Seite:Die Gartenlaube (1898) 0090.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

und brach dann in ein homerisches, unauslöschliches Gelächter aus, mit einer so fürchterlichen Stimme, daß ich selbst in diesem eilfertigen und hochwichtigen Augenblick nicht umhin konnte, mir zu sagen, ich hätte mir mein Flüstern und Quieken auf dem Ball sehr gut sparen können, denn meine gute Tante – mein netter, alter Kerl – hatte doch eigentlich ein Organ wie ein tüchtiger Wachtmeister!

Was sie eigentlich so belustigte, darüber war ich mir in meiner über mich selbst gehobenen Verfassung grenzenloser, freudiger, zitternder Erregung nicht klar. Als sie aber gar nicht aufhörte mit Lachen und nur mit schmerzlich verzogenem Gesicht sich immer wieder die Lachthränen trocknete, wurde ich begreiflicherweise ärgerlich. ‚Mas lachen Sie denn eigentlich ohne Aufhören, Tante?‘ frug ich in etwas unwirschem Ton.

‚Nun,‘ sagte das Fräulein und machte einen allerdings ziemlich fruchtlosen Versuch, sich zu fassen, ‚wenn Sie sich sehen könnten, lieber Sohn, wie Sie mit der weißen Haube und dem großen Schnurrbart aussehen – wenn Sie sich so sehen könnten, und dann nicht lachten, dann würde ich Ihnen sofort die Thür weisen, denn Leute ohne Sinn für einen lächerlichen Anblick kann ich nicht brauchen!‘

‚Ich danke bestens!‘ erwiderte ich gereizt, ‚lächerlicher Anblick – niedlich!‘

‚Nun aber zur Sache!‘ fuhr die Tante, ungerührt durch meinen gerechten Unwillen, fort, ‚was wollen Sie eigentlich zur mitternächtigen Stunde von mir, daß Sie so klingeln, als wenn das Haus in Flammen stünde?‘

Ich trat einen Schritt näher.

‚Tante,‘ sagte ich tiefbewegt, ‚Tante – Ines liebt mich – sie hat mich in Ihrer Verkleidung für Sie gehalten, und ich habe sie nicht enttäuscht – sie hat mir ahnungslos ihre Liebe gestanden – Tante – Tante!‘

Zu meinem Entsetzen winkte die Tante unter erneutem, erstickendem Gelächter als einzige Erwiderung abwehrend mit der Hand.

‚Drehen Sie sich um! Drehen Sie sich ganz weg – oder nehmen Sie wenigstens die Haube ab!‘ stöhnte sie; ‚wenn Sie mit der Haube und dem Schnurrbart gefühlvoll werden, das überlebe ich nicht!‘

Ein neuer Lachkrampf schüttelte meine Gönnerin, die ich in dem Augenblick am liebsten selbst geschüttelt hätte, trotz aller Liebe und Hochachtung.

‚Zum Teufel die Haube!‘ rief ich, riß mir das unselige Gebäude vom Kopf und schleuderte es voll Abscheu in eine Ecke, ‚also noch einmal, Tante: Ines liebt mich!‘

‚Na,‘ sagte die Tante herzlos, ‚das thut sie hoffentlich morgen vormittag auch noch – dazu hätten Sie mich nicht aus dem Schlaf zu klingeln brauchen. Wenn ich denke, daß ich so viel intriguiert habe, um mir eine ruhige Nacht zu verschaffen – und das ist die Folge!‘ setzte sie mit wehmütigem Kopfschütteln hinzu.

‚Verzeihen Sie mir, Tantchen,‘ rief ich ungeduldig und reuevoll, da mir meine Rücksichtslosigkeit nun erst klar wurde, ‚ich sehe ja alles selbst ein, aber was soll ich nun thun?‘

Ich ging hastig und aufgeregt in der Stube auf und ab, die Tante sah mir mißtrauisch nach; als ich mich aber verzweifelt in einen Sessel warf, stellte sie sich energisch vor mich hin.

‚Nein, lieber Freund, nein,‘ sagte sie mit Nachdruck, ‚hier stundenlang über einem Entschluß brüten, das, bitte, besorgen Sie zu Hause! Ich bin Ihnen herzlich gut – aber die Nacht bei Ihnen zu wachen, weil Sie sich verliebt haben – das können Sie nicht verlangen, so weit geht meine Freundschaft nicht!‘ Bei mir überwog jetzt auch der Humor die Ratlosigkeit – ich küßte der alten braven Dame lachend die Hand.

‚Sie haben vollkommen recht, liebste Tante, und Sie sollen jetzt auch gleich Ihre Ruhe haben. Aber zunächst seien Sie noch einmal, wie schon so oft, die klügste, beste Ratgeberin unter der Sonne für Ihren Nichtsnutz von Pflegesohn: sagen Sie mir, wie soll ich meinen Vorteil weiter verfolgen? Sie wissen am besten, wie schwer ich ihn mir errungen habe!‘

‚Und nicht einmal redlich,‘ erwiderte die Tante vergnügt. ‚Aber so gefallen Sie mir viel besser,‘ setzte sie erleichtert hinzu, ‚auf dem Kothurn sind Sie wirklich gar nicht nett, Rotenberg! Nun will ich Ihnen auch einen vernünftigen Vorschlag machen. Jetzt ist es bald elf Uhr – Sie haben noch ungefähr zweiundeinehalbe Stunde Zeit, denn so lange wird, aller menschlichen Berechnung nach, der Greuel auf dem Maskenball noch dauern. Fahren – jagen – rasen Sie in die Maskengeschäfte – in die Theatergarderobe – klingeln Sie die Leute heraus – darin haben Sie ja heute Routine –‘

‚Tante!‘ sagte ich bittend.

‚Na, etwa nicht?‘ gab sie kaltblütig zurück, ‚besorgen Sie sich einen feinen Maskenanzug – Carlos, Rinaldo Rinaldini, Harlekin – was Sie wollen und was Sie kriegen können – das wird wohl das Entscheidende bei der Frage werden – dann rasen Sie wieder auf den Ball zurück, schmieden das Eisen, so lange es heiß ist – und wenn es irgend angeht, verloben Sie sich noch vor dem Schlußkaffee. Aber holen Sie sich meinen aufrichtigen und herzlichen Glückwunsch nicht etwa morgen früh um vier, sondern frühestens mittags um zwölf – und nun – fort – weg! ich sehe Sie schon nicht mehr!‘

Und die Thür schloß sich hinter mir, während ein kräftiges: ‚Na, gottlob, fort ist er,‘ mir als Segensspruch der Tante nachtönte und mich noch auf der eiligen Fahrt erheiterte, die ich nun durch die Maskengeschäfte der Stadt antrat.

Verwünscht, angeknurrt, mehrfach fast hinausgeworfen, um Unsummen Geldes geprellt, fand ich mich endlich als Spanier wieder, ‚stolz, wie man ihn liebt‘, und will nun von der sich abspielenden Liebeserklärung nichts weiter sagen, als daß sie glückte – was ja unbedingt die Hauptsache ist. Das freudige Erschrecken, welches Ines’ Gesichtchen bei meinem Anblick zur Schau trug – man hatte sich inzwischen demaskiert –, der so ungewohnt weiche, vorwurfsvolle Ton der Frage: ‚Aber wo waren Sie denn den ganzen Abend?‘, alles dies gab eine famose Einleitung für meine Absichten und Wünsche, so daß wir noch vor

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0090.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2019)