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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

seit altersher durch ihre Handelsbeziehungen berühmt ist, befinden sich ausgedehnte Steinkohlenlager, die großenteils zu Tage liegen und verhältnismäßig leicht ausgebeutet werden können. Von Kiaotschau sind diese Kohlenlager nur etwa 100 km entfernt. Wohl ist die weit ins Meer vorspringende Halbinsel, auf welcher beide Städte liegen, gebirgig, allein die Richtung dieser Gebirgszüge ist nordsüdlich, und zwischen ihnen befinden sich weite fruchtbare, reichbewässerte Thäler, von welchen eines von Kiaotschau direkt nördlich in die Kohlengebiete führt, an welche sich östlich bei Ping-tu wertvolle Eisen-, Blei- und Goldlager anschließen. In früheren Jahrhunderten, als Kiaotschau noch ein bedeutender Hafen war, führte denn auch, wie erwähnt, ein schiffbarer Kanal mit Benutzung der dortigen Flüsse, vor allem des Kiao-ho, quer durch die Halbinsel und verband das Gelbe Meer mit dem Golf von Petschili. Der Kanal ist heute wohl verfallen, kann aber ohne große Mittel wieder hergestellt werden.

In den weiten Thälern der Halbinsel, dann im ganzen Westen und Süden der Provinz ist der Ackerbau in hoher Blüte; Weizen, Bohnen, Reis, Hirse, Erdnüsse, Baumwolle, Tsutsao, eine Pflanze zur Gewinnung von rotem Farbstoff, bedecken weite Strecken, und aus dem Getreidestroh stellen die Bewohner von Schantung massenhaft Strohgeflechte her, welche einen wichtigen Ausfuhrartikel von mehreren Millionen im Wert bilden. Der mittlere Theil der Provinz besitzt einen hochbedeutenden Seidenbau; die Seidenraupen werden auf Maulbeeren aber auch auf Eichen gezogen, und die Einwohner senden nicht nur die Cocons und gesponnene Seide, sondern auch fertige Seidenstoffe hauptsächlich nach Peking: in den nördlichen Gebieten befinden sich ausgedehnte Mohnpflanzungen zur Erzeugung von Opium. Wandert man durch die Provinz Schantung, so erblickt man oft fruchtbare grüne Thäler, in welchen die Dörfer weilerartig zerstreut liegen und die Häuser von Obstbäumen umgeben sind. Die Berge, deren Spitzen häufig von Tempelbauten gekrönt sind, zeigen dagegen nur einen spärlichen Pflanzenwuchs, an ihren Hängen tritt fast überall der nackte Fels zum Vorschein. In größeren Dörfern sind die Häuser massiv gebaut und die Straßen breit und regelmäßig angelegt. Eine unserer Abbildungen Seite 50 zeigt eine Dorfstraße, die gerade durch einen Zug mit Waren beladener Maultiere belebt wird, während wir auf der obenstehenden Abbildung chinesische Feldarbeiter an einem Bewässerungskanal dargestellt sehen.

Die Bevölkerung von Schantung ist friedfertig, arbeitsam und mäßig, dabei ist der Menschenschlag kräftiger und größer als im Süden und Westen von China; wenn der Volksreichtum kein größerer ist, so hat dies seinen Grund weniger in der Bedrückung durch die Mandarine als in den klimatischen Verhältnissen. In manchen Jahren herrscht große Trockenheit, in anderen werden die Ernten durch anhaltende heftige Regengüsse zerstört, welche auch die Flüsse aus ihren Ufern treten lassen und verheerende Überschwemmungen verursachen.

Ein weiteres Hindernis der Entwicklung von Schantung ist die Abwesenheit von Verkehrsmitteln. Auf dem ganzen Gebiete von der Größe Süddeutschlands befindet sich nur eine einzige für Karren benutzbare Straße, jene, welche von Tschisu an der Nordseite der Halbinsel in westlicher Richtung über Wei-sjang nach Tsinan, der Provinz-Hauptstadt, führt. Auch diese Straße ist in der Nähe Tschisus für Karren nicht benutzbar, und so bewegt sich der ganze Warenverkehr der Provinz, wo nicht Schiffsstraßen vorhanden sind, auf elenden Saumpfaden. Die Waren werden auf Maultierrücken oder Schiebkarren verladen, aber trotz der dadurch entstehenden Langsamkeit und Verteuerung des Transportes treffen in Tschisu täglich Tausende von schwerbepackten Maultieren ein. Der Transport von Eisen oder Kohlen aus den nur 150 Kilometer von Tschisu entfernten Minen dorthin kostet ebensoviel wie von Tschisu nach Europa!

Daß sich unter solch elenden Verhältnissen der Handel und Reichtum der Provinz nicht bester entwickeln konnten, liegt auf der Hand, und das erste Erfordernis einer neuen Verwaltung würde es sein müssen, dem Eisenbahnenbau allen möglichen Vorschub zu leisten, zunächst Kiaotschau mit der Hauptstadt Tsinan durch einen Schienenstrang zu verbinden. Der Bau bietet bei den ungemein günstigen Bodenverhältnissen keine Schwierigkeiten und in Anbetracht der dichten Bevölkerung sowie der massenhaft vorhandenen Waren ist der finanzielle Erfolg wohl außer Zweifel. Schon heute besitzt Tschisu, das nur einen Teil des Warenverkehrs von Schantung in seinen Händen hat, eine Ausfuhr von etwa 36 Millionen Mark und eine Einfuhr von etwa 30 Millionen Mark Wert. Daran ist England mit etwa 50% beteiligt, hierauf folgt in erster Linie Deutschland mit 23%, China selbst mit 20% und die restlichen 7% entfallen hauptsächlich auf Rußland und Japan. Man sieht allein daraus schon, zu welcher Bedeutung Schantung für Deutschland werden kann.

In den nächsten Jahren wird sich die Thätigkeit hauptsächlich auf Kiaotschau selbst werfen; ebenso wie in allen anderen offenen Häfen Chinas wird wohl auch dort in der Nähe der Chinesenstadt an einem für den Warenverkehr günstigen Teil der Bucht eine europäische Niederlassung entstehen, in welcher voraussichtlich die Deutschen am zahlreichsten vertreten sein werden. Neben den Kohlenlagern, Reparaturwerkstätten und Docks für die Schiffe werden auch „Hongs“ und „Godauns“ (Warenlager) europäischer und chinesischer Kaufleute errichtet werden, und rings um diese werden sich gewiß auch Tausende fleißiger kräftiger Bewohner von Schantung auf der Suche nach Arbeit und Erwerb ansiedeln.

Es fehlt also keineswegs an Arbeitskräften, und dieser Umstand, verbunden mit der günstigen Lage und einem gesunden, gemäßigten Klima, wird den neuen deutschen Hafen in China gewiß bald einer bedeutenden Blüte zuführen. Wohl sind dort die Winter kälter, die Sommer wärmer als in Deutschland, allein dank der Nähe des Meeres sind die Temperaturübergänge keine plötzlichen; Kiaotschau liegt nur 500 Kilometer von Shanghai, dieser europäischen Großstadt in China, entfernt, ist also von Schnelldampfern in einem Tage zu erreichen. Von dort können sämtliche Bedürfnisse europäischer Ansiedler mit Leichtigkeit befriedigt werden, im Verhältnis gerade so wohlfeil wie in Europa. Ist einmal der Kanal durch die Halbinsel von Schantung hergestellt, so wird sich gewiß ein Teil des großen Schiffs- und Tschunkenverkehrs zwischen dem Süden und Peking über Kiaotschau wenden und dadurch zu einer neuen Quelle des Erwerbs werden. Deutschland kann sich also zu seiner ersten Erwerbung in Ostasien mit Recht beglückwünschen.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0051.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2024)