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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


Antons Erben.

Roman von W. Heimburg.

(1. Fortsetzung.)

Herr Mohrmann wird gebeten, heute nachmittag zu Sr. Excellenz zu kommen; von fünf Uhr ab sind Excellenz zu sprechen.“

Als Anton sich um fünf Uhr melden läßt, wird er in das Tafelzimmer geführt. Die Thüren stehen weit offen nach der Terrasse zu und gewähren einen Blick über das große Beet voll wurzelechter Rosen, aus dessen Mitte ein Rokoko-Amor sich erhebt und schalkhaft mit seinem Pfeile droht, auf einen schnurgeraden, von hochstämmigem Buchs eingefaßten Weg, der dem Ausgange des Parkes zuführt. Drüben, jenseit des Gitters, erblickt man Felder, Wiesen, Dörfer und Obstbäume, soweit das Auge reicht.

Die Herrschaften sitzen unter dem Zeltdach von rot und weiß gestreiftem Leinen, das aber schon stark verblichen und stellenweise rissig ist; der bejahrte Herr im Rollstuhl, die Beine in wollene Jägerdecken gehüllt, einen echt türkischen Fes auf dem Kopfe. Er hat, trotz seiner Achtzig, die noch jugendlich feurigen Augen des alten Soldaten, eine energische Adlernase, und trägt den weißen Bart, wie der erste Kaiser Wilhelm ihn trug, mit ausrasiertem Kinn. Er ist sehr sorgfältig gekleidet in ein smoking dress aus braunem Sammet und raucht aus einer wappengeschmückten Cigarrenspitze.

Die beiden Damen, seine Töchter Antoinette und Josepha, sehen fast ebenso alt aus wie der Vater. Die jüngere, fünfzigjährige, ist ihm ähnlich, aber die kühne Nase kontrastiert wunderlich mit den vergrämten Augen und dem wehen Zug um die herabgezogenen Mundwinkel. Die ältere ist sehr stark und groß und wechselt alle Augenblicke die Farbe, wie nervöse Menschen es thun. Das ehemals blonde Haar liegt in altmodischen Scheiteln zur Seite des Gesichtes und die Augen besitzen eine gewisse Schalkheit – sie nimmt das Leben von der ironischen Seite. Der Anzug beider Damen ist mehr als einfach; schwarze Wolle, von ungeschickter Hand gearbeitet.

Josepha, die jüngere, hat eben eine Dresdner Zeitung vorgelesen; als die große blonde Erscheinung des Pächters die Steinfliesen der Veranda betritt, läßt sie das Blatt sinken.

„Papa,“ sagt sie leise zu dem leicht entschlummerten alten Herrn.

„Was giebt’s?“ fährt er auf.

„Ich glaube – Herr Mohrmann –“

„Ach so! Pardon! Bitte, Herr Mohrmann, treten Sie näher. Ihr könnt mich getrost ein wenig allein lassen mit dem Herrn, Kinder,“ wendet er sich an die alten Fräulein. „Laß etwas Bier auftragen, Tonette.“ Und während die beiden Damen an dem sich verneigenden Anton vorüberschreiten, ruft der Baron ungeduldig: „Setzen Sie sich doch, Mohrmann, setzen Sie sich doch, ich habe Sie mir übrigens so groß gar nicht vorgestellt! Sie haben wohl seiner Zeit einen Gardeflügelmann abgegeben?“

„Jawohl, Herr Baron, da oben bei St. Privat.“

Die Fräulein stehen noch einen Augenblick im Tafelzimmer und flüstern. „Er ist ja schrecklich liebenswürdig zu ihm,“ sagt Tonette, und Josepha hebt ein wenig die Schultern: „Das ist er immer, wenn er jemand anpumpen will.“

„Kind,“ flüstert die Aeltere. „den Mohrmann wird er doch nicht anpumpen? Kann höchstens ein Vorausbezahlen der Pacht erbitten.“

„Allerdings etwas ganz anderes!“ betont Josepha ironisch. „Komm nur, Tonette,“ fügt sie dann hinzu, „wir gehen indessen drüben ins Wäldchen; wir waren noch nicht ein einziges Mal an den Gräbern unserer Hunde. Nicht mal das hat man mehr! Ach, wenn Pet und Bob noch lebten!“

„Aber, Kind, schaff dir doch wieder so ein Hundevieh an! Ein Teckel, der wird sich schon mit durchfressen,“ sagt Tonette draußen im Flur, „schlimmsten Falles abonnieren wir ihn bei der Pächterin aufs Mittagsessen.“

Josepha zuckt die schmalen spitzen Schultern. „Du kannst noch Unsinn machen, Tonette! Natürlich frißt sich ein Teckel durch, aber wie die Edith sich hier durchfressen will, das ist mir schleierhaft. Und Michaelis übers Jahr muß sie doch herkommen, wo soll sie sonst hin? Dann ist sie achtzehn, die Erziehungsgelder hören auf, und es wird auch wirklich Zeit, sie aus der Pension zu nehmen, das arme Wurm! Ach, bitte, sage mir, Tonette, wie soll das werden? Sie braucht doch Schuh und Kleider und Gott weiß noch was! Wir können sie doch nicht einpökeln? Sie muß sich zeigen in Gesellschaften und im Ballsaal, wenn sie überhaupt eine Partie machen soll.“

„Dann nehmen wir die alten Brokatgardinen und kleiden unsere junge Schönheit in Sammet und Seide,“ antwortet die Aeltere scheinbar ernsthaft. „Spazier’ nur ins Wäldchen, Josepha, und singe nicht vor dem Kantor her, es wird sich schon alles historisch entwickeln. Ich will das Bier bestellen, dann komm’ ich nach.“

Auf der Veranda bittet indessen, nach längeren Gesprächen über Ernteaussichten und Viehstand, der Baron so im Vorbeigehen den Pächter um Vorausbezahlung der Pacht. „Eh, Sie wissen ja, Mohrmann, Krankheit kostet Geld, verteufelt viel Geld! Und der Junge, das wissen Sie nicht, was der mich gekostet hat, mein Enkel, der nun ja leider tot ist. Für die Enkelin habe ich auch zu sorgen. Könnt’ ich nur selber noch wirtschaften, wollt’s schon herauskriegen! Sie haben die Geschichte halb umsonst, lieber Mohrmann.“

„Excellenz, wenn Sie eine Ahnung hätten, wie wir arbeiten müssen, meine Frau und ich – – nicht einen Pfennig könnt’ ich mehr Pacht geben,“ antwortet er ruhig.

„Ja, ja, das sagen sie alle, das kenne ich schon. Uebrigens drängle ich Sie ja auch nicht.“

„Das würde Ihnen auch nichts helfen, Herr Baron, gottlob ist ein Kontrakt da,“ sagt der blonde Riese.

„Ich weiß ja, weiß ja! Also, bitte, schicken Sie mir die Summe, aber möglichst bald.“

„Ich werde sofort die nötigen Schritte thun, in etwa drei Tagen kann das Geld in Ihren Händen sein, Excellenz. Und jetzt möchte ich mich empfehlen.“

„Nicht doch! Nicht doch! Noch eine Cigarre, lieber Mohrmann? Man freut sich, wenn man mal wieder mit einem vernünftigen Menschen sprechen kann. Ich bin ungern auf Wartau, sehr ungern, man stirbt hier vor Langerweile. Früher, so vor zwanzig Jahren, war ein fideler Kerl von Pastor hier, spielte ein großartiges L’hombre – der jetzige ist einfach – –“

„Mein Schwager, Herr Baron,“ unterbricht ihn Mohrmann.

„Ihr Schwager? Ach so – ja richtig – Pardon, ich gratuliere. Was ich sagen wollte – einfach ist er, sehr einfach, Ihr Herr Schwager, wie ein Prediger ja sein soll, und im übrigen ist nichts weiter in dem Nest. Ein Verkehr mit den Gutsnachbarn etwa? Na, wenn man gelähmt ist und – das verfluchte Geld – ja – – Und wenn man bedenkt, Mohrmann, wie er heute sozusagen auf der Straße liegt, der Mammon,“ fährt er fort, „und daß unsereiner sich nicht bücken kann, um ihn aus dem Kot aufzuheben, wie jeder andere thut: aber es geht doch einmal nicht!“

„Warum denn nicht, Excellenz?“ fragt Mohrmann. „Man sagt bekanntlich vom Gelde: non olet.“

„He?“ fährt der alte Herr empor, „ich soll wohl Haarfärbemittel oder Abführpillen erfinden, oder Hustenbonbons oder einen neuen Gilka?“ Er lachte krähend, bis der Husten ihn fast erstickte.

„Das nicht, Excellenz, aber zum Beispiel eine Bierbrauerei mit Malzfabrik? Ich wundere mich, daß – –“

„Das wächst auch so aus der Erde, die Brauerei und die Fabrik, nicht wahr?“ fragt der Baron und macht mit Daumen und Zeigefinger die Pantomime des Geldzählens. „Nee, mein Bester, davon wollen wir die Finger lassen. Uebrigens sehe ich,“ fährt er fort, „Sie sitzen wie auf Kohlen, will Sie nicht länger aufhalten. Bringen Sie nur die Wirtschaft hoch – soviel Sie können. Der Hof sieht gut aus, sehr gut,“ lobt er, „ich freue mich darüber, man kann nicht wissen, wie’s kommt – – es haben sich Könige trennen müssen von ihren Ländern, warum

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0038.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)