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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

mußte vor Aufregung heftig schlucken, eh’ sie weitersprechen konnte. „Nie hast du mir so weh gethan, wie in dieser Stunde! Nie, nie werd’ ich mehr glauben was du von ihm sagst. Nie, nie, nie werd’ ich an ihm zweifeln – oder ihn verlassen … Ihre Stimme bebte. „Das wollte ich dir nur noch sagen, Vater!“

„Das wolltest du mir noch sagen,“ wiederholte Rutenberg, dessen Empörung nun auch unaufhaltsam wuchs. „Ich danke dir …“

Plötzlich aufbrausend trat er einen Schritt auf sie zu: „Jetzt hab’ ich genug! – Dieses Kind, dieses Geschöpf spricht so zu seinem Vater – weil es offenbar in seiner siebzehnjährigen Dummheit – – Schilcher auch verarmt! Gott im hohen Himmel, was für ein Unsinn das ist! – Und weil dieser junge Herr dafür doch zu klug war – und den Hochherzigen spielte – und das Mädel blind und vernarrt und toll ist – darum wirft es mir jetzt trotzig wie ein Kind sein ,Nie, nie, nie’ ins Gesicht! – Nie, nie, nie!’ Wart’, ich will dir dann auch so ein Nie zurückgeben – dreimal, so wie deins! Diesen Menschen da, dem du dich an den Hals wirfst, weil du noch ein Kind bist, den du hierher bestellt hast, weil du ein schlechtes Kind bist, den du mir abtrotzen willst, weil du von Sinnen bist, – den wirst du nie bekommen merk’ dir’s: nie, nie, nie! – Ich reis’ mit dir ab. Bis ans Ende der Welt geh’ ich mit dir, wenn’s sein muß, morgen – heute noch. Nie sollst du ihn wiedersehn, den da mit seinem großen Herzen’ … Das ist mein ,Nie, nie, nie!’“

Er stürzte aus der Thür. nicht aus der zum Salon sondern aus der andern, die auf den Balkon der Südseite führte. Gertrud, die Hand auf der Brust – da drinnen stand ihr alles eine Weile still – horchte halb mechanisch auf seine Schritte. Sie hasteten den Balkon entlang, dann auf die Terrasse über dem Fahrweg. Ja, auf die Terrasse, unter der vorhin Arthur das italienische Lied gesungen und dadurch seine Ankunft gemeldet hatte …

Trotzig, und erschüttert, und dann wieder trotzig wiederholte sie zwischen ihren kleinen Zähnen: „Nie, nie, nie!“

An der Salonthüre hustete es. So hatte Arthur zuweilen gehustet, wenn er ihr insgeheim etwas sagen wollte … Sie zweifelte aber noch. sie konnte sich täuschen, sie war so verstört, verwirrt. Nicht lange, so kam ein zweites Husten, diesmal erkannte sie’s doch gewiß. Sie ging hin und öffnete. Im Salon stand Arthur, allein. Er hielt den Kopf vorgeneigt, als hätte er auch gehorcht. In seinem Gesicht war etwas Banges, Aengstliches, das ihr nicht gefiel. Ach, er bangt ja nur um mich! dachte sie dann geschwind, und trat in den Salon auf ihn zu.

„Ich bin allein,“ sagte Arthur mit halber Stimme. „Schilcher sprach von Schachspiel, ist dann aber in sein Zimmer gegangen. wird bald wiederkommen … Meine süße Gertrud, was ist denn geschehn? Ihr Papa so laut, so zornig. Und Sie so blaß –“

„Er will uns trennen“, fiel sie ihm ins Wort. „auf ewig, weiter nichts. Ich soll fort von hier …“

Herzschlag und Atem vergingen ihr schon wieder; sie legte sich beide Hände auf die Brust. „Ich will nicht,“ sagte sie aber, die Zähne zusammendrückend, sobald sie wieder sprechen konnte. „Ich bin nicht mehr sein Kind; ich bin nicht mehr sein Kind … Wenn Sie mich jetzt verlassen, Arthur, kann ich nicht mehr leben!“

Ah, dachte Arthur, als er sie so verzweifelt und so wild entschlossen das Kinn vorstrecken, die zarten Nüstern aufblähen sah, jetzt oder nie! – „Hören Sie!“ sagte er rasch. „Arme, süße Gertrud. Aus dem Scherz wird Ernst! – Ich Sie verlassen – gewiß nicht. Aber – wenn auch Sie nicht von mir lassen wollen –“

Sie schüttelte heftig den Kopf.

„Meine Barke wartet. Ich kann jeden Augenblick abfahren. Gehn Sie mit! nach Vico!

Im ersten Augenblick doch erschrocken, starrte sie ihn an. „Fürchten Sie sich, Gertrud?“

Nun schüttelte sie trotzig den Kopf.

„Sind wir erst in Vico – das heißt, da bleiben wir ja nur bis morgen, fahren dann nach Neapel, zu meiner Tante – sind wir erst bei der – aber doch „kompromittiert“, wie die kalte Welt das nennt – dann kann Ihr Vater nicht mehr Nein sagen, Gertrud dann ist es aus mit seinem ,Nie, nie, nie‚‘! – Starren Sie nur nicht so. Warum denn? Das haben schon viele so gemacht und zu ihrem Glück. Wenn die Väter so sind … Eh jemand kommt – sagen Sie ein Wort!“

„Ich will ja, murmelte sie, ohne sich zu regen. „Ich muß.“

„Ja, ja, ja, Sie müssen. Haben Sie nur Mut! – Ich bedenke alles. Ich geh’ voraus, geh’ ans Meer hinunter, fahre scheinbar ab, in der nächsten Bucht, ganz nah‚‘, da wart’ ich, natürlich so versteckt, daß uns von hier oben niemand sehen kann. Sie gehen unterdessen in Ihr Zimmer, halten sich bereit! Ist dann alles still – hier im Hotel alle Lichter aus – dann geb’ ich ein Zeichen eine Pfeife hab’ ich in der Tasche, hier. Und Sie gehn leise hinunter … Hören Sie alles? Merken Sie sich alles?“

„Ja,“ hauchte Gertrud tonlos.

„Eh’ ich fortgehe, wissen Sie, bestech’ ich den Faschino, den Hausknecht, daß er eine Thür nach dem Garten für Sie offen läßt. – dem hab’ ich schon vorhin auf den Zahn gefühlt, das ist ein kecker, flotter, habgieriger Bursche. O, das mach’ ich alles, Gertrud. Sagen Sie nur, daß Sie Mut haben, daß Sie sicher kommen! „Ach! seufzte sie und verzog ihr klägliches unschuldiges Gesicht. „Wenn es ein Wahnsinn ist, was ich da thun will, Arthur, so reden Sie mir ab, denn ich – ich – ich weiß nicht, was ich thue. O mein Gott –“

„Ich red’ Ihnen zu, denn Sie müssen es thun! – Und Sie werden es thun?“

Sie nickte.

„Also, wenn ich mit der Pfeife das Zeichen gebe – Still! Man kommt!“

Er sah, daß die Thür zum Korridor sich bewegte, trat schnell von dem Mädchen hinweg an den runden Tisch und griff zu einer Zeitung. Gertrud trat an die Glasthür, ihr aufgeregtes Gesicht zu verbergen. Schilcher kam herein. Er betrachtete beide, erst ihn, dann sie, aus den Augenwinkeln; nicht weit von der Thür blieb er stehn. Es war eine schwüle Stille, Gertrud flog das Herz.

„Herr Oberappellationsrat, mit der Schachpartie wird es nun doch nichts mehr, sagte Arthur endlich, indem er die Zeitung wieder hinlegte, als hätte er darin gesehn was er wollte. „Ich hab’ mir’s überlegt und ich muß nun doch fort. Anderthalb Stunden etwa brauchen wir bis Vico. Also, gute“

„Nacht!“ ergänzte Schilcher trocken „Kommen Sie gut nach Hause. Glückliche Meerfahrt!“

„Auf Wiedersehn!“ sagte Arthur zu Gertrud mit höflicher Verneigung. ermahnte sie noch durch einen hastigen, verständnisvollen Blick über die Schulter, und ging.

„Auf Wiedersehn,“ wiederholte das Mädchen fast unhörbar, als der junge Mann schon hinaus war. Sie begann sich dann auch zu bewegen, schien aber noch nicht recht zu wissen, was sie wollte.

Das war ja ein sonderbarer Blick, dachte Schilcher den die beiden noch wechselten. – Wie das Kind verstört ist.

Gertrud bewegte sich weiter gegen ihre Thür.

„Ich geh’ in mein Zimmer,“ murmelte sie dann, vom Boden zu ihm aufblickend. Schilcher lächelte. „Habe nichts dagegen!“

„Gute – –“

Sie brachte weiter nichts heraus, machte nur eine kleine Handgebärde. Gleich daraus war sie fort.

„Nacht!“ ergänzte Schilcher bei sich. „Das hat sie vergessen.“ – – „Die macht noch nicht Nacht, die hat noch was vor! – Sie fuhren ja ganz gewaltig auseinander, als ich kam. Holla, holla, was heißt das?“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_738.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)