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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

weiße Seide, und Perlen um den Hals; und im Bankettsaal hatte der Thronfolger mit Josepha eine Quadrille getanzt nach dem großen Diner, zu dem die adligen Rittergutsbesitzer der Umgegend und die Offizierskorps der benachbarten Garnisonen geladen waren.

O, Wartau war überhaupt historischer Boden! Die Großmutter der beiden Damen hatte so viel erzählen können aus der Franzosenzeit; droben neben der Bibliothek hatte Napoleon zwei Nächte geschlafen. Und der Hof war eines Tages von Kosaken angefüllt gewesen. Und dann der preußische Rittmeister, den nach der Schlacht bei Leipzig sein Bursche bewußtlos bis hierher geschleppt!

Ja, das war eine romantische Geschichte. Der Großvater hatte ihn in der Orangerie untergebracht, er sollte nicht im Schloß verpflegt werden; der alte Herr vergötterte Napoleon. Aber er hatte nicht bedacht, daß in seinem Hause ein schönes Töchterlein aufgewachsen war mit einem Herzen voll glühender Liebe fürs Vaterland, und daß in den Heckengängen des Gartens ein lachender mit dem Pfeil drohender Amor stand; daß der Mondschein so golden über dem herbstlichen Park lag, als scheine er in Sommernächte hinein, und daß die Taxuswände an der Orangerie so dicht und verschwiegen sind. Und der preußische Rittmeister nahm das Schloßtöchterlein mit, als er wieder zu seinem Regiment in Halberstadt ging, und die beiden sind so glücklich, so glücklich gewesen!

An das alles mußte Christel denken und an die leuchtenden Augen der alten Fräulein, die ihr das erzählten.

Auch von noch früheren Zeiten hatten sie berichtet, von damals, als der Freund des Grafen Brühl dies Schloß erbaute und Schäferfeste und Redouten gab nach berühmten Mustern! – Droben hing das Bild der schönen Gräfin Cosel, in blaßgelber rosendurchwirkter Seide, den Fächer in der Hand, das sie dem galanten Schloßherrn auf Wartau zur Erinnerung geschenkt.

Fräulein Josepha konnte sie schildern, jene Zeit mit ihrer verschwenderischen Ausgelassenheit, als sei sie dabei gewesen. Christel sieht sie ordentlich in dem Bankettsaal des Schlosses, der durch zwei Stockwerke geht, auf dem Parkett dahingleiten, alle diese genußsuchenden, prunkvollen, frivolen Männer und Frauen.

Jetzt ist’s totenstill da drüben, die vergoldeten Stuckputten des Saales halten nur noch die Fetzen der schweren seidenen Draperien in den zerbröckelnden Armen, und das wundervolle Deckengemälde – Europa auf dem Rücken des Stieres, der die Wellen des Meeres durchschwimmt, begleitet von einem Heer von Tritonen und Nereiden – sieht auf das völlig leere Gemach hernieder, vor dessen Fenstern graue leinene Zuggardinen der Sonne wegen gespannt sind. Der ungeheure Kamin ist mit Holzlatten vernagelt, in allen Ecken der großen Räume kauert der Verfall und grinst über sein Werk.

Und drunten im Zimmer des Schloßherrn verkauft eben der letzte Wartau seinen Stammsitz, der durch seine und seiner Eltern kraftlose Hände geglitten, welche die Kartenblätter besser zu halten verstanden als ihn.

„Ach, weshalb gerade Wartau?“ sagt Christel. Sie fühlt einen Schauer bei dem Gedanken, daß sie drüben wohnen soll. Warum denn nicht ein einträgliches Mittelgut mit freundlichem Herrenhause und einem kleinen vernünftigen Garten? „Soweit habe ich nie gedacht,“ spricht sie halblaut, „ich wäre zufrieden geblieben als Pächtersfrau – – Und wozu? für wen? Herrgott, gieb, daß Anto eines Tages nicht ebenso frage!“

Sie sieht ihn nach zwei Stunden über den Hof kommen, allein.

Ein rasendes Herzklopfen meldet sich plötzlich: sie ist fast unfähig, sich zu rühren, nur ihr Kopf wendet sich der Thür zu, durch die er jetzt eintritt. Aus leichenblassem Gesicht starren ihre Augen ihn an.

Er streckt ihr beide Hände hin. „Nun, Christel?“

„Und du hast wirklich –?“ stößt sie hervor.

Er nickt stumm, es hat auch ihn mächtig bewegt.

„Und nun, Christel,“ sagt er gerührt, „wollen wir da drüben weiter miteinander schaffen und sorgen, so treu wie bisher in dem kleinen Pächterhause. Zum Hochmütigwerden haben wir beide keine Anlagen, und arbeiten wird’s auch fürder heißen.“

„Drüben? Müssen wir drüben wohnen?“

Er lächelt. „Hier zieht Heine ein, als Inspektor mit seiner jungen Frau.“

„Heine wird Inspektor?“

„Ja! Und sein Ehegespons kriegt die Milchwirtschaft in Verwahrung, und drunten wird der künftige Braumeister wohnen.“

„Anto, fang’ langsam an!“ bittet sie, mit verängstigten Augen.

„Ach was – langsam! Das Ding muß seine Zinsen bringen; die trägt’s nicht aus mit bloßem Ackerbau.“

„Ach, siehst du, Anto – –“

„Red’ nicht, Christel! Bin ich ein leichtsinniger Kerl?“

„Nein, nein, Anto! Aber Wagemut hast du, daß ich staune.“

Er reckt plötzlich seine Riesenfigur in die Höhe und seine Brust dehnt sich. „Ja,“ sagt er fröhlich und laut, „Gott sei Dank, den habe ich! Wer nicht wagt, der gewinnt nicht. Ich muß schaffen, muß wagen; wenn ich das nicht mehr zu thun vermag, Christel, dann bin ich krank oder sonstwie verloren. Also vorwärts mit frischem Mut, Altchen! – Und höre, der Rechtsanwalt kommt nachher zu Tische.“

Sie erschrickt. „Herrgott, ich muß hinunter!“ Und über Hals und Kopf stürzt sie in die Küche, wo die Mägde sie verwundert anstarren. Und als sie nach einem Weilchen, mitten in der Beschäftigung, Anton bemerkt, der vorübergeht mit einigen Weinflaschen in der Hand, läuft sie ihm nach. „Wo bleiben die Herrschaften, wenn wir einziehen?“

„Drüben natürlich! Der alte Herr wird’s nicht mehr lange machen, und die Fräulein haben Freiquartier bis an ihr seliges Ende. Ich dachte, ich macht’ es so recht – wie?“

Sie lächelt und nickt; ihr ist ein Stein vom Herzen gefallen. Sie sollen es kaum fühlen, daß sie Fremde sind, nimmt sie sich vor; sie will’s schon einrichten; sie sollen uns kaum bemerken, den Anto und mich, höchstens, wenn Pastors mal mit den Kindern – – –. Und das ist wieder ein Stich ins Herz. Sie lacht vor ihrem Küchentisch auf, kalt, höhnisch, daß das Mädchen, das neben ihr steht, verwundert aufschaut.

„So! das Abnenschloß, das hätten wir – aber wem werden wir Ahnen sein? Niemand, niemand!“




Bei Pastors hat die Kunde von dem Verkauf Wartaus wie eine Bombe eingeschlagen. Christel ist gegen Abend hingegangen, um zu berichten, mit einem Gesicht so blaß und verlegen, als müsse sie um Entschuldigung bitten, daß sie überhaupt auf der Welt sei.

Zuerst hat sie’s ihrem Schwager gestanden. „Du, Robert,“ sagt sie zu ihm, der in seinem einfachen Studierzimmer sitzt, dessen Luft von dickem blauen Qualm erfüllt ist, „ich muß dir eine Mitteilung machen.“

Er steht vor ihr in einem grauen Schlafrock, den er sich anschaffte, als er heiratete. Der grobe Stoff ist fadenscheinig geworden und oft gestopft; auf dem Rücken, d. h. etwas tiefer unten, sitzt sogar ein großer Flicken; und dieses stark mitgenommene brave Kleidungsstück hat Frau Pastor aus zärtlicher Anhänglichkeit an die Zeit ihres jungen Eheglücks, die es mit erlebte, dankbar mit neuen Aermelaufschlägen und Kragen aus grellrotem Flanell geschmückt, den sie von einem Unterröckchen ihrer Jüngsten erübrigte.

„Nun, liebe Schwägerin?“ fragt der geistliche Herr, in dem gewissen salbungsvollen Ton, der ihm eigen ist, wenn sich jemand vertrauensvoll an ihn wendet. „Doch nichts Böses? Du siehst niedergeschlagen aus.“

„Gar nichts Böses, Robert, aber eine Neuigkeit, die dir überraschend kommen wird – mein Mann hat Wartau gekauft.“

Der Pastor setzt sich unglaublich rasch wieder in den Lehnstuhl, die Pfeife in der zitternden Hand und mit dem dümmsten Gesicht, das er jemals gemacht hat. So starrt er Christel an, die ihm mit ernsten Augen bestätigend zunickt.

„Wartau? Mohrmann – Wartau? Ja aber – ist er denn in der Lage, das – –? Ich weiß ja wohl, daß ihr ein nettes Stück Geld erübrigt habt – aber Wartau? Wieviel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0043.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2018)