konnte, dann faßte er sich aber geschwind. „Wenn ich irgendwie störe, so geh’ ich …“

„Sie stören ja nicht,“ sagte Rutenberg schlicht. Der thürenreiche Salon hatte noch eine, kleiner als die andern, auf der „Fumoir“ gemalt stand, sie führte in ein Zimmerchen, das Schilcher den Käfig nannte. Dort spielten sie täglich eine oder zwei Partien Schach, wenn auch Schach „kein Whist“ war. Die beiden Männer gingen in das Fumoir hinein, der kleine voran, Arthur sah mit inwendig lachendem Entzücken, daß die Thür sich dann schloß. Er sah nur noch Gertrud und sich … Gertrud stand noch bei der Balkonthür. Er ging auf seinen leichten Füßen zu ihr.

„Meine teure Gertrud!“ sagte er, die Stimme so viel dämpfend, als gut war. „Hier in Sorrent, ich mit dir allein!“

Er ergriff ihre niederhängende Hand, die bewegte sich aber, als wollte sie sich ihm entziehen. Mit leiser, doch sichtbarer Scheu, die er nur auf ihren flatternden Blick nach dem Rauchzimmer bezog, hauchte sie so hin:

„Bitte, lassen Sie jetzt meine Hand. – Sagen Sie jetzt nicht du. – – Ja, ja! Welches Glück!“

Arthur lächelte, mit sich zufrieden „Es war ein kluger, feiner Einfall von mir, nicht wahr, daß ich mein Hauptquartier nicht hier, sondern in Vico aufschlug! Von da erreich’ ich Sie leicht, und es ist doch weniger auffällig. Hab’ ich das gut gemacht?“

Sie nickte, sah ihn aber immer ernsthaft an. Er betrachtete sie auch, und auch heimlich forschend, er hätte ihr gern vom Gesicht gelesen, ob sie jetzt in der Stimmung sei, auf seinen kühnen Plan romantisch, schwärmerisch einzugehn … Ich versuch’s! dachte er. Mehr als Nein sagen kann sie nicht! – „Hm!“ seufzte er dann, indem seine rosigen Lippen sich recht rührend spitzten. „Heute nacht muß ich nun freilich wieder in meine Einsamkeit, in meine Verbannung zurück! – Ich fahr’ in einer Barke heim, meine holde Gertrud, mit zwei Ruderern. In der stillen Nacht. Auch das Meer ist still. Später kommt der Mond. – Er hielt sich geschickt zwischen Scherz und Ernst, während er langsamer fortfuhr: „Wollen Sie mit, meine süße Gertrud? Dann – sagen Sie – dann hätten wir all dieser Not bald ein Ende gemacht! Dann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_734.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)