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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Ja, mit einer Kleinigkeit ist da nicht mehr g’holfen. Bist du denn auch im Besitz der erforderlichen Mittel?“ erwiderte der Adjunkt, während sich ein Kreis von Neugierigen um die beiden sammelte.

„Vielleicht langt’s,“ klopfte der Romedi auf seine Brusttasche. „Kaiserlich’s G’schloß darf’s freilich kein’s kosten. Dös kann so a armer Stoandlnarr nit erschwingen!“

Der Kramer Luis hatte sich jetzt ebenfalls ganz in die Nähe der Unterhandelnden gewagt und schoß tückische Blicke nach dem Romedi. Der Adjunkt nannte die Summe der Hypothek.

„Sakra! Sakra!“ kratzte sich der Romedi hinter den Ohren „da wird’s völlig nit langen! Jatz müßt’s schon a bisserl Geduld haben, Herr Grichtsherr,“ wandte er sich wieder an den Adjunkten, „bis i mein Gersterl gezählt hab’.“ Er brachte umständlich eine große lederne Brieftasche zum Vorschein entnahm ihr einen stattlichen Pack Banknoten und ein abgegriffenes Sparkassabuch und reichte beides dem Adjunkten hin. Dieser nahm eilig Einsicht in den Besitzstand des Romedi, meinte jedoch bedauernd „Zur Deckung der ganzen Hypothek reicht das freilich nicht. Aber vielleicht läßt der Gläubiger den Rest noch auf dem Hof stehen?“

„Nix lass’ i stehen, gar nix! Alles muß auszahlt werden!“ zeterte der Luis, der gleich den übrigen, die sich um den Tisch geschart hatten mit wachsendem Erstaunen die erhebliche Summe betrachtete, die der Romedi dem Gerichtsbeamten übergeben hatte.

Der Romedi erwiderte auf den Einwurf des Kramers kein Wort. Nur einen kurzen Pfiff ließ er hören, nahm seine Banknoten und das Buch wieder in Empfang, steckte beides in die Brieftasche, band die Schnur darum fest, legte die Brieftasche auf den Tisch und setzte sich selbst breitspurig auf sein Eigentum, die Füße von der Tischkante baumeln lassend und dem ganzen wohllöblichen Gericht den Rücken zukehrend.

Eine Weile herrschte Schweigen. Der Romedi musterte seine Umgebung, übersah jedoch den Luis absichtlich, der ihn ängstlich beobachtete, als wenn er nichts Gutes ahnen würde.

„Lass’ mich amal trinken, bevor i red’!“ kehrte sich der Romedi auf dem Tisch mit einer halben Wendung nach dem Amtsdiener um, der ihm bereitwillig ein Glas voll Wein bot.

„Gar kein übler Tropfen!“ meinte der Bursch, indem er den Wein gleichmütig austrank und sich dann wieder zu den Bauern wandte, die ihn, neugierig auf das, was nun kommen werde, umstanden. „Jatz frag’ i enk g’rad’“, meinte dann der Romedi mit der größten Seelenruhe, „ob unter enk alle, wie’s da seid’s, kein einziger ehrlicher Mensch mehr z’finden is! Daß der da“ – er deutete mit dem Daumen der rechten Hand auf den Luis – „a Haderlump is, den der Teufel auf der Wanderschaft verloren hat, weiß i. Daß ös aber noch dem Lumpen helft’s, hätt’ i mir nit im Traum einfallen lassen!“ Er kam in Eifer. „A Schand’ is ’s und a Schmach! I kenn’ nit nur ein’ unter enk, dem, wie’s ihm knapp gangen is, der alte Praxmarer auf die Füß’ g’holfen hat mit Geld und Gutsteh’n! Und iatz hat’s ja völlig ’s Herschauen, als ob’s ös alle miteinander es nit erwarten könnt’s, daß die leibliche Tochter von demselben Praxmarer mit’m Bettelsack auf’m Buckl außi zieht von demselben Hof, wo so mancher von unserm Dorf a Sackl voll Geld außi tragen und damit seine Schulden zahlt hat! Schamt’s enk alle miteinander! Pfui Teufel!“

Ein Murmeln ließ sich unter den Umstehenden vernehmen. Es war eher für den Romedi als gegen ihn. Er war durch den „Tschüppel“ Banknoten, den er hatte sehen lassen, offenbar in der Achtung der Bauern bedeutend gestiegen.

„Recht hat der Romedi eigentlich schon und brav g’red’t hat er auch!“ ließ sich jetzt der Zirmer Jörg, ein Kleinhäusler vom Berg droben, vernehmen, den der Kramer schon einmal wegen einer kleinen Schuld hatte auspfänden lassen. „Aber unsereinem darf man’s nit für übel haben, Romedi, wann er sich nit rührt. I hab’ die Stuben voll Kinder und nix als die klare Not. Und was von derer noch übrig bleibt, mußt dem Steuerboten geben. Da is ’s g’hupft wie g’sprungen. Z’ Neujahr is halt dann der Geldbeutel wieder ak’rat so leer wie der Magen!“

„Von dir verlangt’s auch niemand!“ erwiderte der Romedi. „Aber von mir kann’s auch unmögli wer verlangen, daß i um a paar Tausender mehr ausbrüt’, wenn i noch länger da auf meiner Brieftaschen hock’!“

„Hol’ mich der und der!“ ließ sich da auf einmal die Stimme eines alten Bauern vernehmen, der bisher im Hintergrund verweilt hatte und sich jetzt zu dem Tisch durchdrängte. Es war der Hochlechner, Altvorsteher und gegenwärtig noch Kirchpropst, einer der angesehensten Bauern im Dorf. Jetzt stand er vor dem Romedi und schüttelte ihm kräftig die Hand. „Du bist a braver Mensch!“ meinte er. „Bei Gott und die vierzehn Nothelfer, i laß’ es nit g’schehen, daß sich der alte Praxmarer vor Kummer noch im Grab umdrehen muß! Wenn dir mit dei’m Antrag Ernst is, Romedi, so komm’ i für'n Rest auf – und guat is ’s, daß ’s wahr is!“ Dabei hieb der alte Hochlechner mit der geballten Rechten zur Bekräftigung seiner Worte derart auf den Tisch, daß die Tinte aus dem Geschirr und der Wein aus den Gläsern spritzte.

Der Romedi war vom Tisch heruntergerutscht und steckte seine Brieftasche wieder ein, während der Kramer Luis den Altvorsteher krampfhaft am Aermel zerrte. „Aber Hochlechner, du wirst doch nit dein gutes Geld in den über und über verschuldeten Hof stecken!“

Der Bauer riß sich mit einem unwilligen Ruck von dem Zudringlichen los und meinte spöttisch: „Is ’s etwa nit mein Geld? Oder bin i dir vielleicht auch was schuldi, daß dir so an mei’m Geld liegt?“

„Beileib’ nit!“ versicherte der Luis eifrig. „Aber dös hätt’ i mir nie denkt, daß du auf deine alten Tag’ noch leichtsinnig wirst!“

„Besser leichtsinnig als so a zacher Höllenbraten wie du!“ erwiderte der Bauer. „Uebrigens liegt mir jetzt mein Geld beim Praxmarerhof sicher g’nug, seitdem i eing’sehen hab’, daß du das ganze Anwesen nur aus elendiger Bosheit hast auf die Gant bringen wollen. Oder war’s vielleicht koa Bosheit nit, daß du dich mit dem Anbot vom Romedi nit hast z’frieden geben wollen? A jeder von uns wär auf dös bare Geld drauf tappt. Ang’sehen hat’s dich freilich. Dös hat man schon aus deine Augen kennt, aus denen der Geizteufel außi schaut. Aber die Bosheit hat dich nit lassen! Und siehst, Kramer, derer Bosheit dreh’ i jatz justament ’s G’nack um! Justament!“

„Thua’s nit! Thua’s nit!“ eiferte der Luis, dem der helle Angstschweiß auf die Stirn trat, da er sein Beginnen vereitelt sah. „Schau’, Altvorsteher i mein’ dir's gut!“

„Du und gut meinen!“ lachte der Bauer verbissen. „Weißt was, Kramer, den besten rauch’ i ohne dem schon lang’ nimmer gegen dich. Wenn du mir jatz aber noch ein einziges Wörtel sagst, nur noch ein einziges Wörtel, dann -,“ der Hochlechner holte mit der Rechten aus, während sich der Kramer furchtsam einige Schritte zurückzog.

Der Romedi schlug dem Altvorsteher auf die Schulter, daß es nur so „krachte“, und rief: „Hochlechner, heut’ bist du mir der liebste Mensch im ganzen Tiroler Land. Gern hab’ i dich alleweil g’habt, weil i g’wußt hab’, daß d’ a Herz im Leib hast. Siehst, und heit’ versprech’ i dir was! Paß’ gut auf: Wenn’s einen von uns zwei amal in’n Himmel treffen sollt’ und den andern noch auf a paar Jahrlen ins Fegfeu’r – und i wär der eine, der a bequem’s Platzerl im Himmel erwischt hat, meiner Seel’, i machet dir glei’ Platz, Altvorsteher, und ging’ für dich ins Fegfeu’r, deine Zeit drunten aberhocken!“

Die Umstehenden lachten. Der Altvorsteher meinte gemütlich: „Hoffentlich laßt uns der Peterl beide eini, bald wir amal daher tscholdern.“

Wenige hatten während der letzten Unterhandlungen auf die Emerenz acht gegeben. Sie war von ihrem Posten an der Thüre nicht gewichen – sie hatte alles mit angehört. Ihr Atem flog, und sie bebte am ganzen Körper, da sich ihr Schicksal jeden Augenblick entscheiden sollte. Es drängte sie mehrmals, dem Romedi zu Füßen zu stürzen. Dann schämte sie sich wieder, es hier vor allen Leuten zu thun. Wie würde er sie wohl aufnehmen? Wenn er sie hart zurückstieß? – Doch jetzt war ihr Schicksal entschieden. Sie brauchte nicht mehr hinaus ins Elend. Es litt sie nicht mehr länger an ihrem Platz. Mit wankenden Knieen ging sie auf ihren Retter zu. (Schluß folgt.)


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