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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

ordentliche Mädchen aus dem Arbeiterstande sich beim Eintritt in die Ehe ausstatten kann und wird.

Mit diesem Hinweis widerlegt sich die oft gehörte Behauptung, die Kochschule gewöhne betreffs der Beschaffenheit des Inventars ihre jungen Zöglinge an Ansprüche, die das bescheidene Heim nicht befriedigen könne.

Um den Kindern einen Begriff vom Preise der Mahlzeit zu geben, kauft zunächst je eines der vier Mädchen bei der Gehilfin an der Hand des Kochrezeptes die erforderlichen Zuthaten. Es hat zu diesem Zwecke eine Mark Wirtschaftsgeld erhalten und trägt alsbald die Ausgaben in ein Büchlein ein, welches sie der Lehrerin nebst dem restierenden Betrag am Schlusse der Stunde zustellt. Dieses Amt wechselt monatlich, ebenso wie verschiedene andere Pflichten, als da sind: Späne schnitzen, Feuerung besorgen, Wasser holen, den während des Kochens sich ansammelnden Aufwasch beseitigen und dergleichen.

Nicht alle Speisen erfordern zu ihrer Bereitung das gleiche Maß an Zeit und Aufmerksamkeit. So gilt es, die vielen Kinder in den Pausen unausgesetzt nützlich zu beschäftigen. Hören wir, wie die Lehrerin sich dieser Aufgabe entledigt, nachdem die angehenden Köchinnen ihre „sauren Kartoffeln“ soweit fertiggestellt haben, daß diese nur noch des Garwerdens bedürfen.

„Die erste Schülerin an jedem Tische bleibt am Herd und giebt auf das Essen und das Feuer acht, die zweite putzt Fenster, die dritte seift Thüren ab und reinigt das Vorzimmer, die vierte reibt das Blechzeug ab,“ ertönt das Kommando.

Hei, wie die Heinzelmännchen sich flink und fröhlich regen! Wie die straffe Disziplin und das anregende gemeinsame Schaffen auch in träge Körper Leben bringt! Sonderbar, daß die in der theoretischen Stunde oft Gescheitesten sich in der Praxis durchaus nicht als die Geschicktesten erweisen. Mit vieler Geduld werden die schwer Begreifenden immer wieder unterwiesen, die Nachlässigen ermahnt, die Langsamen angefeuert.

„Seht, das ist euer Putztuch!“ sagt die Gehilfin und verteilt an die Fensterputzerinnen halbe Bogen Zeitungspapier, die zu einem Knäuel zusammengerollt werden. Die Kinder lachen, aber sie probieren die Sache. Und siehe da! Das vorher sauber gewaschene Glas wird durch kräftiges Abreiben mit Zeitungspapier spiegelblank.

Mit demselben primitiven Putzmittel bearbeitet die vierte Gruppe das Blechzeug. „Natürlich scheuern wir mehreremal im Jahre mit Sodawasser und Zinnsand,“ erläutert die Lehrerin, zu uns gewandt, „aber für die allwöchentliche Reinigung genügt das Zeitungspapier. Wir lassen aus Prinzip unsere Kinder mit den denkbar einfachsten Mitteln arbeiten, damit keine später sich entschuldigen kann, es fehle ihr zur Aufrechterhaltung der Reinlichkeit am Material.“

„Und wie füllen sie an den übrigen Tagen die Pausen aus?“ fragen wir.

„O, wir haben immer viel zu thun und sind froh, wenn wir mit allem fertig werden. Da ist beispielsweise jeden Freitag die Wäsche.“

„Wie? Auch Wäsche wird in der Kochschule gewaschen?“

„Gewiß. Wozu hätten wir den stattlichen Waschkessel in unserer Küche und das nette Bleichplätzchen auf dem Hofe? Es sammeln sich bei uns jede Woche gegen 60 Geschirrtücher und ein paar Dutzend Handtücher an, ebenso eine Anzahl blauleinener und wollener Schürzen, welch’ letztere der Stadtrat für die ärmeren Kinder als Inventar angeschafft hat. Die Wäsche wird von der Donnerstagsklasse eingeweicht, am Freitag gewaschen und auf die Bleiche gebracht, Sonnabends gespült und aufgehangen, Montags gelegt, gerollt und ausgebessert.“ –

Doch die „sauren Kartoffeln“ sind gar und die Mädchen mit ihrer Arbeit fertig geworden. Der willkommene Ruf: „Zum Essen!“ versammelt im Nu die fröhliche Schar um den gedeckten Tisch, und, nachdem das Gebet gesprochen worden ist, wird mit Stolz und gutem Appetit der selbstbereitete „Kosthappen“ verzehrt, an dem im Interesse der aufnahmefähigen, jugendlichen Magen nur eins auszusetzen ist, nämlich, daß er nicht größer sein kann. In den Töpfen bleibt noch Essen zurück, aber es ist für andere bestimmt, für die Gefangenen des Arresthauses sowie für das Publikum, an welches ein Liter Essen zum Preise von 15 Pf. abgegeben wird.

„Durch diesen teilweisen Verkauf unserer Speisen decken sich vollständig die Ausgaben für die Nahrungsmittel,“ erläutert die Lehrerin, „so daß die Stadt nur für die Besoldung der Lehrerinnen und die Verzinsung des Anlagekapitals aufzukommen hat.“

„Und wie hoch beläuft sich der also geforderte jährliche Zuschuß?“

„Auf rund 3000 Mark für jede Kochschule.“

„Für jede? So haben Sie außer dieser noch eine derartige Anstalt?“

„Gewiß, und zwar eine von derselben Größe, denn wir unterrichten insgesamt 480 Volksschülerinnen, und zwar während des ganzen letzten Schuljahres, nicht, wie es an manchen Orten üblich, nur im halbjährigen Kursus.“

Während die liebenswürdige Lehrerin uns diese und manch’ andere Auskunft erteilt, haben die fleißigen Mägdlein die Spuren ihrer kochkünstlerischen Thätigkeit getilgt. In blendender Sauberkeit erstrahlen die Tische und Schemel, die Geschirr- und Topfregale, die Messer, Löffel und die Steinfliesen des Fußbodens. Von der letzten trocknen Oase, auf der wir mit der Lehrerin standen, retten wir uns nach dem Vorzimmer und nehmen dankend Abschied von dieser modernen Bildungsstätte, der wir ein herzliches „Wachse, blühe und gedeihe!“ zurufen. Mögen derartige Schulen, die in den jungen Mädchen den Sinn für Hauswirtschaft wecken, immer weitere Verbreitung finden!


Blätter und Blüten.


Karl v. Holtei. (Zu dem Bildnis S. 67.) Nicht nur im sangesfrohen Schlesien, seiner engeren Heimat, wird man in diesen Tagen gern und in Dankbarkeit des Dichters Karl v. Holtei gedenken, der am 24. Januar vor hundert Jahren in Breslau zur Welt kam. Wohl hat sich der Geschmack seit jener Zeit gewaltig geändert, da seine Singspiele und rührenden Dramen, wie „Lenore“ und „Lorbeerbaum und Bettelstab“, zu den beliebtesten Stücken der deutschen Bühne zählten; aber viele seiner Lieder leben noch heute mit der Frische echter Volkslieder im Bewußtsein der Nation und die besten seiner Romane finden im heranwachsenden Geschlecht immer aufs neue empfängliche Leser. Noch sind auch viele am Leben, die den liebenswürdigen wanderlustigen Dichter persönlich gekannt, ihn als dramatischen Vorleser, als unerschöpflichen Improvisator und humorvollen Anekdotenerzähler bewundert haben. Auch Schauspieler war er in seiner Jugend, aber nicht lange. Dann wurde er Theatersekretär und Theaterdichter; erst in Breslau, dann in Berlin, wo seine erste Frau, die Schauspielerin Luise Rogée, an der Hofbühne wirkte. Auch seine zweite Ehe schloß er mit einer Bühnenkünstlerin, die er wiederum nach kurzem Eheglück durch den Tod verlor. Er war damals gerade Theaterdirektor in Riga. Darauf führte er ein unruhiges Wanderleben als Vorleser dramatischer Dichtungen, vor allem Shakespeares. In dem unterhaltenden und gehaltvollen Memoirenwerk „Vierzig Jahre“ hat er diese an interessanten Begegnungen überaus reiche Zeit sehr anziehend geschildert. In ganz Schlesien aber ist Holtei als Verfasser der „Schlesischen Gedichte“, in denen er den treuherzigen Volkston und die eigenartige Dialektfärbung ausgezeichnet traf, gekannt, anerkannt und beliebt wie kein anderer Dichter. In späteren Lebensjahren schrieb Holtei größere Romane, meistens im Plauderton, zuweilen gefühlvoll oder selbst empfindsam im Stil Jean Pauls, dessen Sentenzen er ja auch in Verse gebracht hat. Großen Beifall fanden die „Vagabunden“, die reich sind an köstlichen Genrebildern aus dem Leben der umherziehenden Artisten und Schausteller. Einen wärmeren Ton schlug er in seinem gemütvollen Roman „Christian Lammfell“ an. In andern Romanen und Erzählungen zeigte er sich als ein kecker Realist, dessen Naivetät manche Kühnheit entschuldigt. Karl v. Holtei ist ein echter schlesischer Volksdichter; aber er hat auch der ganzen deutschen Lesewelt wertvolle Gaben gespendet.

Strandkapelle S. Ampeglio bei Bordighera. (Zu dem Bilde S. 37.) An der herrlichen Riviera di Ponente, am Fuße des Kap S. Ampeglio liegt, halbversteckt in blühenden Gärten und den sanft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0066.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2020)