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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

mit bedenklicher Miene in seiner Nähe. Er zog während der Rede seines königlichen Freundes, wie der Historiker Treitschke berichtet, einen langen Kamm aus der Tasche und begann, sich bedächtiglich sein gelichtetes Haar vom Hinterkopf nach vorn zu strähnen. Diese überschwengliche Art des Königs, für die Idee der Einheit Deutschlands Propaganda zu machen, mußte Metternichs schwerste Bedenken erregen. Sie lief schnurstracks den Grundsätzen seines doch auch von Friedrich Wilhelm IV gutgeheißenen Systems zuwider, das bisher den „deutschen Geist“ so fest und sicher in Zucht gehalten.

H. Th. v. Schön.

Arnold Ruge.
Nach einer Lithographie von F. Hickmann.

Dieser neue Herr auf dem Zollernthron mit seinem Drange, sich öffentlich reden zu hören, bereitete ihm doch rechte Verlegenheiten! In Frankreich, wo die Kriegsdrohungen Thiers’ längst verstummt waren, wo jetzt Guizot und sein Souverän Louis Philipp in vollstem Einverständnis mit der österreichischen Führung regierten, konnten die pomphaften vieldeutigen Worte herausfordernd wirken. In Deutschland aber mußten dieselben erst recht mißverstanden werden! Das klang ja, als habe Friedrich Wilhelm ernstlich vor, die Umsturzpläne der süddeutschen Liberalen zur Sache der preußischen Krone zu machen! Mit ganz ähnlichen Phrasen reizten ja diese das Volk gegen den Bundestag auf! Daß aber dies nicht entfernt die Absicht des Königs war, dafür bürgte der ihm wohlbekannte romantisch-konservative Charakter desselben, seine Ergebenheit für das kaiserliche Erzhaus, seine Abneigung gegen alles, was den Stempel des modernen Liberalismus trug. Warum dann aber Hoffnungen erwecken, deren Nichterfüllung nur die Unzufriedenheit schüren konnte? Der kluge Staatsmann sah voraus, die Ernüchterung nach dem Festrausch würde sich bitter rächen. Und mit Schrecken dachte er daran, wie bereits im Jahre vorher dieser unruhige König in seiner altangestammten treuesten Provinz Ostpreußen die Geister gegen sich aufgebracht hatte, weil er mit schönen Reden Erwartungen geweckt hatte, die zu erfüllen ihm absolut nicht im Sinn lag. Dort, in Königsberg, hatte er beim Huldigungsfest den Provinziallandständen von einer „lebendigeren Zeit“ gesprochen, die nun für die ständischen Verhältnisse beginnen solle. Die Stände der Provinz Preußen schöpften daraus den Mut, den König um die Verleihung der schon von seinem Vater versprochenen konstitutionellen Reichsverfassung für ganz Preußen zu bitten. Zu ihrer großen Enttäuschung mußten sie bald erfahren, wie sehr sie ihn mißverstanden. Der König ließ schroff erklären, daß er wohl vorhabe, gelegentlich die ständischen Ausschüsse der verschiedenen Provinzialstände des Königreichs zu gemeinsamen Sitzungen zu berufen, eine vertragsmäßige Verfassung aber nie zwischen seinem landesväterlichcn Willen und dem Volk dulden werde. Der Unwillen über diesen Bescheid war allgemein.

Johann Jacoby.

General v. Boyen.

Ein politisch regsamer Königsberger Arzt, der Doktor Johann Jacoby, welcher sich durch seinen bei Bekämpfung der Cholera früher bewiesenen Mut ungewöhnliches Ansehen bei seinen Mitbürgern erworben hatte, brachte die allgemeine Empfindung in seiner Schrift „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen“ mit logischer Beweiskraft zum Ausdruck. Die erste dieser vier Fragen lautete: Was wünschen die preußischen Stände? Die Antwort: Sie wünschen Teilnahme der Bürger am Staat. Die zweite Frage: Was berechtigt sie? Die Antwort: Das Bewußtsein der eignen Mündigkeit und die bereits am 22. Mai 1815 erfolgte Mündigsprechung. Die dritte Frage: Welcher Bescheid ward ihnen? Antwort: Wohl Anerkennung ihrer treuen Gesinnung, aber Abweisung der gestellten Anträge und vertröstende Hindeutung auf einen zukünftigen unbestimmten Ersatz. Der vierten Frage: Was bleibt ihnen zu thun übrig? ließ er schließlich die entschiedene Antwort folgen: Dem gegenüber bleibt ihnen nichts übrig, als das, was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als klar erwiesenes Recht in Anspruch zu nehmen!

Diese Schrift Jacobys, welche in Mannheim erschien, wirkte in der Stickluft jener Tage wie ein klärendes Gewitter. In Leipzig als Buch von mehr als 20 Bogen Umfang ohne Censur gedruckt, aber auch schon dort gleich nach Erscheinen verboten, fand sie in ganz Deutschland eine ungeheure Verbreitung. Den König aber setzte die „Dreistigkeit“ des Königsbergers in höchsten Zorn, zumal als dieser, welchen der Titel der Schrift ungenannt ließ, sie ihm direkt zusandte unter Inanspruchnahme seines königlichen Schutzes.

Schon vorher hatte eine für ihn persönlich geschriebene Denkschrift des alterprobten Oberpräsidenten von Preußen, des Freiherrn von Schön, seinen ganzen Ingrimm herausgefordert. Unter dem Titel „Woher und wohin?“ wies hier Schön, der frischen Sinnes in seiner Provinz die Tradition des Steinschen Geistes bewahrt hatte, nach, daß die natürliche und historische Entwicklung Preußens nunmehr dringend die Erfüllung des alten Versprechens vom Jahre 1815 verlange. In seiner Antwort auf diese Schrift hatte der König brüsk die Zumutung abgelehnt. Ihm erschien das Verlangen nach einer konstitutionellen Verfassung als eine freche Anmaßung des „beschränkten Unterthanenverstandes“, der sich gegen seine landesväterliche Gewalt auflehne. „Ich fühle mich ganz von Gottes Gnaden und werde mich so mit seiner Gnade bis ans Ende fühlen! … Glanz und List überlasse ich ohne Neid sogenannten konstitutionellen Fürsten, die durch ein Stück Papier dem Volke gegenüber eine Fiktion, ein abstrakter Begriff geworden sind. Ein väterliches Regiment ist teutscher Fürsten Art, und weil die Herrschaft mein väterliches Erbteil, mein Patrimonium ist, darum hab’ ich ein Herz zu meinem Volke, darum kann ich und will ich unmündige Kinder leiten, entartete züchtigen, würdigen, wohlgeratenen aber an der Verwaltung meines Gutes Teil geben, ihnen ihr eigenes Patrimonium anweisen und sie darin vor Dieneranmaßung schützen!“ Jetzt veranlaßte er persönlich, daß gegen Jacoby ein Prozeß wegen versuchten Hochverrats und Majestätsbeleidigung angestrengt wurde.

Heinrich Simon.
Nach einer Lithographie von Ph. Winterwerb.

Und als dieser Prozeß dem Verklagten zwar eine Verurteilung zu 2½ Jahren Festung zuzog, schließlich aber doch durch ein freisprechendes Urteil des Geheimen Obertribunals in Berlin sein Ende

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0094.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2020)