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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Nein nicht arg,“ antwortete er gereizt. „Einen Herzkrampf hab' ich noch nicht, wie du siehst. Mach’ doch nur nicht so fromme Augen. Brauchst keine Teilnahme zu heucheln.“

„Das brauch' ich wirklich nicht, denn ich habe sie.“

„Ei was. Und eben sagtest du noch, es wird nichts sein, ein Zufall. Also wozu stellst du dich denn jetzt besorgt?“

„Soll ich an Meinhardt telefonieren?“

„Lächerlich. Meinhardt! Weiter hätte mir gar nichts gefehlt. Der olle Schlummerkopp ist ja zu nichts Ernsthaftem mehr zu gebrauchen. Laß mich jetzt mit deinem Kamillentheegesicht in Frieden. Morgen – wenn sich das noch einmal wiederholt – konsultier' ich eine Autorität.“

Nach einer Stunde kam er zu ihr ins Zimmer, wo sie mit einer Näherei beschäftigt am Fenster saß. Er warf ihr einen Brief in den Schoß, einen schon geöffneten Brief. Sie bemerkte das nicht gleich und nahm die Schere, um ihn aufzuschneiden Mit seinen wachsamen Augen sah er ihr Stirnrunzeln und daß sie die Zähne auf die Unterlippe drückte. „Ich hab' ihn aus Versehen mit aufgerissen,“ warf er leicht hin. „Er kam zusammen mit mehreren anderen für mich, so achtete ich nicht drauf.“

„Ich weiß“, sagte sie kalt, ohne ihn anzusehen, nahm den Brief aus dem Umschlag und las. Diese „Versehen“ hatten sich schon oft wiederholt und den Reiz der Neuheit verloren.

„Was will denn die Imhoff?“ fragte Ludwig, auf den Brief deutend.

Hanna erhob jetzt die Augen zu ihm. „Du hast ihn ja gelesen“ erwiderte sie ruhig, ohne Schärfe, überhaupt ohne Ausdruck in der Stimme. „Also weißt du was darin steht.“

„Nur flüchtig, natürlich. Ich sah ja – übrigens wirst du dir ja solche Briefe, die ich nicht sehen soll, nicht ins Haus schicken lassen.“

„Ich weiß wirklich noch nicht, was ich thun würde, wenn ich solche Briefe bekäme“, antwortete sie unbewegt. „Bis es so weit kommt, wollen wir uns den Kopf nicht darüber zerbrechen.“

„Ja ja, ich weiß schon, du bist die harmloseste Frau von Berlin. – Für welchen von deinen appetitlichen Schützlinge wird denn das?“ fragte er nach einer Pause, da sie, ohne nochmals zu antworten, ihre Arbeit an dem rotwollenen Kinderkleidchen wieder aufgenommen.

„Für die kleine Anna von Baumanns. Unser Klempner.

„Donnerwetter, elegant! Mit schwarzen Borten!“

„Es soll auch ein Geburtstagskleid werden.

„Und das hier? Er erwischte von dem aufgeschichteten Stapel ein ganz kleines Kinderhemdchen am Aermel. Sie nahm es ihm sacht aus der Hand und legte es wieder glatt zusammen.

„Da ist diese arme Obstfrau“, sagte sie mit leichtem Erröten „da am Kanal, von der ich manchmal kaufe. In ein paar Wochen erwartet sie ihr Fünftes. Sie weiß sich nicht zu lassen vor Sorgen, der Mann trinkt. Ich hab' ihr versprochen: ich geb' ihr die kleine Aussteuer. Etwas Rechtes hat sie nie gehabt. Du solltest nur sehen, wie sie sich freut.“

„Kunststück! Wird dich auch wieder gehörig ausnutzen.“

„Darauf laß ich es ankommen. Wenn man den Gedanken an die Spitze stellen wollte, verginge einem die Freude am Schenken im ersten Atemzug.“

„Aber wozu diese Kellerassel mit aller Gewalt Spitzen an den Hemden haben muß, das seh' ich denn doch nicht ein.“

„Es sind ganz schmale – sieh' – Leinen, sehr haltbar, und machen in der Wäsche nicht die geringsten Umstände. Ich weiß nicht, warum die Sachen, die man den armen Menschen giebt, nicht auch ein bißchen hübsch sein sollen, außer daß sie nützlich sind.

„Das ist wieder eine von deinen sentimentalen Schrullen. Du bist überhaupt verrückt. Als ob dem Bettelpack auch nur soviel an der Schönheit gelegen wäre. Was versteht der Bauer von Gurkensalat?“

„Vielleicht doch mehr, als du denkst.“

„Sei so gut, mein Kind, und überhebe dich nicht. Ich kenne die Welt besser als du. Mir ist in meinem Leben genug Gesindel über den Weg gelaufen. Nur nicht unpraktisch werden vor lauter Idealität. Warum willst du einem verhungerten Straßenkehrer den leeren Magen mit Gänseleberpastete anfüllen, wenn eine Knackwurscht dieselben Dienste thut?“

„Da hast du gewiß recht.“

„Hab' ich überhaupt immer!“

„Ich wollte damit nur sagen so weit geht meine Verrücktheit nicht. Aehnliche Dinge, wie dein Beispiel, hab' ich nie gemacht. Ich finde aber … wenn ich durch eine kleine, noch obendrein wohlfeile Verzierung ein Geschenk hübscher machen kann, das ich zum Beispiel einer armen Mutter bringe, so muß ich das thun, so gehört das mit dazu.“

„Meinetwegen. Wenn der Geist dich treibt! Wundere dich aber dann auch nicht, wenn sie dein hübsches Geschenk' aufs Leihamt tragen, sowie du den Rücken gewendet hast.“

„Bis jetzt ist das noch nicht geschehen; ich habe mich noch immer davon überzeugen können.“

„Wie gesagt meinetwegen. Bloß – warum kaufst du das Zeugs nicht fertig? Eine Zeit verthust du mit der Stichelei an den Sachen –“

„Ich hab' ja so viel Zeit. Und es macht mir Freude, selber die Finger dafür zu rühren, viel mehr, als wenn ich etwas fertig im Laden kaufe. Ich thue das ja auch. Wie oft braucht man etwas rasch. Und Lebensmittel zumal lassen sich nicht nähen, noch sticken, auch Holz und Kohlen nicht.“

„Und wozu du immer alles selbst besorgen und hinschleppen mußt. Aufspielerei –“

„Immer thu' ich es gar nicht. Lange nicht immer. Aber ich thu es gern. Ich will die Menschen auch kennen, denen ich helfe oder Freude mache. Verstehst du das nicht?“

„Nee,“ sagte er mit einem kleinen Schauder. „Sonderbare Schwärmerei, in den muffigen Spelunken herumzukriechen.“

„Aber du hast es mir damals erlaubt, erinnere dich.“

„Ja doch. Poche nur nicht gleich so auf dem Wort herum. Und erinnere du dich gefälligst auch, daß du mir versprochen hast, niemals in ein Haus zu gehen, in dem eine ansteckende Krankheit herrscht. Daß du dich immer sorgfältig erkundigst!“

„Aber selbstverständlich.“

Er wandte sich zur Thür, auf der Schwelle blieb er stehen.

„Uebrigens fragst du mit keinem Wort, wie mir's geht. Recht teilnahmvoll, muß ich sagen.“

„Du hattest mich vorhin ersucht, dich vorläufig in Frieden zu lassen. Aber es scheint, dir ist wieder ganz wohl?“

„Unwohl war mir überhaupt nicht, bloß ängstlich. Du sahest mich wohl schon auf dem Siechbett, ja? Machte dir wohl Spaß, wenn ich auch mal krumm liegen müßte?“

„Was soll man darauf antworten?“

„Nichts, natürlich, wenn dir keine freundliche Silbe einfällt. An eine pantomimische Andeutung deines Wohlwollens bin ich ja sowieso nicht gewöhnt.“ Und als sie sich mit unbeweglichem Gesicht tiefer auf ihre Arbeit neigte, „Du wirst's noch einmal bereuen wenn ich erst in der Grube liege.“

Hanna lächelte bitter. „Das mit dem in der Grube liegen wird sich wohl in umgekehrter Reihenfolge abspielen. Du brauchst nicht zu fürchten, daß ich dich überleben werde.“

„Aber passen würde es dir, was? wenn ich gnädigst abschnurrte und dich als reiche, junge Witwe übrig ließe, und du dann das vergoldete Pfötchen wieder frei hättest?“

Er kam von der Thür zurück, die Hände in den Hosentaschen, stellte er sich breitbeinig vor sie hin. „Würdest du wohl das Trauerjahr aushalten, wenn du mich glücklich los wärest?“

Sie lehnte sich zurück und sah ihm voll in die feindselig glitzernden Augen. „Wer dich zum Mann gehabt hat, Ludwig, der sehnt sich nach keiner zweiten Ehe mehr.“

Er lachte laut auf, so schallend und häßlich, daß Hanna nervös gequält die Schultern zusammenzog. „Ausgezeichnet! rief er und drehte sich, wie in hellem Vergnügen, auf dem Absatz hin und her. „So viel Esprit hätt' ich dir gar nicht zugetraut. Das Orakel zu Delphi ist ja der reine Waisenknabe gegen dich. – Na, beruhige dich,“ fuhr er fort, und seine Stimme bekam plötzlich einen heisern, dumpfen Klang. „Sollte ich wirklich das Pech haben, vor dir ins Gras beißen zu müssen, so wird deine Trauer um meinen Verlust aufrichtig sein. Verlaß' dich drauf! Dafür hab' ich gesorgt!“

34.
„Liebe, böse Hanna!

Es kann doch nicht im Ernst Dein Wille sein, daß wir uns auseinanderleben sollen. Weißt Du, wann wir uns zum letzten mal gesehen haben? Vor dreiviertel Jahren. Denn die fünf

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