Seite:Die Gartenlaube (1897) 831.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

indem sie den Schleier zurückschlägt;

er hat das schöne blühende, verweinte Gesicht dicht vor sich, die erregten Augen blitzen im Halbschatten … mein Gott, das ist all das Rüstzeug süßer Waffen, das ihn einst zu ihren Füßen niedergezwungen, und es durchzittert ihn wie am ersten Tage, wo er in der Pferdebahn ihr gegenüber gesessen …, eine Tote wird vor ihm lebendig, das Liebste, was er begraben … wie Sturm in erstickende Glut fährt es, die dumpfe Kirchhofsruhe seines Innern jäh aufstörend … quält ihn, als müsse er zur Erleichterung die Arme breiten … was hat er verloren? Das Glück, das einzige nennenswerte, die Sonne, den Sommer, eingetauscht für die nüchterne, kahle, eintönig dämmernde Steppe von Ruhe …

A-h! Weg damit!

„Ueber diesen Punkt haben wir genug diskutiert, meine ich. Du glaubst glücklicher zu sein ohne mich … in dieser Hölle, wie du zu sagen beliebtest, ist’s still, seit du fort bist … die Kinder sind mein … ich will nicht, daß du unsern Frieden wieder aufwühlst. Ich will’s nicht!“

Er spricht zuletzt hart, drohend. „O – sagt sie mit fliegendem Atem, „aber ich will’s! Noch sind wir nicht geschieden, noch bin ich Herrin hier im Hause, kann hierher zurückkehren …“

In diesem Augenblick sagt dort ein Stimmchen hinter der Thür:

„Mama, liebe Mama!“

„Max –“ schluchzt sie auf. „Maxi … zurück!“

Ratlos prallt er beiseite vor diesem überwältigenden Ausbruch von Muttersehnsucht; sie reißt die Thür auf und liegt vor ihrem Kleinen auf den Knien und der Mann hört die erstickenden Küsse und die heißen abgebrochenen Laute, die von Unaussprechlichem stammeln.

Finster steht er, überblickt den Flur … da steht ein großer Waschkorb: Geschenke für die Kinder, sagt er sich.

Er kann, was jetzt geschieht, nicht hindern; in der That, er hat kein Recht dazu. Er kann sie nur mit einer Brutalität entfernen, und sie kann mit der Polizei wiederkommen. Er ist erbittert … was soll das werden, sie nimmt ihm die Kinder für heut’ … für lange … er hat ihnen einst gesagt, sie sei weit fortgereist …“

Was nun? Was thut er? „Hedwig!“ ruft er. Und das Mädchen erscheint „Eine Lampe- in das – Zimmer da!“

Er geht in sein Rauchzimmer, bei der Treppe, neben der Eingangsthür, läßt die Thür offen, bis die Lampe kommt. Ein komfortables Herrenzimmer. Er zündet sich eine Cigarre an und geht brütend auf dem Teppich hin und wieder, ein freiwillig Verbannter.

Nun sieht er nach der Thür; ewig kann das nicht dauern, die Kinder müssen schließlich doch zu Bett.

Die Scenerie drüben im Salon schwebt vor ihm: die selige Mutter mit den lang entbehrten Kindern. Welch ein Weihnachtsabend ist das nun geworden! Diese Mutter, dies schöne, heißblütige Weib, das sein gewesen … es ist schrecklich, aber es ist wahr. Jetzt erst ist es wieder, als wäre das Haus bewohnt.

Stimmen und Stimmchen draußen – ihre Stimme mit dem lachenden Metallklang, der ihm immer im Ohr geblieben; sie holen den Waschkorb, er hört ihn knistern …

Wieder Stille.

Er steht, und auf einmal durchbebt’s ihn, als stünde sie vor ihm wie vorhin, den Schleier aufgeschlagen, ihr Hauch trifft ihn warm, der schwüle Dunst ihrer fieberhaften Erregung, er fühlt ihre Nähe, wie einst … wie einst … Täuschung – aber … mein Gott, warum ist das vorbei?

Diese trostlose Oede, zu der er sich hier verdammt hat! Warum kommt man nicht, ihm zu sagen, daß die Kinder auch nach ihm verlangen?

Er raucht, raucht – wird diese Cigarre zu Ende rauchen, dann gehn und die Kinder zu Bett schicken. Immer sieht er im Geist die Frau, die Mutter, mit den Kleinen … dazwischen sieht er nach der Uhr, wohl zehnmal.

Endlich ist’s soweit.

Er hat Herzklopfen, aber er geht.

„Papa – Papa – hat Weihnachtsmann auch gebracht,“ sagt Maxi und hält ein Kaninchen auf Rädern. „Das hier auch, Papa …“

„So so. – Jetzt wird’s aber höchste Zeit, daß ihr zu Bett geht.

„Mama bringt uns zu Bett,“ spricht Edi.

Dort steht sie, bläst die letzten Lichter am Baume aus. Ihre Ueberkleidung liegt auf der Sofalehne, der Hut drauf. Sie hat ein graues Kleid an, das er kennt … und das ist das schöne, weiche Haar am Hinterkopf, das er auch kennt, so dick aufgenommen.

„Gut, aber es ist schon sehr spät für euch …“

„Ich gehe gleich mit den Kindern,“ sagt sie ohne Affekt, ohne ihn anzusehen.

„Gute Nacht, lieber Papa!“

„Gute Nacht, mein kleiner Junge … gute Nacht, Edi.“

Er küßt die Kinder, sie geht an ihm vorüber, ins Wohnzimmer, dreht sich um: „Kommt!“ Ein scheuer Augenblitz streift ihn. Und die Kinder trippeln ihr nach.

Er wird hier auf die Mutter warten, wird noch ein paar ernste Worte mit ihr reden … das geht so nicht, sie muß künftig ihn und die Kinder in Ruhe lassen!

Und er wandelt wieder auf und ab und überlegt, was er sagen soll – dazwischen fällt ihm ins Auge, was sie den Kindern mitgebracht hat …

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_831.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)