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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

ferner Streitigkeiten zwischen Militär und Civil durch solche Verordnungen vorbeugen. Trotzdem brach sich die Maskenfreiheit immer wieder aufs neue Bahn.

Schon lange vor den eigentlichen drei Fastnachtstagen hört man allenthalben von nichts anderem als den Vorbereitungen zu Maskenscherzen. Heimlich zischeln sich die Frauenzimmer unter Lachen ins Ohr, die Männer horchen neugierig oder schmieden abends beim Schöppchen ihre Gegenpläne, die Kinder erzählen sich fast den ganzen Winter von Fastnachtsscherzen. Flachsperücken und Nasenungetüme jeder Art werden zubereitet, Komödien und Possen eingeübt. Am Sonntag vor Fastnacht beginnen dann schon die Mummereien der Kinder in den Straßen, am Montag folgen die Erwachsenen zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen. Ein festliches Getümmel wälzt sich in Köln von der Hochstraße zum Altenmarkt hinab. Alle Fenster sind geöffnet und dicht mit Köpfen besetzt. Den Masken stehen die Häuser offen und überall werden sie bewirtet. Das übliche Gebäck sind die sogenannten Muzen, anderwärts „Krebbel“ (von „Krapfen“) geheißen. Unter den Fastnachtsscherzen wurden schon im Anfang unseres Jahrhunderts manche wegen ihrer moralischen Wirkung hervorgehoben, so die Darstellung einer Spielhölle, der Advokatenkniffe u. dergl.

Der ursprüngliche Kölner Karneval begann mit einer Vorfeier in den Klöstern am Donnerstag vor Fastnacht in der sogenannten Pfaffenfastnacht oder Weiberfastnacht. Bis 1797 vergnügten sich die Klostergeistlichen an diesem Tage mit Maskenscherz und Schauspielen, die auf eigens erbauten Theatern aufgeführt wurden. Einige dieser Fastnachtsspiele sind im Druck veröffentlicht. Als typische Figur tanzte an diesem Tage der mit Schellen behangene „Bellengeck“ mit Pritsche und Citrone in den Händen, von Geigern begleitet, durch die Straßen und sprach vor den Häusern der Reichen seine Sprüche, wofür er sein Trinkgeld erhielt. Mit der französischen Revolution verschwand diese Figur, tauchte aber 1801 wieder auf, als ein von Paris kommendes Dekret den Karneval wieder erlaubte. Damals las man die Erlaubnis des Platzkommandanten an allen Ecken: „Il est permis au citoyen Bellengeck de faire son tour“ („Es wird dem Bürger Bellengeck erlaubt, seinen Umzug zu halten“). Sofort bildeten sich die üblichen Festzüge wieder, und 1812 nahm sogar die französische Besatzung der Stadt Köln durch einen gewaltigen Reiterzug an dem öffentlichen Feste teil. Von da ab begann eine neue Aera des rheinischen Karnevals, die wir nach dem Vorgang des Kölner etwas näher betrachten wollen.

Am Tage der Vorfeier pflegten die Frauenzimmer sich gegenseitig zu foppen, indem sie sich die Hauben vom Kopfe rissen. Dies war die sogenannte Weiberfastnacht am Donnerstag vor dem eigentlichen Feste. Sie ward besonders von den „Damen der Halle“ auf dem Marktplatze mit einem grotesken Elfenreigen gefeiert, und für einen Mann war es nicht geraten, den Tanzenden zu nahe zu kommen; sonst rissen sie ihm den Hut vom Kopfe und spielten damit Fangball („Liwweraaz“). Dies nannte man „Mützenbestot“, d. h. Mützenregiment.

Am Sonnabend vor Fastnacht ward dann vom Altan des Rathauses herab öffentlich die Freiheit verkündigt, und nun begann ein dreitägiges tolles Treiben. Maskenzüge und -Gruppen trieben allenthalben ihren Scherz, und jeden Abend fanden Bälle statt. Demütig eilten dann am Aschermittwoch die ausgelassenen Fastnachtsschwärmer zur Kirche, um sich das Aschenkreuz auf die Stirne machen zu lassen. Mittags scherzte man noch einmal bei solennen Mahlzeiten, und am folgenden Sonntag (Lätare) fand eine Nachfeier der Karnevalsfreunde statt. In dieser Form ward das Fest bis 1823 gefeiert. Von da an kamen förmliche Komitees und Generalversammlungen hinzu. Aus letzteren, dem sogenannten „großen Rat“, schied sich ein Komitee aus, der „kleine Rat“, der sich ausschließlich mit den Vorbereitungen zum Feste beschäftigte und sich seinen Sprecher oder Präsidenten wählte. Unter dem Präsidenten stehen die Ausschüsse, die alljährlich vom 11. des 11. Monats, also vom 11. November, ab wöchentlich bis zum Aschermittwoch zusammentreten; denn 11 ist die Narrennummer.

Den Ursprung der Narrenziffer 11 hat man verschieden erklärt. Einmal hält man sie für ein Symbol der Eintracht, weil die Rechte soviel besagt wie die Linke, dann der Beständigkeit, denn sie fängt an, wie sie aufhört; ferner der Schönheit, denn sie zeigt Einheit in der Mannigfaltigkeit und umgekehrt; endlich des Unbegreiflichen, denn die Hälfte der römischen Ziffer XI ist quer durchschnitten VI. Auch die einzelnen Buchstaben des deutschen Wortes „E–l–f“ hat man als die Initialen des Narrenspruchs: „Ei, lustig, fröhlich!“ gedeutet. Schließlich mußten noch die 11 Funken im Kölner Stadtwappen zur Erklärung herhalten. Bekanntlich führt auch die im Karnevalszuge typisch auftretende Kölner Stadtgarde den Titel „Funken“.

Die Generalversammlungen der regelmäßigen wöchentlichen Sitzungen des „großen Rats“ beginnen von Neujahr ab. Alle Teilnehmer müssen die preisgekrönte dreifarbige grün-rot-gelbe Narrenmütze aufsetzen und erhalten beim Eintritt ein Liederbüchlein. Präzis 11 Minuten nach der festgesetzten Stunde bezieht das Festkomitee unter den Klängen des üblichen „Narrhallamarsches“ seine Tribüne und eröffnet mit launiger Begrüßung die Sitzung. Alsdann verliest sein Sekretär ein närrisches Protokoll über die vorige Versammlung. Nun lösen sich Vorträge mit Liedern ab. Gefällt ein Vortrag, so wird er lebhaft belacht und beklatscht und mitunter vom Präsidenten mit Orden oder einem närrischen Titel belohnt. Hat er aber mißfallen. so erregt das Publikum Tumult und der Redner muß verschwinden, sei es durch Erscheinen einer aufsteigenden Wand oder durch eine unterirdische Versenkung. Mitunter stürzten zwei fratzenhafte Affen auf den Redner, zum Zeichen, daß sein Vortrag „unterm Aff’“ war.

In den Vorträgen fehlt es nie an politischen, lokalen, ja selbst persönlichen Anspielungen, die, je treffender sie sind, mit um so größerem Beifall aufgenommen werden. Ist der Getroffene unter den Anwesenden, so darf er nicht den Verdrossenen spielen, sondern das Beste ist, wenn er herzlich mitlachen kann.

Ohne persönlichen Stachel freilich sind die allgemeineren Hänseleien auf ganze Stände, wie auf Lieutenants, Advokaten und so weiter. So war einmal in Mainz von einer drastischen, wahrhaft zwerchfellerschütternden Komik die scenische Vorführung des Testamentes eines alten Winzers auf dem Sterbebette. Scheinbar mühsam richtet sich der alte Weinpanscher auf seiner Matratze in die Höhe und versammelt um sich seine Söhne, ihnen mit heiserer, erlöschender Stimme vor seinem Hinscheiden noch ein hochwichtiges Geheimnis anzuvertrauen. Begierig und atemlos lauschend horchen die Söhne auf die letzten Worte des dunklen Ehrenmannes. „Tretet näher an mich heran, meine lieben Kinder,“ – so flüstert der Biedermann – „vernehmt das heilige Vermächtnis eures sterbenden Vaters. Ein Geheimnis von schwerwiegender Bedeutung will ich euch mitteilen, das euch in eurem Berufe als Weinfabrikanten von großem Vorteil sein wird. So hört denn und bewahrt es als letztes Testament eures erfahrenen Vaters in eurem Busen: man kann auch Wein bloß von Trauben machen!“ – Sprach’s und hauchte vor den in starrem Erstaunen und tiefer Ehrfurcht verharrenden Söhnen seine edle Seele aus.

Auf die Vortrüge folgen in geeigneten Abständen Lieder, die von der Versammlung im Chorus gesungen werden. Oft wird zum Refrain an die Gläser geklungen, in die Hände geklatscht, geniest, oder es werden alle möglichen Tierstimmen nachgeahmt.

Es hat nicht an ernsten und wissenschaftlich bedeutenden Männern gefehlt, die dem Karneval ihre Sympathie bezeigten und ihm seine Berechtigung zuerkannten. So vor allem unser Altmeister Goethe (1824). Infolgedessen lud ihn das Kölner Komitee zum nächsten Fasching ein, und Dr. Dillschneider dankte ihm in einem warm empfundenen Sonett. Goethe erwiderte mit einem Gedicht, dem wir folgende Verse entnehmen:

     „Auch dem Weisen fügt behaglich
Sich die Thorheit wohl zur Hand,
Und so ist es ganz verträglich,
Wenn er sich mit euch verband …
     Löblich wird ein tolles Streben,
Wenn es kurz ist und mit Sinn;
Heiterkeit zum Erdeleben
Sei dem flüchtigen Rausch Gewinn!“

Außer Goethe nahmen viele berühmte Männer die ihnen zugesandten Narrendiplome mit humoristischen Antwortschreiben an, so E. M. Arndt, Bechstein, Dickens, Duller, Freiligrath,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0078.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2019)