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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

darüber hinausgeht, nicht rühren mögen, es also vorziehen, sich an die Erbweisheit ihrer Väter und Großväter zu halten, durch die wir’s ja so herrlich weit gebracht haben. Aus reiner Gewissenhaftigkeit, weil sie ihren Fürwitz von dem lassen wollen, was ihres Amts nicht ist, gehen sie über die schwersten Aufgaben der Zeit leichten Herzens zur Tagesordnung über.

Bei meinem lieben Vater kam noch eins hinzu, ihn in der leidenschaftlichen Abneigung gegen alles, was zur „Frauenbewegung“ gehört, zu bestärken: die unbedingte Verehrung, ja Vergötterung seiner eigenen Frau. Wie liebenswürdig meine Mutter war, wird Dir selbst noch in lebhafter Erinnerung sein. Das wärmste, gütigste Herz, allerlei kleine Talente, vor allem das, es jedem wohlzumachen, der in ihre Nähe kam, das anmutige, bis in die späteren Jahre jugendlich frische Gesicht, und doch keine Spur von Gefallsucht, gern auf alle gesellschaftlichen Erfolge verzichtend, da die Verhältnisse eines unvermöglichen preußischen Regierungsrates nicht erlaubten, ein glänzendes Haus zu machen; ihrem Manne die aufopfernde Gefährtin, ihren zwei Kindern die sorgsamste Mutter – kein Wunder, daß mein guter Vater in ihr das Musterbild aller weiblichen Tugenden sah, das Weib, wie es sein soll, der Maßstab, an dem er alle anderen Exemplare unseres Geschlechts zu messen gewohnt war.

Auch ich hing an ihr mit größter Zärtlichkeit. Aber da unsere Naturen grundverschieden waren und ich schon als ganz junges Ding mir Rechenschaft über alles gab, was ich um mich her und in mir selbst wahrnahm, konnte ich mir nicht lange verhehlen, daß es dieser trefflichen Frau an etwas fehlte, was im menschlichen Dasein doch auch sein Recht behaupten muß. an zusammenhängender Klarheit des Denkens. Sie war und blieb ihr Leben lang das reine Geschöpf ihrer Instinkte, ohne jemals über die Berechtigung derselben sich den geringsten Skrupel zu machen. Und weil sie eine so gute und reine Natur war, konnte sie auch des regelnden und stützenden Verstandes mehr als tausend andere entbehren und besinnungslos ihrem Herzen und Temperamente folgen.

Nur das war schlimm, daß sie in Ermangelung eigener Gedanken sich hartnäckig auf einen kleinen Vorrat überlieferter sogenannter Grundsätze verließ, deren Bewahrung ihr als eine Art religiöser Pflicht erschien. Daß sie ganz in ihrem Haushalt und der Sorge für Mann und Kinder aufging, – wer hätte ihr das zum Vorwurf machen können! Wenn nach Goethes Wort der Mann „die Welt in seinen Freunden sehen“ soll, wie viel berechtigter ist die Frau, ihre Welt in ihrer Familie zu sehen, wenn es ihr so gut geworden ist, eine eigene Familie zu besitzen, die ihre ganze Liebeskraft in Anspruch nimmt. Aber so edel und beglückend das Ziel sein mag, so verkehrt sind doch oft die Wege, die zur Erreichung desselben eingeschlagen werden.

Meine Mutter war von der ihren an eine längst veraltete pedantische Führung des Haushalts gewöhnt worden, die selbst ihrem Manne manchmal zu weit ging. Erst die Leinenschränke, dann Mann und Kinder! neckte er sie wohl einmal. Und wie litt er unter ihrem Fanatismus im „Stöbern,“ wie man hier in Bayern das Zurückführen des Hausstandes in ein entsetzliches Chaos nennt, aus welchem hernach die alte Ordnung nur in etwas staubfreierem Zustande hervorgeht! Sie wäre für ihren Mann unbedingt durch Wasser und Feuer gegangen. Aber von den zwei alljährlichen großen Scheuer- und Ausleerfesten, die jedesmal volle vierzehn Tage dauerten, ihm auch nur eines zu schenken, hätte sie als eine empörende Zumutung angesehen, der die gehorsamste Ehefrau einen unerbittlichen Widerstand entgegenzusetzen verpflichtet sei.

Mein armer Papa ergab sich seufzend darein, zweimal im Jahre im eigenen Hause alle Klopfgeister der Hölle toben zu hören. Er sah das als den einzigen Schatten bei dem sonst so strahlenden fleckenlosen Licht dieser Krone des Geschlechtes an. Und da dies die einzige Eitelkeit war, auf der er die geliebte Frau betraf, gewöhnte er sich daran, auch diese Schwäche als eine Tugend zu verehren.

Und so war er auch fest überzeugt, für seine Tochter könne es kein größeres Glück geben, als unter den Augen einer solchen vollkommenen Hausfrau, nachdem sie die Schule absolviert, in die Hochschule des weiblichen Berufs aufgenommen zu werden.

Wir waren ja nun beide endlich „mit dem Zeugnis der Reife“ für Bälle und Gesellschaften von unseren bisherigen Lehrern und Lehrerinnen entlassen worden. So sehr ich Dich darum beneidete, daß Du nun weiter studieren, ja das richtige Lernen jetzt erst beginnen solltest, so war ich doch eine zu gute Tochter, um mich dagegen zu sträuben, bei meiner lieben Mama in die Lehre zu gehen, da ich bisher mich um nichts im Hause bekümmert hatte und der Meinung war, es handle sich auch in der Hauswirtschaft um ganz interessante Probleme.

Wie bald erkannte ich, daß es auf eine praktische Thätigkeit hinauslief, die in einem einfachen bürgerlichen Hause mit etwas gutem Willen und klarer Einsicht auch ohne Urmütterweisheit bald zu bewältigen ist. Mein Papa, der übrigens Goethes Werke in seinem „Giftschrank“ verschlossen hielt, auch nachdem ich schon über das Konfirmandenalter längst hinaus war, citierte mit Vorliebe jene bekannte „Epistel“, in der der alte Herr über Mädchenerziehung Maximen zum besten giebt, die – wie ich unehrerbietig genug bin, zu glauben – schon vor hundert Jahren nur auf das engste philiströseste Familienleben passen konnte. Aber selbst wenn er damit die goldenste Weisheit gepredigt hätte, daß den Mädchen im Hause die Lust zum Lesen – und Denken – ausgetrieben werden sollte, damit „der kuppelnde Dichter“ sie nicht mit allem Bösen bekannt macht – indem einer jeden ein eigenes Departement des Hausregiments zuerteilt wurde – in unserem Hause hielt Mama die Zügel der Herrschaft so eifersüchtig fest, daß ich weder in Keller und Küche noch – wenn wir einen gehabt hätten – im Garten das Geringste zu thun gehabt hätte.

Alles blieb bei einigen theoretischen Unterweisungen die sehr leicht zu kapieren waren und, wie doch eine gute Erziehung soll, für Geist und Herz nicht die geringste Nahrung boten. Und das Wort des Dichters:

„Wünscht sie dann endlich zu lesen, so wählt sie gewißlich ein Kochbuch“, traf auch bei mir nicht ein. Selbst Brillat-Savarin reizte mich nicht zu wissenschaftlichem Eindringen in ein Gebiet, das vor allem das Bewahren angeborener künstlerischer Talente verlangt, wenn eine höhere Strafe als die der bescheidenen Hausmannskost erreicht werden soll. – Und wir gaben ja keine Diners.

Hier aber muß ich für diesmal abbrechen. Sehr zur rechten Zeit, ehe dieser Brief sich zu einem doppelten auswächst, ruft mich meine Köchin vom Schreibtisch weg, da ich meinem lieben bayrischen Gatten – er ist in Ansbach geboren – ein norddeutsches Gericht versprochen habe, was unsere Kathi ohne meine Hilfe nicht zustande bringt. Du siehst, Liebste, ein mütterlicher Tropfen fließt trotz alledem auch in meinem Blut. Und da ich morgen Wäsche habe – shocking, nicht wahr? – werde ich erst in nächster Woche den abgerissenen Faden weiterspinnen.

Tausend, tausend Grüße und Küsse Deiner alten

Martha.     

(Fortsetzung folgt.)


Das Kind.
Roman von Adolf Wilbrandt.

(5. Fortsetzung.)

14.

„Schilcher!“ hörte der Appellationsrat jetzt hinter sich, während sein Auge noch an der Thür haftete, hinter der Gertrud verschwunden war. Rutenberg war von der Südterrasse her eingetreten, ohne daß der Versonnene es gehört hatte. Rutenbergs Stimme war beinahe heiser, erst nach und nach kam sie wieder zu sich. „Schilcher! Hast du das Kind gesehen?“

„Jawohl,“ antwortete Schilcher; seine blaßgrauen Augen gingen wieder nach Gertruds Thür.

„Wo? War sie hier?“

„Zu dienen. Jetzt in ihrem Zimmer.“

„Wie war sie, Schilcher?“

„Nu,“ sagte der Oberappellationsrat, die Achseln zuckend. „Ziemlich toll, wie mir schien.“

„Daran bin ich schuld! Es ging mit mir durch! – Hab’ mich übereilt. Hab’ ihr gesagt, daß sie mißraten ist, daß sie ihn nie wiedersehen soll, daß ich mit ihr abreise. Hab’ ihr alles gesagt –“

„Natürlich!“ setzte Schilcher hinzu und hob die Augen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_751.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2017)