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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Als Christel eintritt durch eine Oeffnung in der Buchenhecke, die wie eine Rundbogenthür geschnitten ist, erblickt sie Edith bereits in zierlichen Bogen umherfahrend. Spiegelblank ist die Fläche, kein Zuglüftchen trifft die eifrige Läuferin, über ihr als Decke der tiefblaue Winterhimmel; es ist etwas Heimliches, Lauschiges um diesen Platz.

Sie sieht jetzt auch Anton, Anton, der, die Arme untergeschlagen, in dem Eingang der gegenüberliegenden Laube steht und die graziösen Bewegungen des jungen Mädchens verfolgt. „Anto,“ ruft Christel fröhlich, „das hast du nett gemacht!“

Er wendet sich hastig um und es fliegt etwas wie ein ärgerlicher Schatten über sein Gesicht. Als sie hinübergeschwankt ist zu ihm auf ihren Pantoffeln, liegt schon wieder die alte gleichmäßige Ruhe auf seinen Zügen.

„Welch nette Ideen du hast,“ lobt sie, „und welche Freude für das Kind! Schau nur, wie reizend jede Bewegung! Sie ist doch ein schönes, schönes Geschöpf, Anto, und ich freue mich, daß du endlich einmal eine Freundlichkeit für sie hast!“

„Na komm’, Christel,“ sagt er als Antwort, „es ist doch scheußlich kalt hier, und du hast dich doch wohl nicht genügend für einen Spaziergang angezogen?“

Sie blickt an sich herunter und muß lachen. „Aber, im eigenen Garten?“ entschuldigt sie sich, und gleich darauf möchte sie am liebsten in die Erde sinken, denn hinter dem atemlosen Stubenmädchen erscheint der Graf Altwitz. Er begrüßt Christel respektvoll wie immer, aber der befremdete Blick, mit dem er ihren etwas marktweiberhaften Aufzug prüft, entgeht weder ihr noch Anton. Er redet ein wenig über Wetter und Eisbahn, ruft Edith ein altmodisches galantes Kompliment zu und verschwindet dann mit Anton, da sein Besuch zu der frühen Stunde – es ist elf Uhr vormittags! – selbstverständlich nur dem Hausherrn gelte.

Christel und Edith bleiben allein in dem umfriedigten Platz, und Edith lacht, indem sie in kleinen Kreisen vor Christel umherfährt. „Nein, Frau Christel, wenn Sie sich nur sehen könnten! O, zu köstlich!“

Christel kann nicht mitlachen, und als sie annehmen darf, die Herren sind im Hause, angelangt, geht sie rasch hinterher und macht eilends Toilette. Sie will Anton sagen, es solle nicht wieder vorkommen, daß sie sich nach ihrer früheren Gewohnheit in die derben Sachen einer Wirtschafterin kleidet, sie könne nur so schlecht hantieren im besseren Anzug; so toll wie heute darf sie es nicht mehr machen, er hat recht.

Aber Anton redet kein Wort darüber, als sie sich bei Tische wieder treffen. Er ist genau wie alle Tage, seitdem sie hier im Schlosse wohnen, still und fast unfreundlich, solange die Damen von oben dasitzen, weich und ungewöhnlich nachgebend, wenn er mit Christel allein ist.

Bei Tische erfährt Christel, daß der Verkauf der den Fräulein von Wartau verbliebenen Antiquitäten, den diese für nächste Woche angesetzt hatten, nicht stattfinden wird, da Anton auch noch diese Sachen erstanden hat um den Preis, den der Sachverständige aus Leipzig aufstellte. Sie legt Messer und Gabel hin und sieht Anton erstaunt an, aber er vermeidet ihren Blick.

Fräulein Tonette reicht ihm mit besonderer Herzlichkeit die Hand.

„Lieber Mohrmann,“ sagt sie, „Sie haben mir einen großen Schmerz erspart, indessen – ein schlechtes Geschäft haben Sie auch nicht gemacht, es sind Stücke darunter von großem Wert. Aber ich bin Ihnen so dankbar, daß die Sachen hier bleiben dürfen. Ich weiß ja, uns gehört kein Ziegel mehr auf dem Dache, aber trotzdem ist mir’s in unsern traurigen Verhältnissen ein so wohlthuendes Gefühl, zu wissen, daß das teure Besitztum in Hände gerät, die pietätvoll bemüht sind, es gut zu erhalten. Auch dafür nochmals Dank, lieber Mohrmann, daß Sie damals so bereitwillig davon abstanden, das Eckzimmer tapezieren zu lassen. Diese alten Rokokogestalten an den Wänden, die haben schon in die Kinderträume unserer Voreltern hineingespielt, und ebenso in die meinen und die meiner Schwester. Auch unsere Edith, die ja hier geboren wurde, hat an ihnen als Kind die erste Unterhaltung gefunden. Sie war noch nicht ein Jahr alt, da streckte sie schon die Händchen nach ihnen aus und rief: ‚Mann – tata – tata!‘ Das sollte ‚Tanzen‘ heißen.“

Edith lächelt, aber Christels Augen haften noch immer an dem Gesicht ihres Mannes. Also deshalb wollte er nicht tapezieren lassen? Diese Enthüllung verwirrt sie plötzlich, macht ein bitteres Gefühl in ihrer Seele lebendig, das sie bisher nicht gekannt hat.

Sie sitzt nach Tische stumm auf ihrem Fensterplatz und schaut hinaus in den Garten, der in blendender Schneepracht daliegt. Es stört sie auch niemand; Edith klopft heute nicht, sie tummelt sich auf ihrer Eisbahn, und Anton kommt nie zu dieser Zeit, er hat mit dem Inspektor zu reden, oder dergleichen. Er ist überhaupt viel abwesend, ohne daß Christel weiß, wo er sich befindet. Früher, in der kleinbürgerlichen Engigkeit da drüben, da wußte sie um einen jeden seiner Schritte – ach, wie anders ist alles geworden!

Sie nimmt das Strickzeug und beginnt hastig zu arbeiten, dann läßt sie es wieder sinken und starrt vor sich hin. Und da meint sie zu hören, wie in ihrem Innern eine Stimme ganz laut räsonniert und schilt: „Pfui, Christel, daß du dich nicht schämst! Seit so vielen Jahren bist du mit ihm durchs Leben gegangen ohne Arg und Mißtrauen, nicht ein unlauterer Gedanke durfte dir kommen um deinen Mann – jetzt willst du wohl gar wegen alberner Lappalien – – Christel, mach’ keine Thorheit, nichts erschüttert die Ehe mehr als Mißtrauen; höre, sei wieder vernünftig, dumme Trine!“ Und dann sagt sie halblaut zu sich: „Warum soll er dem armen Wurm nicht den Gefallen thun und das bißchen Kram im Hause belassen, an dem sie schier närrisch hängt?“

Und die tapfere rechtschaffene Seele redet sich wirklich vollständig zur Ruhe und zwingt sich, daran zu denken, daß Anton eine große Jagd abhalten will, die erste als Besitzer von Wartau, und daß es für sie eine Ehrensache ist, das darauf folgende Diner tadellos herzurichten. Dann drängt sich wieder der kleine Anton in den Kreis ihrer Gedanken.

Als ihr Mann in der Dämmerung zum Vesper kommt, ist sie so freundlich und aufgeräumt wie nie, legt ihm das Menü für das Jagddiner vor und fragt, wo alle die Bilder, Nippsachen und wunderlichen Möbel bleiben sollen, die er gekauft hat in seiner Gutmütigkeit.

„Mögen sie doch oben stehen bleiben auf ihren alten Plätzen,“ antwortet er, „aber, was ich sagen wollte – Gutmütigkeit, Christel? In den Sachen steckt wirklich ein Wert, ich bekomme vom Antiquitätenhändler leicht das Doppelte.“

„Nein, nein, Anto,“ erwidert Christel und legt die Arme um seinen Hals, „ich kenne dich besser: willst den armen Würmern da droben einen Schmerz ersparen. So ist es – red’ kein Wort dagegen!“ Und ihren Kopf an seine Schulter legend, eine Zärtlichkeit so scheu und ungewohnt, daß man merkt, sie hat sie nur selten gewagt, setzt sie mit einer Stimme hinzu, halb verquollen von aufsteigenden Thränen: „Du verdienst, so glücklich zu sein, so viel glücklicher als ich dich machen kann, Anto!“

Er erwidert nichts, aber sie fühlt, wie sich seine Brust hebt in einem unterdrückten Seufzer, wie die Hand, die über ihre Wange streicht, zittert. „Christel,“ tröstet er, „wie kommst du auf solche Dinge? Hast du je bemerkt, daß ich unzufrieden bin? Sag’ lieber, du habest einen bessern Mann verdient.“

Sie denkt plötzlich wieder an ihr kinderloses Heim und fängt an zu schluchzen, leidenschaftlich wie nie. Er ist ganz betroffen, so hat er sie noch nicht weinen gesehen, die sonst immer gleichmäßige, ruhige Frau. Und auf einmal hat sie sich losgerissen und geht aus der Stube.

Er sieht ihr nach, ohne sich zu rühren, mit einem verzweifelten Ausdruck in den Augen, dann giebt er dem Stuhl, der ihm im Wege steht, einen Tritt, daß er durch das halbe Zimmer fliegt, rafft den Hut, den er auf ein Seitentischchen gelegt hat, empor und geht ebenfalls hinaus.

Christel ist ruhiger geworden, nachdem sie sich ausgeweint hat, das Herz ist ihr ordentlich leicht; sie hat auch Anton beruhigen wollen, aber der ist nirgends zu finden. Vermutlich bei Heine drüben, oder er spricht mit dem Zimmermeister wegen der Brennerei, die er im Frühjahr bauen will. Sie ist ganz beruhigt und setzt sich mit roten Wangen an die Weihnachtsarbeit für ihn in die Hinterstube, die an ihr Schlafzimmer grenzt. Die einfachen Möbel, die sie mitbekam, stehen in dieser Stube, in der sich schneidern und flicken und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0074.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2018)