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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Was heißt das?“

„Na, der andre. Der Ablenker!“

Rutenberg sah eine Weile nachdenkend in das bewegungslose kluge Gesicht. Er stand dann auf, ging durchs Zimmer; that noch ein paar Züge aus seiner Cigarre, warf sie über den großen Balkon hinaus und kam zurück. „Mensch, du hast ja recht!“ sagte er. „‚Der andre!‘ Da liegt’s. Das ist es. Sagt man so einem Kind nur immer: ‚den nicht!‘ das ist in den Wind gesprochen. Von dem läßt sie nicht; von dem einen nicht – so lang’ nicht ein andrer kommt! der den einen verdunkelt, ihm über den Kopf wächst, dem Kind ins Herz wächst!“

„Nu ja,“ murmelte Schilcher. „Das ist’s.“

Rutenberg schenkte sich wieder ein, trank ein wenig mit einem Seufzer stellte er darauf das Glas auf den Tisch zurück. „Na ja, und wenn es das ist – hast du diesen andern? Einen Arthur für uns? Einen Jüngling, der uns beglückt – und der sie beglückt? der ihr die Augen aufmacht? der uns so gefällt, daß wir alle vier Hände über ihnen ausstrecken und sie segnen: ‚Kinder, Kinder, liebt euch?‘ – Hast du den?“

„Nein. Wenn ich ihn hätte, würd’ ich es ja sagen.“

„Hm! –“ Rutenberg sah den Alten wieder mitleidig, mit zunehmender Rührung an. „Und statt dessen wachst du hier. Märtyrer. – Wie spät ist es denn?“

Schilcher schaute auf seine Uhr: „Zehn Stunden vor Sonnenaufgang, weniger fünf Minuten.“

„Schilcher, es ist hart!“ – Rutenberg warf sich auf seinen Stuhl.

Eine Glocke ward angeschlagen er fuhr wieder in die Höhe. „Was ist das?“ fragte er. „Ein Zeichen für das Kind?“

Schilcher schüttelte den Kopf. „Die Hotelglocke wird geläutet.“

„Ja, ja. Hast recht –“

„Es kommen wohl noch Fremde.“

„So spät? – Das kleine Hotel ist ja ganz besetzt.“

Schilcher schüttelte wieder den Kopf: „Ein Zimmer ist noch frei. Mit zwei Betten. Hat mir der Facchino gesagt.

„Man steigt die Treppe herauf!“

„Zwei Stimmen.“

„Der Kellner – und der Fremde.“

„Also ist nur einer gekommen.“

„Wahrscheinlich. – Das Ganze ist eine angenehme Unterbrechung, Schilcher!“

Der Oberappellationsrat nickte ernsthaft; beide horchten wieder.– „Sie gehn richtig in das einzige Zimmer, das noch frei war, am Korridor!“ bemerkte Schilcher.

„Ja, was sollten sie sonst auch thun?“

„Jetzt ist alles still.

„Dieselbe Beobachtung,“ entgegnete Rutenberg, „hab’ ich auch gemacht.“

„Der Kellner geht wieder fort.“

„Wie scharfsinnig du das alles in dich aufnimmst, Schilcher. Ich wollt’, es kämen im Lauf der Nacht noch ein Dutzend Fremde, damit dein Geist immer Arbeit hätte!“

Herbst.
Nach einem Gemälde von A. Charnay.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_753.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)