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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Verpackung und Verwahrung der Möbel, die in diese Räume gehört hatten, überwacht. Die Wiedereinrichtung des Billardzimmers und des japanischen Salons aber hatte er völlig dem dazu bestellten Dekorateur überlassen, um damit zu bezeigen, daß er mit dieser Sache weiter nichts zu schaffen haben wollte. Mehr zu thun, um seine Teilnahme für die gnädige Frau zu beweisen war ihm nicht Gelegenheit geworden.

Hanna war zu gerecht, um sich nicht zu sagen, daß eine Aenderung in diesem Sinn unumgänglich gewesen sei. Nur hatte sie erwartet, sie selbst und unbeeinflußt bewerkstelligen zu können und zu diesem Behuf den immer noch verweigerten Schlüssel zum Sterbezimmer ausgeliefert zu bekommen. Ihren heißen, tiefen Schrecken bei der Heimkunft hatte sie so gut zu verbergen gewußt, daß sich Ludwig seine wohlvorbereitete Standrede über krankhaftes Sichgehenlassen füglich hätte sparen können. Daß er sie doch hielt, geschah nur, um seiner Frau zu zeigen, wie gut er darauf vorbereitet gewesen sei, sie renitent und albern zu finden, und daß sie nur ja nicht glauben solle, er durchschaue sie nicht.

Seitdem hatten Schwärme von lustigen Leuten diese und die andern Gesellschaftszimmer mit Lachen und Schwatzen erfüllt. Hanna vermied es ängstlich, bei solchen Gelegenheiten die verwandelten Räume zu betreten. Nur manchmal, zu stillen Stunden, wenn ihr Mann nicht daheim war, dann ging sie leise, leise dort hinein, setzte sich an der Stelle, wo das Bett der Mutter gestanden hatte, auf den langen Lederdiwan – und schloß die Augen.

(Fortsetzung folgt.)

Marthas Briefe an Maria.
Ein Beitrag zur Frauenfrage, mitgeteilt von Paul Heyse.

(1. Fortsetzung.)

Dritter Brief.
Den 1. Oktober abends.     

Mein Mann ist in seinen ärztlichen Verein gegangen, der einzige Abend der Woche, an dem er mir untreu wird. So will ich die einsame Stunde benutzen, liebste Mary, in meiner Generalbeichte fortzufahren, wenn sie auch leider ganz arm ist an lustigen oder leidenschaftlichen Abenteuern, aus denen sich ein „Roman meines Lebens“ für irgend eine Wochenschrift zusammenschreiben ließe. Sogar von so unschuldigen Eintagsverliebungen, wie ich sie Dir in meiner Backfischzeit anvertraute, kommt nichts darin vor. Und daß ich, wie es zwischen Siebzehn und Zwanzig bei so vielen unseres Geschlechts üblich ist, auf den Männerfang ausgegangen wäre, traust Du Deiner Martha gewiß nicht zu.

Ich hätte auch weder Zeit noch Gelegenheit dazu gehabt. Denn obwohl mich die Mutter in ihrer häuslichen Vielgeschäftigkeit nur als zuschauende Volontärin duldete, die Hände durfte ich darum nicht in den Schoß legen.

Es war ja noch einer ihrer Glaubenssätze, ein Mädchen müsse jedes Stück seiner Aussteuer selbst anfertigen. Gewiß beklagte sie es im stillen als einen Verfall weiblicher Sitte, daß die Zeit vorüber war, wo man auch die Leinwand dazu im Hause spinnen und weben mußte. um sich der Ehre, in den heiligen Ehestand zu treten, durchaus würdig zu machen. Wie manches sitzengebliebene arme Ding mag damals einen wahren Haß und Abscheu gegen den wohlgefüllten Leinenschrank gefühlt haben, der sie an so viel verlorene Liebesmüh’ erinnerte! Und heute, in der Zeit der Nähmaschinen, da sich die anspruchsvollste Braut ihren Trousseau in einigen Tagen zusammenkaufen kann – – wie viel stille Thränen sind mir in die schöne Leib- und Tisch- und Bettwäsche geträufelt, die ich einer altmodischen Grille zuliebe eigenhändig zuschneiden, säumen und fertig nähen mußte!

Handarbeit – das Los des Weibes in der guten alten Zeit! Aber wir waren doch auch mit der neuen Zeit fortgeschritten, auch die schönen Künste wurden gepflegt, jeden Tag zwei Stunden Klavier gespielt, dazwischen Blumen auf Kästchen und Porzellan gemalt, zu billigen und doch besonders wertgeachteten Geschenken. Leider nur beides ohne eigentliches Talent. Die Frau aber soll „das Leben schmücken lernen“, um selbst ein Schmuck des Lebens zu sein!

Durch nichts wird grausamer an uns Armen gesündigt, als durch schönklingende Maximen, mit denen man uns schmeicheln will!

Wenn ich damals meinem guten Papa geklagt hätte, daß ich unter der gräßlichsten Langweile litt, hätte er mich groß angeschaut. Wär ich nicht von morgens bis abends „beschäftigt“? Lobte mich nicht die Mutter über meinen Fleiß? Und wurde mir nicht zur Belohnung für diesen Fleiß erlaubt, während des Winters manchmal ins Theater oder in ein Konzert und oft auf einen Ball zu gehen, und im Sommer dann und wann eine Landpartie mitzumachen, wo auch Gelegenheit war, mit jungen Männern Bekanntschaft anzuknüpfen? Und dennoch Langweile?

Daß sie je nach den Naturen etwas Verschiedenes ist, bei dem einen das ungestillte Bedürfnis nach Zerstreuung, bei anderen das brennende Bedürfnis nach fruchtbarer innerer Sammlung, eine Art geistiger Hunger, das hätte ich meinen Eltern nicht klar machen können. Sie hatten mir ja auch nicht das Lesen verboten. Aber sie überwachten meine Lektüre, und wenn ich nach einem Buche verlangte, das mehr bot als Anregung der Phantasie, wurde mir entgegnet, das sei „zu schwer für mich“. Ich wolle ja keine Gelehrte werden, eine Spielart des weiblichen Blumenflors, gegen die mein guter Vater eine heftige Aversion hatte und die meine Mutter nicht minder verabscheute, da die heiratsfähigen jungen Männer sich vor einem Mädchen, das etwas von Darwin oder Ranke oder gar von Helmholtz wisse, mit heiligem Schauder zu bekreuzigen pflegten.

Nun, ich wußte von diesen drei großen Männern und anderen Führern der Menschheit nicht viel mehr als die Namen, und doch hatte ich wenig Glück gerade bei den Epouseurs, an denen der Mama am meisten gelegen war. Ich tanzte gut und sah, ohne Ruhm zu melden, nicht übel aus, so daß ich von meinen Bällen stets eine reichliche Ernte von Cotillonsträußchen mit heimbrachte. Dennoch verging mein dritter Ballwinter wie mein erster, ohne daß es zu einer Verlobung kam. Je mehr der Berg meiner Aussteuer in die Höhe wuchs, je tiefer sanken die Zukunftshoffnungen meiner guten Mama.

Ich stand ohne Zweifel in dem schwarzen Buche, in welchem die Namen aller Töchter aus guten Familien verzeichnet sind, die außer dem bewußten Schrank voll Leib-, Tisch- und Bettwäsche ihren Freiern nichts Erhebliches mitzubringen haben.

Dies machte mir freilich nicht den geringsten Kummer. Denn unter all den jungen Männern, mit denen ich getanzt, soupiert, ja, gesteh’ ich’s – auch ein wenig kokettiert hatte, war keiner gewesen, der mich länger als einen Ballabend interessiert hätte. Du entsinnst Dich wohl meines Bruders, Liebste? Er ist als wohlbestellter Referendar noch ein ganz so guter Junge geblieben, wie er damals war, als er Dir auf dem Eise im Tiergarten die Schlittschuhe anschnallte und Dich dabei als ein überirdisches Wesen verehrte. Im übrigen aber muß seine eigene Schwester ihm das Zeugnis geben, daß er sich über den Durchschnitt der heutigen jungen Männerwelt nicht um einen Zoll breit erhebe. In der Welt kommt es darauf an, seine Ellbogen zu rühren, um Carriere zu machen, nie mehr zu arbeiten als nötig, nicht mehr zu genießen, als der Gesundheit zuträglich ist, und sich mit überflüssigem Nachdenken über die sogenannten höheren Menschheitsfragen den Kopf nicht warm zu machen, sondern diese brotlosen Künste den Specialisten zu überlassen. So sei auch die Frau für ihren Mann eine um so erfreulichere Lebensgefährtin, je weniger geistige Bedürfnisse sie habe, die sie nur dazu verführen könnten, sich über ihren Gatten zu erheben, unbequeme Fragen zu stellen oder gar durch eigenes geistiges Schaffen ihm Konkurrenz zu machen. In ihrem eigenen Interesse müsse sie sich vorm Denken hüten, das nun einmal den Männern vorbehalten sei und die Weiber um ihre natürliche Anmut, den Reiz und Zauber echter Weiblichkeit bringe.

Unglaublich, wie diese „denkenden Herren“ der Schöpfung so gedankenlos die uralten tausendfach widerlegten Albernheiten immer wieder nachbeten können!

Daß ich also bei meinem leiblichen Bruder keine Unterstützung fand, als ich meinen Eltern erklärte, einen vierten Winter würde ich um keinen Preis mich von schönbefrackten Herren zu den Klängen der „Schönen blauen Donau“ herumschwenken lassen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_762.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2017)