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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Aristokratie immer höher; etwa um 1536 wurde er Hofmaler mit hohem Gehalt; als solcher hat er Heinrich VIII. und die Damen, die nacheinander Gemahlinnen des Königs wurden, und auch Prinzessinnen, die es werden sollten, porträtiert, Entwürfe für die Goldschmiede des Königs gezeichnet, auch noch jetzt hier und da ein großes Wandbild geschaffen.

Erasmus von Rotterdam.
Gemälde in der Sammlung des Lord Folkestone.

Seine Hauptarbeit waren freilich die Porträts der königlichen Familie und des englischen Hochadels.

Die letzten Arbeiten haben nicht mehr das frische feurige, bald ergreifende, bald liebenswürdige Wesen der frühesten Schöpfungen.

Mit ruhigem Blicke hat er einfach und schlicht, oft etwas nüchtern, oft mit imponierender Großartigkeit die Menschen dargestellt, die er vor sich sah. Waren aber in Basel seine Fassaden und seine Bücherdekorationen wenn auch nicht das Bedeutendste, so doch das Formvollendetste, was er geschaffen, so staunt man jetzt über die vollendete Grazie in seinen Entwürfen für die Londoner Juweliere und Tischler.

Bei Anlaß einer Reise auf den Kontinent hat er auch noch einmal Basel besucht und wurde da als berühmt gewordener Mitbürger vom Rate hochgeehrt, während er seinerseits für Frau und Kinder reichlich gesorgt hat.

Einen liederlichen Lebenswandel, wie die Tradition berichtet, hat Holbein nicht geführt. Aber freilich sehr innig scheint das Verhältnis mit der Gattin nicht gewesen zu sein; sie blieb eine biedere Handwerkersfrau, während der Mann in England immer mehr zum großen Herrn wurde.

Kann nun auch dieser weltgewandte Odysseus für uns nie das sein was uns Dürer ist, so hat doch auch er eine Tugend besessen, deren sich der Deutsche vor andern rühmt, und das ist der Wahrheitssinn, die Sachlichkeit; denn mit der Treue unserer großen Geschichtschreiber hat dieser Künstler deutsche Gelehrte und den englischen Adel geschildert. Außerdem besaß Holbein auch noch etwas für den Deutschen damaliger Zeit fast Fremdartiges: einen Sinn für Maß und Form, für Schönheit und Anmut, der bei einem nordischen Künstler jener Zeit wie ein Klang aus einer südlichen heiteren Welt anmutet.

Das allbekannte Porträt in Basel, das irrtümlich als sein Selbstbildnis ausgegeben wird, stellt nur einen liebenswürdigen, harmlosen, feinen, aber nicht sehr bedeutenden Menschen, wahrscheinlich einen Kaufmann aus der deutschen Kolonie in London dar – jedenfalls keinen Künstler in dem Augenblick, wo er sich selbst im Spiegel betrachtet, um sich zu porträtieren. Dagegen lernt man in seinem Selbstporträt aus seinem letzten Lebensjahre (S. 857) eine kernige Natur von durchdringendem scharfem Blick kennen, einen genialen, aber kühlen Verstandesmenschen, und dieselben Züge verrät schon im Keime die Silberstiftzeichnung, die sein Vater von ihm entworfen hat.



Der Stoandlnarr.

Eine tiroler Geschichte von Rudolf Greinz.

(Fortsetzung.)


Die beiden Brüder trugen den Toten in die Stube, wuschen ihn und zogen ihm ein trockenes Gewand des Romedi an. Dann legten sie den Leichnam auf eine Bank, mit einem brennenden Licht zu Häupten und einem Weihwasserkessel zu Füßen. Die Hände hatten sie dem Kurzweger gefaltet, ihm ein Kreuzlein dazwischen gegeben und einen Rosenkranz um die Finger gewunden.

Dann holte der Romedi seinen eigenen Rosenkranz aus der Tasche und begann laut vorzubeten: „Herr, gieb ihm die ewige Ruh'!“ – „Und das ewige Licht leuchte ihm!“ fiel der Bruder ein. „Herr, lasse ihn ruhen im Frieden!“ Jedes Gefühl von Feindschaft oder Bitterkeit war aus der Brust des Romedi verschwunden. In diesem Augenblick war er sich nur der Pflicht eines jeden Christenmenschen bewußt, für die Seelenruhe des Toten zu beten. Da man es bei der finstern Nacht nicht recht wagen konnte, mit der traurigen Last den Abstieg ins Dorf zu unternehmen, wollte man bis zum Anbruch des Tages warten und dann den schweren Weg antreten.

Als die beiden Brüder zusammen den Rosenkranz fertig gebetet hatten, begab sich der jüngere in die Holzschupfe, um eine Tragbahre aus Stangen und Aesten herzurichten, während der Romedi die Totenwache hielt. Im ersten Schrecken war es diesem gar nicht eingefallen, darüber nachzudenken, ob der Kurzweger verunglückt sei oder selbst seinem Leben ein Ende gemacht habe. Jetzt kam ihm plötzlich der Gedanke, daß man bei solchen Unglücksfällen auch die Kleider des Verunglückten zu untersuchen pflegt. Das Gewand des Kurzwegers lag in einem Bündel auf der Stubenbank, gerade im Herrgottswinkel, wohin man es in der Eile gebracht hatte.

Der Romedi nahm Stück für Stück vor, fand aber nicht mehr als ein kurzes Messer, eine Taschenuhr an stählerner Kette und einen ledernen Geldbeutel. Als er letztern öffnete, fielen drei Kreuzer, ein Gnadenpfenniglein der Muttergottes von Absam und ein grauer Lotteriezettel heraus.

Auf die Rückseite des Zettels waren einige Worte mit Bleistift gekritzelt. Der Romedi rückte sich die Kerze näher, um sie zu entziffern. … „Ich kann die Schande nicht überleben. Ich mache meinem verlorenen Dasein freiwillig ein Ende. Gott sei mir gnädig!“ stand da zu lesen, und dann noch ganz unten, kaum zu enträtseln: „Gelobt sei Jesus Christus!“ – Danach drei Kreuze.

Also ein Selbstmörder! Der Romedi warf einen scheuen Blick auf den Toten. Das flackernde Licht zu Häupten des Kurzwegers ließ seine Züge noch verzerrter erscheinen.

In rascher Folge ging dem Romedi alles durch das Hirn, was nun weiter geschehen würde. Man würde dem Selbstmörder ein christliches Begräbnis verweigern, man würde ihn weder daheim, noch in der Totenkapelle aufbahren, sondern in einem ungehobelten Tannensarg aus sechs Brettern unter Gottes freiem Himmel bei dem hochragenden ziegelroten Missionskreuz! Man würde ihn vor Tagesanbruch ohne Geläut und ohne Geistlichen verscharren in jener ungeweihten Ecke des Friedhofs, wohin der Totengräber den Kehricht wirft. Nicht einmal einen Grabhügel würde man aufwerfen, sondern die Erde ebnen. Kein Kreuz oder sonstiges christliches Zeichen würde die Stätte bezeichnen. Vielleicht, daß ihm eine mitleidige Hand ein in Weihwasser getauchtes Buchsbaumzweiglein in die Erde steckte!

Der Romedi hatte die Arme über der Brust verschränkt und schaute unverwandt auf den Toten. Der da lag, hatte sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_867.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)