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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

der hochfahrenden Miene Frau Selmas, die er jetzt wieder erkannte, auf der Hochzeit damals hatte er sie nur flüchtig betrachtet. „Schicken thut mich niemand, und bestellt ist auch nichts bei mir. Ich bin befreundet mit Frau Thomas und hatte eigentlich nach ihr gefragt. Ich wollte mich mit meinem Kirchenchor für die Beerdigungsfeierlichkeit zur Verfügung stellen. Bei der Hochzeit haben wir gesungen und, als die arme Frau Wasenius starb, auch.“

„So, so. Ja, ich bedaure, Sie nicht beschäftigen zu können. Es sind bereits Domsänger bestellt.

Günther starrte sie an. „Entschuldigen Sie, – Hanna – Frau Thomas kann doch unmöglich – wie kommt sie denn auf den Domchor?“

„Meine Schwägerin, die leidend ist, kümmert sich um nichts und hat die Sorge für die Trauerfeier ganz auf mich abgeladen. Der Domchor ist so doch das Nächstliegende, besonders bei einer Feier, wo es nicht auf die Kosten ankommt.“

Günther wurde rot. „Wir singen nicht für Geld,“ sagte er. „Uns wäre es einfach Herzenssache. Hannas wegen! Fragen Sie doch, bitte, Frau Thomas, wen sie lieber will, den Domchor oder uns.“

„Da ich die Verantwortung für das Ganze übernommen habe, kann ich mich unmöglich wegen jeder Einzelheit nach persönlichen Wünschen erkundigen. Uebrigens ist die Sache schon erledigt, da ich mit dem Domchor fest abgeschlossen habe.“

In Günther kämpfte die natürliche Schüchternheit vor allem, was ihm von oben herab – wirklich oder figürlich – über den Kopf kam, mit dem Verdruß über diese Maßreglung, die ihm sein gutes Freundesrecht beschnitt. Frau Selmas imposante Größe und ihr Hochmut beklemmte ihn, ihre unliebenswürdige Härte reizte, was Widersetzlichkeit in ihm war.

„Könnte ich Frau Thomas wohl persönlich sprechen?“ fragte er, etwas unsicher zwar, aber mit dem vergnügten Untergefühl: ich mucke auf.

„Meine Schwägerin ist leidend, wie ich Ihnen schon vorher sagte, und empfängt nicht.“

„Ueberhaupt niemand?“

Frau Eggebrecht maß den zudringlichen Menschen mit einem Blick, der ihm nicht wohlthat, aber ehe er sich, wie es sicher die Absicht war, von ihr vor die Thür gesetzt sah, kam August herein, ganz starre Höflichkeit, mit halbgeschlossenen Augen.

„Ich habe Herrn Günther bei gnädiger Frau gemeldet. Gnädige Frau lassen bitten.“

„Aha!“ entfuhr es Günther erfreut. Seine Abschiedsverbeugung blieb wirkungslos; sie traf nur noch Frau Selmas Rücken.


41.

„Na, mein liebes, gutes Hannichen, nun ist ja alles – –“

Günther stockte und blieb an der Thür stehen, die August hinter ihm geschlossen hatte. Er war im Begriff gewesen, zu sagen: Nun ist ja alles gut, nun schöpfen Sie kräftig Atem, nun fangen Sie das Leben von vorne an, gottlob ist ja noch nicht allzuviel Zeit verloren!

Diesem vergrämten Gesicht gegenüber ging seine Fassung in die Brüche, so schnell wie seine Beredsamkeit.

„Was ist denn los?“ stieß er, nähertretend, heraus.

Eine ziemlich seltsame Frage im allgemeinen, wenn man eine Witwe zwei Tage nach dem Tode ihres Mannes besuchen kommt. Aber er hatte etwas andres zu sehen und zu hören erwartet, als er nun fand. Er hatte erwartet, daß sie ihm, dem Freunde aus alter Zeit, das tiefe, befreiende Aufatmen nicht verhehlen werde, das ihr die allzulang beengte Brust doch heben mußte, nachdem sie von ihrem schweren Joch erlöst war. Zugegeben, daß sie ein Joch trage, hatte sie ja nicht. Aber er hatte es gewußt, als ob sie es ihm gezeigt hätte. Und sie hatte gewußt, zum mindesten ahnen müssen, daß er es wußte. Zu sprechen wäre auch jetzt nicht nötig gewesen. Vieler Worte bedurfte es zwischen ihnen nicht. Aber anders aussehen hätte sie müssen. Ernst, aber aufrecht. In der tiefen Stimme kein Jubel – aber Neuklang, Befreiung, Leben! Die da saß aber, die schien ihm eine tief niedergedrückte bekümmerte Frau.

„Hannichen,“ sagte er unsicher, indem er vor ihr stehen blieb und eine ihrer matten, schlaffen Hände ergriff und schüttelnd drückte. Sie deutete auf den Stuhl ihr gegenüber. Er nahm ihn und setzte sich. Vor ihren Augen, die sich mit Thränen füllten, nicht zum erstenmal, das sah er wohl, vergingen ihm nun völlig die Worte.

„Liebes Güntherchen – ich bin sehr traurig.“

Wie leise sie sprach, und wie mühsam. So recht wie einer, der in Schmerzen eine lange Weile hat schweigen müssen. Günther rückte unruhig auf seinem Sessel.

„Ich dachte gar nicht,“ stotterte er mit einem hilflosen Blick, „daß Sie ihn – –“ es wollte nicht heraus. Das war doch einfach undenkbar, daß sie diesen Satansbraten geliebt haben sollte!

„Ich kann nicht darüber sprechen.“ fuhr Hanna mit zitternder Stimme fort. „Heute wenigstens nicht, wie ich Ihnen erklären könnte, warum – warum mir so elend zu Mute ist.“

„Mein gutes Hannichen,“ sagte Günther nun zuredend, wie man ein betrübtes Kind zu trösten sucht, „das ist so der Uebergang. Sie werden schlimme Tage gehabt haben.“

Hanna nickte. „Sehr schlimme.“

„Na sehen Sie, das greift die Nerven an, natürlich. Warten Sie nur vier Wochen, dann sehen Sie schon anders aus den Augen.“

Weiter konnte es ja nichts sein. Sie war offenbar greulich herunter. Das Unsal mochte sie wohl bis zum letzten Augenblick gequält haben. Und die Pflege hatte sie noch um ihr bißchen Kräfte gebracht.

„Sie sind eben abgerackert und entzwei. Das kommt ja alles wieder. Das Leben ist noch lang.“

Hanna starrte vor sich hin und schwieg.

„Sagen Sie mir,“ begann sie nach einer endlosen Pause, die ihm sehr ungemütlich geworden war, und die er doch nicht zu unterbrechen gewagt hatte, „wenn Sie einen Chorsatz einüben und Ihre Sänger kommen herunter, halten die Stimmung nicht, schließen unrein ab – was thun Sie dann?“

„Nu, das wissen Sie ja. Das kennen Sie ja. Ich lasse von vorn anfangen, und an der gefährlichen Stelle, wo es hapert, da stauche ich sie drauf mit den geehrten Nasen und lasse wiederholen, einzeln zusammen, unerbittlich, bis es stimmt.“

„Sehen Sie, das ist es! Wiederholen, üben, besser machen, Sie können das mit Ihrem vierstimmigen Chor. Ich – hab' es bei dem zweistimmigen Lied nicht fertig gebracht, den Ton zu halten. Ich habe die gefährliche Stelle nicht bemerkt, als bis es zu spät. war, bis der Dirigent den Taktstock weggeworfen hat für immer. Nun kann ich nicht mehr üben, nun kann ich nicht mehr wiederholen. Es ist aus. Vorbei. Ich habe unrein abgeschlossen, sehen Sie. Und an diesem Mißton – vergeh' ich.“

„Potz, Donner und Hagel!“ brach Günther los. „Das ist ja, um auf die Bäume zu steigen! Was! Sie wollen sich gar noch anklagen, Sie arme Märtyrerin –“

Mit einer zuckenden Bewegung hob sie rasch die Hand.

„Lassen Sie das Wort,“ unterbrach sie ihn rauh. „Es paßt nicht. Lassen wir das Ganze überhaupt. Es nützt nichts, darüber zu reden. Es redet sich auch schlecht darüber.“

„Wenn Sie nicht wollen, Hannichen – quälen werd' ich Sie doch nicht! Was denken Sie denn?“ Und nach einer neuen Pause, in der sie wieder ganz in ihr Grübeln versank: „Ja – was ich denn sagen wollte – mit unsrer Singerei ist es also nichts, morgen?“

„Wieso? Hat meine Schwägerin –“

„Abblitzen hat sie mich lassen, aber gehörig. Domsänger hat sie bestellt. Eine thatkräftige Dame, alle Wetter! Lassen Sie sich das einfach gefallen, daß sie hier im Hause herumturnt, als wenn sie der Herr wäre?“

Hanna war dunkel errötet.

„Domsänger?“ murmelte sie und stand auf. Sie machte einige Schritte auf die Thür zu. Aber sie kehrte wieder um.

„Ich bitte Sie herzlich, lassen Sie alles gehen, wie es geht“, sagte sie leise, mit ergebener Stimme. „Lassen Sie sie nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 808. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_808.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)