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Wintermorgen im Walde.
Nach einer Originalzeichnung von A. Mailick.



Aber Rupert hatte es gehört. „Sie bedauern also nicht, daß Sie auf diese Weise Heidelberg kennenlernen?“

„Nein“ erwiderte sie, und ihre weiche Stimme bebte. „Ich habe so vieles gesehen auf dieser Reise, so Herrliches und Großes, daß ich meinte, etwas Aehnliches könne es auf der ganzen Welt nicht geben. Aber wunderbar – ich weiß nicht, wie es kommt – mir ist, als habe ich die Welt noch nie so schön gesehen!“

„Wie mich das freut!“ erwiderte Rupert mit leuchtenden Augen und schaute ihr mit einem vollen Blick ins Antlitz. „Sehen Sie, auch ich habe viel kennengelernt und habe die Welt nirgends so schön gesunden wie hier in Heidelberg. Es liegt ein einziger Zauber über dieser Natur und dieser Stadt. Ich weiß nicht, was es ist und woher es eigentlich kommt, aber eins weiß ich: ich bin nie so glücklich gewesen wie das eine Jahr, da ich hier in Heidelberg studierte.“ Er war Plötzlich sehr ernst geworden. Ein nachdenklicher, fast finsterer Zug legte sich auf sein Antlitz, seine Augen suchten den Boden. Auch das Fräulein sprach kein Wort.

Vom weichen Schimmer des Abends umfangen, lag unter ihnen die Stadt – in der Ferne glühte der majestätische Dom im letzten Lichte der sinkenden Sonne, die mit feurigem Rot den Himmel säumte. Dort unten aber rauschten die grünen Fluten des Neckars, so langsam, so träumerisch träge, gleich als fürchteten sie, der Pracht dieses Sommerabends zu schnell zu enteilen.

„Woher das kommt?“ fuhr Rupert langsam fort. „Ich weiß es wieder nicht. Besondere Gründe habe ich jedenfalls nicht dafür. Aber sehen Sie, gnädiges Fräulein – ich weiß zwar nicht, ob Sie mich verstehen werden – ich habe nie wieder so gefühlt, nie wieder innerlich so gelebt wie hier in Heidelberg. Ich möchte sagen: ich bin nie wieder frei gewesen! Es mag die Gegend machen, deren heiterer Charakter auf den Menschen wirkt, die frische rheinländische Daseinslust dieser Pfälzer, die das Leben leicht und sicher auf die elastischen Schultern nimmt, sich nicht von ihm drücken und knechten läßt aller Orten, sondern es mit sich fortträgt in reißendem Schwünge. Der ursprüngliche Zug zur Natur mag es sein, den die Gesellschaft da draußen so bald unter die Füße tritt. Aber was es auch sei: heute, wo ich diese Luft wieder atme, die ich so lange entbehrt, heute erhebt sich vor mir jenes unvergeßliche Jahr in all seiner Schöne, als wolle es noch einmal wiederkehren! Und nicht wahr,“ setzte er leise hinzu, und sein Auge suchte das ihre, „Sie können das verstehen, denn auch Sie – Sie fühlen in diesem Augenblick ein lange nicht gekanntes Glück.“

Ein lange nicht gekanntes Glück! Wie das in ihr widerhallte, welche Gedanken in ihr wach wurden! War sie denn sonst nicht glücklich, hatte sie je entbehrt, was sie nicht hatte?!

Sie wollte ihm ihre Empfindungen verbergen. „Ein Jahr haben Sie in Heidelberg studiert?“ fragte sie schnell, um etwas zu sagen.

„Ein Jahr – aber wie ungezählte Male bin ich in dem einen Jahre durch diese Berge gestreift, das Herz so leicht und so frei, so aufgelegt zu allem Hoffen und Wagen – bis zum Uebermut! O diese Pedanten, die da mit hochweisem Wort den Stab brechen über die kleinen, ihnen lächerlich erscheinenden Auswüchse des Heidelberger Studentenlebens! Wenn sie es ahnten, daß gerade in dieser schrankenlosen Ungebundenheit, die meinetwegen zu tollen Streichen sich versteigen mag, in diesem fröhlich sichern Zutrauen zu sich selber die Wurzel liegt zur wahren Freiheit, zu jenem frischen Gefühl der Schaffenskraft, das sie freilich schnell genug ertöten! Aber,“ unterbrach er sich plötzlich selber, „zu wem sage ich das alles? Sie werden mich auslachen mit meinen Phantasien. Geben sie die Schuld diesem Abend, diesem Ort!“

Aber sie lachte gar nicht. Um ihre Lippen lag wieder der sinnende Ernst, ihre Augen schweiften nachdenklich in die weite Ferne. „Gewiß,“ sagte sie endlich, „wenn Sie mir dasselbe noch vor wenigen Stunden im Eisenbahncoupe gesagt hätten, ich hätte kein Wort von alledem verstanden, hätte Sie für einen Träumer oder Phantasten gehalten. Aber, Sie haben recht. Dieser Abend muß es machen, dieser Ort! Dies alles, was ich heute sehe und erlebe, ist mir wie ein Traum. Und in diesem Traume taucht mit einem Male das Leben auf, das ich bis jetzt geführt. O, mein Gott, dies Leben, das ich bis heute so wunderschön gefunden mit all seinen glänzenden Festen und Gesellschaften, seinen Toilettensorgen und Freuden und das mir im Anblick dieser feiernden Natur mit einem Male, ich weiß nicht wie, armselig und nichtig erscheint! Ich wollte das gar nicht aussprechen, es erschien mir so unrecht, so undankbar, da regen Sie in mir Gedanken an, die ich vielleicht doch besser verstehe – als Sie glauben!“

„Ja, ja,“ rief er schnell. „Sie haben mich verstanden!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0053.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2017)