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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

sie kommen. Die junge Frau Doktor hat diese vertrauliche Mitteilung in einem Brief an Christel gemacht, und diese erzählt es ihrem Manne.

„Wieviel haben sie denn schon?“ fragt er.

„Vier – vier Buben!“

„Vier Buben?“ wiederholt er und schaut durchs Fenster, als liefen sie da draußen umher. –

Edith ist jetzt wieder viel unten bei Frau Christel, ganz Feuer und Flamme für die Weihnachtsfeier. Schlittschuhlaufen kann sie ja so wie so nicht, die Kälte ist recht unweihnachtlich einem argen Schlackerwetter gewichen und der Spiegel der Eisbahn ist nur noch eine versickernde Pfütze.

In Christels Zimmer sieht es zuweilen kunterbunt aus von allerhand Christkindchens-Vorbereitungen, besonders an den Tagen, wo Anton nicht zu Hause ist. Und er ist recht oft unsichtbar jetzt; alle Augenblicke eine Jagdeinladung, und wenn das nicht, so ist er doch oft abwesend. Zuweilen hat Christel ihn weder fortgehen noch wiederkommen sehen, oder sie sucht ihn, aber er ist nirgends zu finden. Einigemal ist sie in Versuchung gekommen, nachzuschauen, ob er wieder droben bei den Damen sitzt, um wissenschaftliche Gespräche zu führen oder Edith einen kleinen Ritterdienst zu leisten. Zweimal kam just in dem Augenblick, wo sie den Fuß auf die Treppe setzen wollte, das junge Mädchen ihr entgegen: „Liebste Frau Christel, darf ich Sie besuchen? Störe ich nicht?“ Und ein drittes Mal sah sie Edith und ihre Tante, von einer Parkpromenade zurückkehrend, in die Thür treten, und jedesmal schämte sich Christel bis ins innerste Herz ihres Verdachtes und war tagelang unglücklich über sich selbst.

„Und wenn er wirklich bei ihnen oben sitzt,“ sagt sie sich, „ist’s denn ein Verbrechen?“

Oben im zweiten Stock, wo das Billardzimmer und die große Bibliothek sich befinden, wo das Napoleonszimmer ist und eine Reihe unbenutzter Fremdenstuben, hat sie in einer derselben alles zusammengetragen, was für Anton den Großen und Anton den Kleinen zu Weihnachten bestimmt ist. Eine ganze Ausstattung an Wäsche für das Kind liegt da, denn Christel hat ohne Bedenken ihre früheren Ersparnisse angegriffen, Matrosenanzüge, Spielsachen, kurz alles mögliche ist angeschafft. Einmal ist sie einen ganzen Tag lang allein in Leipzig gewesen und von Laden zu Laden gewandert mit so unruhigem, seligem Herzen.

Ach, wenn es ihr gelänge, Anton froh zu machen! Wenn er und sie in treuer Elternliebe zusammen sorgten für den netten Jungen! Sie ist ihrer Schwester so dankbar, daß sie sich ihren Plänen nicht mehr so abgeneigt zeigt. Was denn aber werden sollte, hat die Pastorin gefragt, wenn Christel noch eigne Kinder bekäme und der arme Junge, der Anton, bei ihr so recht verwöhnt worden sei.

Da hat Christel traurig den Kopf geschüttelt und dann – „wenn es wirklich wäre, Lottchen, so würde er doch immer unser Aeltester bleiben. Anto ist viel zu gerecht, um ihn je zu verstoßen.“

„Ja, das sprichst du so, Christel,“ war die bekümmerte Antwort gewesen, „aber ehe ich nicht weiß, wie Anto denkt – –“

„Ach Lotte, Lotte, laß mich den Versuch machen,“ bettelt sie, „du weißt ja nicht, welche Hoffnungen an seinem Gelingen für mich hängen,“ hat Christel gerufen. Und Frau Pastor hat seufzend gesagt: „So mache denn den Versuch, ich will es nicht hindern.“

(Fortsetzung folgt.)




Der rheinische Karneval.

Von Dr. J. Nover.

„Ein reiches, wildes, lust’ges Leben
Hat allezeit der Rhein gepflegt,
Ihm hat Natur den Kranz der Reben
Umsonst nicht auf die Stirn gelegt.“

So singt Julius Wolff in seinem Schelmenlied „Till Eulenspiegel redivivus“ mit Recht, und wenn überhaupt den Rheinländer eine regsame und heitere Sinnesart kennzeichnet, so gilt dies in ganz hervorragendem Grade von den Bewohnern jener Gegenden am Rhein, wo der beste Rebensaft als heilsamster Sorgenbrecher und Heiterkeitsspender gedeiht. Zu der angeborenen Daseinsfreude kommt aber wohl auch noch als belebendes Element eine gewisse Kampflust hinzu, die am Rhein das Blühen und Gedeihen der volkstümlichen Narren- und Spottfeste befördert hat.

Beachten wir noch die alten Ueberlieferungen, welche besonders in den aus den alten Römerkolonien erwachsenen Städten am Rhein, wie Köln, Koblenz, Mainz, Bingen u. a., als Nachklänge der antiken Bacchanalien und Saturnalien sich erhalten haben, so ist es begreiflich, daß der Prinz Karneval vorwiegend und dauernd seinen Sitz am schönen Rheine aufschlug.

Schon frühe gab es hier einzelne Maskengruppen, sogenannte Bände, die von Haus zu Haus zogen, überall Gastfreundschaft fanden, dafür ihre Neckereien verübten und förmliche Komödien aufführten. Schon in Cäsar v. Heisterbachs Schriften aus dem 12. Jahrhundert wird derselben Erwähnung gethan, und in den Kölner Ratsprotokollen aus dem 14. Jahrhundert finden wir Verbote gegen Vermummungen, weil sie oft zu Erpressungen von Geld und Speisen mißbraucht worden waren. Bei kirchlichen und bürgerlichen Wirren wurden Verbote gegen die Anwendung von Mönchs- und Nonnentrachten erlassen. Mitunter wollte man auch zu Kriegszeiten dem Einschleichen von Spionen,


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0076.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2022)