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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 49.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Einsam.

Roman von O. Verbeck.

     (18. Fortsetzung)

39.

Der frühe Herbstabend brach herein; aber ein milder, lieblicher Abend, der nicht an die Jahreszeit gemahnte. Die Sonne war hinab. Nur der letzte Nachglanz ihres Scheidegrußes schwebte in blaß rosig schimmernden, zerstreuten Wölkchen am durchsichtigen Himmel. Der leichte spielende Wind war schon eher als die Sonne schlafen gegangen, und in der Pracht ihres vielfarbig leuchtenden Sterbekleides standen Bäume und Büsche ohne Regung im verdämmernden Licht.

Von seinem Bett aus konnte Ludwig gerade die riesige alte Silberpappel sehen, um deren Stamm sich bis fast zum Wipfel hinauf die Ranken des jetzt schon blutrot verfärbten wilden Weines schlängen. Still, träumerisch, als hatten sie vergessen, wie rastlos sie tagsüber beim leisesten Windhauch auf ihren leichtbeweglichen Stielen silberschimmernd geflackert hatten, standen die Blätter der Baumkrone wie eine Federzeichnung von unnachahmlicher Feinheit vor dem dunkler und dunkler werdenden Himmelshintergrunde; verschwammen allmählich zu der leise niedersinkenden Nacht zu einem gestaltlosen Schattengebilde.

War er eingeschlafen?

Hanna, auf ihrem Sessel neben dem Bett, neigte sich vor; es war schon beinahe finster im Zimmer, doch um den Kranken nicht aufzustören, hatte sie schon minutenlang keine Bewegung mehr zu machen gewagt.

Nein, er wachte; wenigstens hatte er die Augen offen. Aber um sein fieberndes Hirn lag wohl dichter Nebel. Unverwandt schaute er auf dieselbe Stelle, schräg über das Bett hin zum Fenster hinaus. Doch sah er, ohne zu sehen. Von der nächtlichen Dämmerung wußte er wohl nichts. Durch Kissen und Polster unterstützt, lehnte er halbaufgerichtet, mit etwas zurückgesunkenem Kopf. Der Atem ging kurz, hastig, oberflächlich, zeitweilig von einzelnen rauhen Hustenstößen unterbrochen. Von der abendlichen Fiebermessung, die eine erschreckende Höhe zeigte, hatte er gar keine Notiz genommen, gar nicht mehr gefragt „Wieviel?“ wie er es die andern Male so eifrig gethan hatte.

„Es steht ernst um ihn,“ hatte Meinhardt gesagt. „Wir dürfen uns das nicht verhehlen. Ich gehe nur scheinbar fort, um ihn nicht aufzuregen. Ich bleibe für die Nacht im Hause.“

Nun wußte sie ihn im Nebenzimmer. Das war ein rechter Trost.

Ihr Herz war schwer von einer großen, angstvollen Traurigkeit. Unklare Gedanken, Hoffnungen, Wünsche drängten sich um sie, stiegen auf, sanken zusammen. Wie rankendes Schlinggewächs umklammerten sie die neu aufgeschossenen Selbstvorwürfe. Angesichts dieses Todkranken, dieses wehrlos niedergeworfenen wußte sie keine Anklage mehr, als die gegen ihre eigene Feigheit, keinen Vorwurf, als den gegen ihre Herzensblindheit. Etwas mehr als nur stumme Duldung, ein Schritt über die Grenze dumpfer, öder Ergebung hinaus – und manches zwischen ihnen beiden

Raffael stellt sich als Schüler bei Perugino vor.
Nach einer Statuette von G. Mühlenbeck.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_805.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)