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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Gelernt? Faktisch gelernt? Wahrhaftig? Du bist ja ein wahrer Schatz, Mädel!“ ruft er stehen bleibend und sie betrachtend, mit in die Hüften gestemmten Armen.

„Ja, ich hab’s gelernt, und da kein Geheimnis zwischen uns sein soll, will ich Ihnen – dir – auch sagen, warum. Ich war ein rechtes Stadtkind, von der Windmühlenstraße in Leipzig, konnte mir’s nirgends schöner denken als bei uns; aber dann, als ich zwanzig wurde, da habe ich auf der Hochzeit meiner Freundin einen Mann kennengelernt, den ich sehr lieb gewann, und der hatte ein Gut im Altenburgischen.“ Sie steht jetzt vor ihm mit niedergeschlagenen Augen, ganz blaß. Es wird ihr so namenlos schwer, von dem zu sprechen, was ihr noch immer mit heißer Scham in der Seele brennt, und sie glaubt sich doch verpflichtet, ihm dieses Stück Vergangenheit mitteilen zu müssen.

„Und?“ fragt er leise, „da ist etwas zwischen gekommen, Christel?“

„Ja!“ sagt sie tonlos, „er meinte kurz vor unserer Hochzeit, er könne ein armes Mädchen nicht gebrauchen.“

„Der Schafskopf!“ entfährt es ihm; dann einige Minuten tiefes Schweigen. Nur aus Christels Munde so ein kurzer Laut, als ersticke sie am Schluchzen

„Laß, Christel,“ bittet er endlich, „mach’ dich nicht traurig. Man muß immer denken, es hat so kommen sollen.“ Das ist alles, was er zu sagen weiß. Nichts, daß es ihm unangenehm ist, daß sie schon einen andern geküßt hat, nichts von eifersüchtigem Bedauern, daß sie schon vor ihm einen geliebt.

„Ich wollt’s dir doch erzählen,“ murmelt sie und thut einen tiefen Atemzug.

„Ich danke dir schön, Christel, aber denk’ nicht mehr daran!“

Sie wandern jetzt stumm nebeneinander. Hinter den Bäumen von Altwitz geht die Sonne unter; über die niedrige Mauer hinweg sehen sie auf dem Wege, der das Feld durchschneidet, sonntäglich geputzte Menschen gehen; der Chaussee nach Altwitz entlang fährt in einer goldenen Staubwolke eine herrschaftliche Equipage. Ganz in der Ferne blinkt das Kirchlein des kleinen Städtchens, und über ihnen, hoch im Blauen, jubeln die Lerchen.

„Also, Pfingsten!“ sagt er und zieht sie an sich.

Ihre Augen schimmern noch feucht, aber sie sieht ihn freundlich an. „Pfingsten – wenn’s der Mutter recht ist und Louischen abkommen kann.“ Als er abends um neun Uhr fortgeht, sagt er noch zuletzt: „Morgen kündige ich dem alten Möbel, der Helbig.“



Die Hochzeit wird ganz still gefeiert. Am Pfingstsonntag nachmittags um drei Uhr ist das kleine Gotteshaus vollgepfropft von der Dorfgemeinde, aber wenn die guten Leute gemeint haben, ‚Wunder was‘ zu sehen, haben sie sich getäuscht. Das Brautpaar tritt da ganz einfach herein und hinter ihnen nur ein paar Menschen – die Schwester Louise, dann eine fremde alte Dame in weißem Spitzenhäubchen, recht blaß und leidend, die Mutter des Bräutigams, und vor der Braut, die ein schwarzseidenes Kleid trägt nebst Kragen und Blondentüllschleier, trippeln zwei der jüngsten Pfarrkinder her in weißen Kleidern und streuen mit ungeschickten Händchen Blumen. Das ist aber auch der ganze Prunk, wenn man nicht die schwerfälligen Guirlanden aus Buchsbaum und faustdicken Pinien dazu rechnen will, die die Mägde vom Gutshof gewunden haben.

Der Pfarrer redet recht beweglich und hübsch, besonders viel von der Treue in guten und bösen Tagen. Beide stehen fest und aufrecht vor dem Altar, und ihr Ja! sprechen sie laut und hell; dann kehren sie mit ihrem kleinen Gefolge in die Pfarre zurück, wo man mit Kaffee und Kuchen und später mit einem Glase Wein aufwartet; und gegen sieben Uhr gehen die jungen Eheleute, Hand in Hand, nach dem Gutshof ins Pächterhaus. Antons alte Mutter wandert mit ihnen, als erster Gast des neuen Heims.

Die Leute werden heute mit Schweinebraten und Kartoffelsalat bewirtet, der junge Ehemann hat ein Faß Lagerbier gespendet, und Frau Christel muß sogar nach den Klängen der Harmonika einen Walzer tanzen mit dem Hofmeister, der eben ihr und Antons Wohl ausgebracht. Dann steigen sie hinauf in ihre Wohnung.

Es sieht noch nicht ganz heimlich aus, denn die junge Frau hat das Pächterhaus bis jetzt mit keinem Fuß betreten. Jemand, der ihr das Nestlein schmuck hätte einrichten können, ist nicht vorhanden gewesen, weder Mutter noch Schwestern waren es imstande, und so stehen noch Körbe und Kisten unausgepackt, die man tags zuvor mit der bescheidenen Ausstattuug vom Pfarrhause herübergebracht hat. Viel neue Möbel sind nicht angeschafft, aber das Wenige macht schon einen behaglichen Eindruck, die Gardinen schimmern weiß und duftig und die funkelnagelneue Petroleumlampe beleuchtet einen für Zwei gedeckten Theetisch; den hat die alte Mntter Antons schon vor der Trauung hergerichtet.

Er betrachtet alles, und dann seine junge Frau, die innere Zufriedenheit leuchtet aus seinen Augen.

„Noch ist’s nicht recht heimlich,“ nickt sie, „morgen abend sieht’s anders aus, Anto. Nun aber will ich für die Mutter sorgen, für unsern ersten Gast.“ Und sie kommt nach einem Weilchen im Hauskleid wieder, mit einer Schürze um, und sagt: „Ich habe die alte Frau zur Ruhe gebracht, sie war so müde, und denke dir, die Mägde hatten nicht einmal ihr Bett gemacht heute früh! Die Schelte kriegen sie noch! Wenn auch Hochzeit ist, ihre Arbeit müssen sie doch thun.“

Gegen Morgen klopft die alte Frau an die Schlafstubenthür des jungen Paares, und als Christel erschreckt öffnet, bricht die Mutter wimmernd auf der Schwelle zusammen. Christel fängt ihre Ehe gleich an mit Krankheit, Tod und Begräbnis. Am zweiten Tage ist sie gestorben, die alte Frau, nachdem sie noch das Glück ihres Sohnes, solch ein gutes Weib gefunden zu haben, gepriesen hatte. „Halte sie hoch, Anto, halte sie gut – ja, die ist von anderm Schrot und Korn wie die da in Halle, du weißt schon, die hat dich toll gemacht, toll. Halte sie gut, Anto, deine Christel!“

Das sind ihre letzten Worte gewesen an den Sohn.

Nun ist’s ungefähr acht Tage nach der Hochzeit, und die junge Frau in ihrem schwarzen Trauerkleide arbeitet unermüdlich. Früh um vier Uhr läßt sie sich wecken und wenn Anto, wie sie ihn, der verstorbenen Mutter zu Ehren, auch nennt, aufs Feld gehen will, ist sie, wie aus dem Ei gepellt, schon am Frühstückstisch, und der leuchtet vor Sauberkeit mit seinen einfachen Geräten. Des Mittags sitzt sie oben vor dem Tisch und teilt die Suppe aus. Die Gerichte sind gut und schmackhaft, und das Gesicht der Hausfrau mit den frischen Farben ist so freundlich, daß dem adligen Muttersöhnchen das Herz aufgeht. Gelegentlich wird sie freilich auch böse, wenn z. B. ein Fleck auf das Tischtuch kommt, denn sie ist unheimlich sparsam. „Janz rasend auf die Jroschen,“ sagt Herr Heine; „aber das ist nötig: man will nicht nur auskommen, man will auch vorwärts kommen, und dazu gehört heutzutage etwas – alle Donnerwetter!“

Anton Mohrmann staunt seine Frau jeden Tag mehr an. Er hat viel von ihr erwartet, aber sie übertrifft das noch. Hätte die Mutter es doch erlebt! Sie kann gar nicht müßig sein, die Frau; selbst in den Dämmerstunden hat sie das klappernde Strickzeug zur Hand, selbst wenn sie beide abends zusammen im Garten auf und ab gehen oder mit den Geschwistern in der Pastorlaube sitzen. Zuweilen ärgert’s ihn, aber sie scheint ihn gar nicht zu verstehen, wenn er sagt: „Das verdammte Geklapper ist schon nicht mehr schön!“

„Deine Füße wollen doch gewiß nicht frieren im Winter?“ antwortet sie, „und, daß Gott erbarm’, wie sehen deine Socken aus!“

In einer Ecke der Wohnstube, nicht weit von ihrem Nähtisch, steht ein Schränkchen, das hat Glasscheiben und dahinter rotseidene Vorhänge; ein altmodisches Ding, Christel hat’s schon in ihrer Mädchenstube gehabt.

„Was ist denn da eigentlich drin?“ fragte er sie einst neugierig, denn er war nicht zu Hause gewesen, als sie es aufstellte und einräumte.

„Meine Bücher, und so allerhand von früher.“

„Bücher hast du auch?“

Sie schließt bereitwillig auf. Ach, was da alles steht! Scheffels „Trompeter von Säckingen“ und „Die Irrlichter“ von Marie Petersen, Storms „Immensee“ und Oesers „Weltgeschichte für das weibliche Geschlecht“; ein paar Bände „Gartenlaube“ und Humboldts „Briefe an eine Freundin“, die „Sämmtlichen Werke“ der Henriette Paalzow etc.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0007.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2019)