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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Marthas Briefe an Maria.
Ein Beitrag zur Frauenfrage, mitgeteilt von Paul Heyse.

(2. Fortsetzung.)

Vierter Brief.
W. 7. Oktober     

Ich habe der Versuchung widerstanden, Liebste, gleich am andern Tage in meinem „Lebensläuflein“ fortzufahren. Ich erschrak denn doch, als ich den korpulenten Brief ins Couvert steckte, über seinen unvernünftigen Umfang und wollte Deine Antwort abwarten. Wenn ich den leisesten Verdacht daraus geschöpft hätte, Du begriffest nicht, daß diese Dinge mir selbst jetzt nicht als abgethan erscheinen könnten, zumal sie noch so vielen in ähnlicher Lage zu schaffen machen, hätte ich den Faden nicht weitergesponnen.

Nun aber bist Du so liebevoll auf alles eingegangen, hast es als Dein Recht in Anspruch genommen, jedes Blatt im Lebensbuch Deiner Martha zu lesen, daß ich getrost in meinen helldunklen Erinnerungen fortfahren kann.

Die helle Seite daran ist nur das Bewußtsein, redlich das Meinige gethan zu haben. Wenn wenig damit erreicht wurde, wer trug die Schuld als unsere hergebrachte Erziehung, die uns zum Lebenskampf so unzulänglich ausrüstete!

Denn jetzt, da ich ganz auf meine eigene Kraft angewiesen war, wo sollte ich ein mir gemäßes Feld der Thätigkeit finden. Ich war gesund, aber zu schwerer körperlicher Arbeit nicht kräftig genug. Die weisen Männer, die kein Bedenken tragen, in Bergwerken, Fabriken und zum Mörtel- und Steinetragen bei Bauten das schwächere Geschlecht den Männern gleichzustellen, haben so stets die zarteste Sorge geäußert, ob wir Mädchen den Beschwerden eines gründlicheren humanistischen Studiums gewachsen wären. Als ob wir in unseren Töchterschulen nicht auch zuweilen von Ueberbürdung zu erzählen gewußt hätten, wenn wir bis in die Nacht hinein einen Haufen Schreiberei zu bewältigen und uns am Memorieren eines bunten Gedächtniswustes abzuquälen hatten!

Und alle diese Plage hatte uns nur dazu verholfen, in einer Salon-Konversation nicht eine gar zu unglückliche Rolle zu spielen.

Jetzt aber, da sich’s darum handelte, mein Brot zu erwerben – denn von dem Verkauf unserer Möbel und des Silberzeugs waren nach Bezahlung aller Schulden nur ein paar hundert Mark auf mein Teil gekommen –, was sollte ich beginnen.

In verschiedenen Häusern, wo ich mich um eine Gouvernantenstelle bewarb, fand man mich nicht genügend dazu vorgebildet. Mein bißchen Französisch und Englisch reichte zum Sprechen dieser Sprachen nicht hin. Meine Kenntnisse in Geschichte und Geographie waren lückenhaft, mein dilettantisches Klavierspiel befähigte mich nicht zum Unterricht in der Musik, und für mein Porzellanmalen hatte man nur ein mitleidiges Lächeln.

Ich taugte allenfalls zur Bonne; aber ich hatte ein Grauen vor der weißen Sklaverei der unglücklichen Geschöpfe, denen die Sorge für unmündige Kinder anvertraut ist, ohne daß sie die Macht haben, ihre Erziehung nach eigenem Ermessen zu leiten, die allen Launen und Unarten der süßen Kleinen wehrlos preisgegeben sind und kaum, wenn diese zu Bett gebracht sind, sich selbst angehören dürfen.

Nun, ich war ja fürs Haus erzogen worden. „Das Weib gehört in die Familie. Wenn sie keine eigene hat, soll sie sich in einer fremden nützlich machen.“

So versuchte ich es denn, mich als „Stütze der Hausfrau irgendwo unterzubringen. Und da ich mit gutem Gewissen versichern konnte, daß ich, was die Wissenschaft von Küche und Keller betraf, die Behandlung des Weißzeugs und das Einkochen von Früchten, jede Prüfung mit Ehren zu bestehen vermochte, fand ich auch bald Aufnahme in einem sehr angesehenen wohlhabenden Hause, dessen Herrin durch ein langes Leiden an die Chaiselongue gefesselt war.

Sie war eine freundliche arme Seele und kam mir vertrauensvoll entgegen. Ich dachte einen Augenblick, ich sei im Hafen angelangt.

Zwar für meine geistigen Bedürfnisse bot sich mir hier nicht die geringste Nahrung, es herrschte in der Familie ein frivoler, durchaus konventioneller Ton, den der Hausherr, ein kaum halbgebildeter Geldmann, für das richtige Kennzeichen der höheren Gesellschaft hielt und der von seinen zwei Kindern, einem jungen Gecken, der sich zur diplomatischen Carriere vorbereitete, und seiner achtzehnjährigen unhübschen, aber desto eitleren Schwester, eifrig nachgeahmt wurde.

Zwar übersah und überhörte ich alles, was mir widerwärtig war, da ich doch in den Abendstunden, nachdem ich den Thee bereitet hatte, auf mein Zimmer flüchten und mich in ein Buch vertiefen konnte.

Nicht volle drei Monate aber hatte ich dies bescheidene Glück genossen, da erklärte mir die gute Frau eines Tages mit sichtbarer Befangenheit, es thue ihr leid, mich entlassen zu müssen. Sie habe aber zu bemerken geglaubt, daß Sohn Alfred sich mehr für mich interessiere, als für seine Ruhe erwünscht sei, und auch mit ihrer Elsa hätte ich mich nicht zu stellen gewußt. „Mir selbst, liebes Kind, sind Sie sehr wert geworden. Aber lassen Sie mich Ihnen, da ich Sie gern glücklich sähe, den mütterlichen Rat geben: suchen Sie sich einen anderen Beruf. Zum Mitglied einer Familie, wie die unsere, sind Sie zu jung und hübsch. Das führt immer zu unliebsamen Verwicklungen.“

Ich küßte der wohlwollenden Dame die Hand und verließ ihr Haus ohne sonderliches Bedauern. Nicht nur der Herr Sohn hatte sich für mich zu „interessieren“ angefangen, auch die Gunst des Hausherrn drohte mir lästig zu werden, und die kleine Eifersucht der Tochter war bereits in einen förmlichen Haß ausgeartet. In kurzem hätte ich selbst den Entschluß fassen müssen, den Dienst zu kündigen.

So stand ich denn wieder auf dem Pflaster und überlegte, welche Form wohl das neue Joch haben möchte, unter das ich meinen geduldigen Rücken beugen sollte.

Die Wahl wurde mir erleichtert, da mich die Dame, die ich eben verlassen, einer ihrer älteren Bekannten empfahl, die eine Gesellschafterin und Reisebegleiterin suchte. Ich besann mich nicht lange und nahm die Stelle an.

Ein ganzes Jahr harrte ich in dieser neuen Fron aus. Was ich da erlebte, würde sich in einem englischen Roman der bekannten Sorte gut verwerten lassen. Meine neue Herrin war erst sechzig Jahre alt, machte aber den Eindruck einer hexenhaften Urgreisin mit scharfen, verblichenen Zügen, die aber noch erkennen ließen, daß sie einst eine gefeierte Schönheit gewesen war. Von jenen Tagen ihrer Triumphe, die sie in ihrem frühen Witwenstande ohne jedes sittliche Vorurteil genossen haben sollte, war ihr noch das Bedürfnis unbedingter Herrschaft und beständiger Huldigung geblieben und eine grenzenlose Selbstsucht. Da ich mich nur zu blindem Gehorsam, nicht aber zum Götzendienst ihrer Eitelkeit verpflichtet fühlte, rächte sie sich in dem „Stolz“, den sie mir beständig vorwarf, durch eine Menge kleiner Tücken, mit denen sie mich in meinen Wünschen und Neigungen zu verwunden, meine Geduld zu ermüden hoffte. So erlaubte sie mir auf der Reise, wenn wir in die sehenswürdigsten Städte und Gegenden kamen, niemals, das Hotel ohne sie zu verlassen, um meine Schaulust zu befriedigen. Sie selbst kannte bereits alles und fuhr dann mit mir nur im halbgeschlossenen Wagen aus, um etwas frische Luft zu schöpfen.

Ich hielt aber ohne Murren bei ihr aus. Eine innere Erschöpfung jedes eigenen Willens, eine Lähmung meines Ich war über mich gekommen, ich erschien mir selbst, wie ein pendelnder Automat, der sich geduldig jeden Tag aufziehen ließ.

Uebrigens war der Umgang mit dieser bösen alten Frau nicht ganz ohne Reiz. Sie hatte einen hellen Verstand und eine scharfe Zunge und fand ein besonderes Vergnügen daran, mein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_780.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2017)