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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

malerisch gebärdete. Von links her, über die Landstraße und eine breite Wiese, die Kuhweide, hinweg, blinkerte in der Sonne das Wasser des Dahmeflüßchens. Ein bescheidener, landschaftlicher Reiz.

Vom Gangfenster aus sah Hanna sich nun über den Hof hin nach Bertha um. An dem schon minutenlang andauernden dumpfen Pochen hatte sie erkennen können, womit das Mädchen beschäftigt war. Eben hob es den runden kräftigen Stab mit dem S-förmigen scharfen Stampfeisen aus dem breiten Bottich und klopfte es am Rande ab.

„Bertha, hast du noch viel zu thun oder kannst mir dann helfen, das Zimmer umstellen?“

„Noch eine zehn Minuten, Frau Thomas, ja? Bloß noch das Schweinefutter. Hören Sie doch man, wie die Bande wieder kreischt! Die Ziegen haben schon. Ich komme dann sofort.“ Daß der Lärm, den die Schweine in ihrem Koben vollführten, noch keine Hungersnot bedeutete, wußte Hanna nun schon. Sie stellten sich ja vor jeder ihrer regelmäßigen Mahlzeiten so an, als ob sie am Verscheiden wären. Mit einer Bewegung der Ungeduld verließ sie das Hoffenster und ging in die Eckstube zurück.

Mutter Krügern kam jetzt aus ihrer Küche zu Bertha heraus.

„Jeh’ man immer,“ sagte sie und nahm dem Mädchen die Stampfe aus der Hand. „Wasch’ dir de Hände und jeh’ rin. Ick werd’s schon fertig machen. Laß ihr nich unnetig warten. Es muß irjendwat los sind, sie is so unruhig. Vorhin kam sie mit so’n merkwürdijet Jesichte den Korridor lang un sah mir jar nich. War nich Lüders da mit Briefe?“

„Ja, zwei hat er gebracht. Der eine war jedenfalls vom Paster, da hatte sie ja schon drauf gewartet. Den andern kuckte sie so komisch an, so als wenn sie sich mächtig wunderte.“

„Sagte se wat?“

„Kein Wort. Ging ja auch gleich wieder hinter in den Garten.“

„Denk’ an mir, da is wat los, oder ick will Suse heeßen.“

Nach einer guten Stunde wußte sie was los war. „Is ’t de Möglichkeit!“ sagte sie hoch aufhorchend, als Bertha ihr berichtete, wer gleich nach Tische erwartet werde. „Dunderkiesel! Einer von dazumal? Wat will er denn? Ick denke, der hat alleene nischt?!“

„Er kommt auch bloß Abschied nehmen,“ sagt sie, „er geht weg von Berlin.“

„Wo denn hin?“

„Hat sie nich gesagt, ich glaube sie weiß es gar nich.“

„Mach’ mir nich dumm. Wo wird sie denn det nich wissen? War sie sehr bedrippt?“

„Könnt’ ich nich behaupten. Nee, sie erzählte das so ganz ruhig, so nebenher, wie wir da räumten. Und ich sollte mir im Garten was zu thun machen und die Gitterthür im Auge behalten, damit daß er nich dran vorbeiläuft, weil sie doch so schmal und unscheinbar is. Sonst kommt er das ganze Grundstück lang bis zum Hofthor und da haben sich die Köter immer so gräßlich.“

„Ja, ja. Kannst Bohnen pflücken.“ Mutter Krügern stand noch ein Weilchen sinnend da und rieb sich die Nase.

„Ick weeß nich,“ sagte sie endlich, „die Sache scheint mich doch sengerig. Abschied. So uf enmal, wo se sich doch nu schon seit ’n Jahrner viere, fünfe nich mehr zu sehen jekricht haben. Det wäre denn doch jar nich mehr netig jewesen! Will mir mit Jewalt nich rin im Kopp. Paß Achtung, Mächen, wat ick dir sage: er hat ne hibsche Brotstelle jekapert“ – „Nu denn brauch er doch aber nich –“

„Laß mir doch ausreden. Wo wird er denn da jleich mit ’rausbullern. Denn verschrickt sie sich doch un brennt ihn durch, du weeßt doch, wie sie is, will ja von nischt nich wissen. Drum stellt er sich ganz unschuldig und schlängelt sich so sachte ’ran. Laß den man erst hier sind, denn wird er se de Fletentene schon beibringen. Heit Abend feiern wir Verlobung un ufn Herbst, wenn ’t Trauerjahr alle ist, wird Hochzeit jemacht.“

„Mutter, du bist immer so flink vorneweg mit deine Ahnungen. Täusch’ dir man nich wieder. Ich weiß nich – gönnen thät’ ich’s ihr ja natürlich furchtbar!“

„Wer denn nich? Da hier is doch keen Leben uf de Dauer. Da muß sie ja immer elender un trauriger bei werden. Onkel sagte noch jestern: Ick denke manchmal, sie is schon jestorben un thut man noch so. Mir wundert bloß, daß sie sich iberhaupt noch in ’t Bette schlafen legt, warum nich jleich in ’t Sarg?“

„Onkel is recht scheußlich. So was müßt’ er doch nich sagen, wo sie einen doch so dauert.“

„Na, dauert sie ihm denn etwa nich, du olle Drömlade? Dir kebert’s woll? Det meente er doch ebend, daß det en Jammer is, daß sie keene Traute mehr hat zu nischt in de Welt. – Na, nu aber man dalli, dalli, daß wir wat zu essen kriejen! Vater wird jleich ran sind.“

45.

Bald nach zwei Uhr traf Rettenbach ein. Ohne lauten Hundewillkomm ging es aber doch nicht ab. Packan, der Bertha an das Gartenthürchen nachgegangen war, konnte nicht wissen, daß der Eintretende ein Gast sei, und begrüßte ihn mißtrauisch, wie jeden Unbekannten. Molly auf der Hofseite hatte nicht sobald den Freund anschlagen hören, als er wie besessen um das Haus herumgerast kam, um ihm bei der Verteidigung des Burgfriedens beizustehen.

Rettenbacher wehrte mit ruhigem Lachen die beiden pflichteifrigen Köter ab.

„Kommen noch mehr?“ fragte er Bertha, die Packan am Halsband hielt und ärgerlich beschwichtigte.

„Nee, Gottlob. Die machen gerade genug Skandal. Es is bloß, daß wir sie brauchen. Treten Sie näher, Herr Doktor, bitt’ schön. Frau Thomas is drin in der Stube. An der Thür trat ihm Hanna entgegen. Sie sprachen beide zuerst kein Wort. Er hielt ihre zögernd dargereichte Hand fest in der seinen und sah ihr in die Augen und, als die sich flüchtend senkten, an der kümmerlichen Gestalt herab und wieder aufwärts in das schmale farblose Gesicht, das dem zartblühenden Mädchenantlitz von einstmals fast nicht mehr ähnlich sah. Und wie unergründlich still es war, wie tödlich verschwiegen. So anders verschwiegen als zu den Zeiten, in denen er mit ihr und der Mutter lebte. War sie jetzt erschüttert bei diesem Wiedersehen nach so langer Zeit? Oder auch nur bewegt? Er würde es nicht erfahren, so schien ihm. Hatte die Vergangenheit keine Augen, keinen Atem mehr? Lag sie eingesargt? Was war übriggeblieben?

Ein Gefühl wie beginnende Lähmung sank ihm auf die Schultern, von ihren kühlen, reglosen Fingern schlich es kalt zu ihm hinüber. Er drückte sie aber fester, schüttelte sie auch ein wenig, er spürte dann als erstes Lebenszeichen ein leichtes Zittern in ihnen. Standen und schwiegen sie schon eine Stunde so? Doch wohl nur Sekunden. Aber er schrak beinahe zusammen, als sie nun mit einer Stimme, so farblos wie ihr Gesicht, mit neuem, flüchtig lächelndem Aufblick sagte: „Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen?“

„Mir geht’s gut,“ antwortete er, tief Atem holend und sich straffer aufrichtend. – Heiter! flog es ihm durch den Kopf. Frisch! Aufstören aus dieser vorzeitigen Grabesruhe! – „Mir geht’s sogar ausgezeichnet. Aber Sie find’ ich noch nicht so erholt, nach diesen Monaten der Ruhe, wie ich es gehofft hatte.“

Sie entzog ihm jetzt ihre Hand und machte damit eine abschneidende, endigende Bewegung.

„Von mir wollen wir, bitte, gar nicht sprechen. Sie sind gekommen, mir zu erzählen, was Sie von Berlin wegführt. Für diese Freundlichkeit dank’ ich Ihnen sehr. Bitte, setzen Sie sich – hier – und nun fangen Sie an.“

Rettenbacher nahm den ihm bezeichneten Stuhl. Sie selbst saß – wie gut kannte er ihn – in dem großen Korbsessel der Mutter, nur daß die meisten Kissen fehlten und auch das schwebende Fußbrettchen. Er sah sich langsam um.

„Lauter alte Bekannte“ sagte er halblaut, mit einem weichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_859.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)