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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

fand, da ergriff ihn über diese Rechtsprechung die tiefste Empörung. In seinem Unmut verordnete er ein Gesetz, das die politische Unabhängigkeit des preußischen Richterstands wesentlich beschränkte. Der Freiherr von Schön ward seines Amtes entsetzt, als die Denkschrift „Woher und wohin?“ ohne sein Zuthun plötzlich in einem Straßburger Verlag veröffentlicht wurde. Und wie der König jetzt zahlreiche andere „entartete Kinder“, die ihm zu opponieren wagten, „züchtigte“, Dahlmann in Bonn und viele andere liberale Professoren maßregeln, Hoffmann von Fallersleben in Breslau absetzen und des Landes verweisen ließ, so wurde der schwäbische Dichter Herwegh, dem er vorher als Freund „gesinnungsvoller Opposition“ eine Audienz gewährt, aus Preußen verbannt, als er von der gesinnungsvollen Opposition in Königsberg zum Helden einer festlichen Versammlung gemacht worden war und in einem Brief an den König seine oppositionellen Gesinnungen aussprach. Gegen die namentlich im Rheinland erblühte freisinnige Presse ward ein Feldzug eröffnet, welcher der Mehrzahl der Blätter das Leben kostete und ihre Redakteure zu Flüchtlingen machte, so auch Karl Marx, der in Köln Mevissens „Rheinische Zeitung“ zu schneller Blüte gebracht hatte. Auch der ehrwürdige Kriegsminister Boyen, der ruhmreiche Organisator der preußischen Landwehr, ging der Gunst des Königs verlustig, nachdem er die Mahnung gewagt: es sei ein Irrtum, den Entwicklungsgang der Zeit beliebig hemmen zu können. Ja, auch über die Grenzen Preußens reichte sein strafender Arm, wie im besonderen Arnold Ruge, der Herausgeber einer Zeitschrift, erfahren mußte, welche die romantische Geistesrichtung des Königs mit rücksichtsloser Schärfe bekämpfte. Von Halle, wo er mit Echtermeyer seine „Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst“ herausgab, hatte ihn die preußische Censur vertrieben; nachdem er die Redaktion nach Dresden verlegt, mußte er hier erleben, daß auf preußisches Andringen seine Jahrbücher ganz unterdrückt wurden. Weiteren Verfolgungen entzog sich der entrüstete Pommer durch die Flucht; er ging nach Paris, wo inzwischen auch Herwegh ein Asyl gefunden hatte.

Was seinem Staate not that, das wußte nach seiner Meinung nur Friedrich Wilhelm allein. Kraft der göttlichen Weihe seiner Krone hielt er nur sich selbst für befähigt, das Wohl des Landes zu erkennen und für dasselbe zu sorgen. Seine Minister waren ihm nur Diener, „Schreiber“ – keine Berater, und nur solche, die, wie Bodelschwingh, sich mit dieser Rolle begnügten, hielten bei ihm stand. Auch von seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm, nahm er keinen Rat an. Wohl hatte er vor, die Verordnung seines Vaters, daß ein preußischer Reichstag zu berufen sei, der neue Anleihen und Steuern zu genehmigen habe, irgendwie zu erfüllen, doch ohne in das andre alte Versprechen einer Verfassung zu willigen. Aber den Weg aus dem schweren Konflikt, den ihm der Widerspruch zwischen Königspflicht und Sohnespflicht bereitete, wollte er allein finden. Und doch war er kein Staatsmann, nur ein eigenwilliger Grübler und Schwärmer, dem romantische Vorstellungen vom Werte mittelalterlicher Einrichtungen den Blick in die Welt der zeitgemäßen Bedürfnisse trübten! Von einer verhängnisvollen Schwerfälligkeit im Ausführen von Entschlüssen, die er im Ungestüm faßte und mit zäher Energie festhielt, ein „Hamlet auf dem Hohenzollernthrone“, grübelte er fünf Jahre lang über die richtige Lösung der unlösbaren Aufgabe. In dem Plan eines „Vereinigten Landtags“ der acht Provinzialstände, den er nach freiem Belieben einberufen wollte, glaubte er endlich die Lösung gefunden zu haben. Danach hatten 307 Repräsentanten des hohen und niedern Adels und 306 Abgeordnete der Bürger und Bauern das gesamte preußische Volk zu vertreten! Etwa 10000 Herren und Rittergutsbesitzer verfügten über 278 Stimmen, während 979 Städte mit weit über 4 Millionen Einwohnern sich mit 182 Stimmen begnügen mußten! Daß dies keine gerechte und zeitgemäße Landesrepräsentation sei, zumal in einer Zeit, wo die Entwicklung der neuen Verkehrsmacht, des Eisenbahnwesens, dem Handel und der Industrie eine bisher unerhörte Bedeutung für den Nationalwohlstand gab, mochte er nicht einsehen. Wie sein romantischer Sinn sich am Ausbau des Kölner Domes berauschte, so sah er in diesem „Landtag“ die Vollendung des alten „christlich-germanischen Patrimonialstaats“ mit seiner mittelalterlichen Ständeordnung. Er war stolz auf den Plan und hielt ihn für eine göttliche Eingebung. Daher sein ganz persönlicher Groll über die schlechte Aufnahme dieses „Geschenkes“, das sein Patent vom 3. Februar 1847 dem Volke ankündigte.

Eine mit sittlichem Pathos vorgetragene Kritik dieses Patents durch den Breslauer Stadtgerichtsrat Heinrich Simon, der vorher schon, 1844, unter lautem Protest gegen das neuerlassene, die Unabhängigkeit der Richter bedrohende Gesetz sein Amt niedergelegt hatte, that jetzt eine ähnliche Wirkung, wie es 1841 Jacobys „Vier Fragen“ gethan. Diese Kritik erfolgte in der Schrift „Annehmen oder Ablehnen?“ und sprach sich für das letztere aus. „Wir baten Dich um Brot, und Du giebst uns einen Stein!“ hob die Beschwerde an: sie wies nach, daß das Patent dem Volke sogar noch altverbriefte Rechte nehme, und sie gipfelte in der Beschwörung: „Nur Vertrauen erzeugt Vertrauen! Wohlan! Wir stehen an einem Marksteine der preußischen, der deutschen Geschichte. Der König gebe Sich Seinem Volke hin. Er breche rund und voll mit jener Ansicht, welche Eine Persönlichkeit als allein berechtigt fünfzehn Millionen gegenüber stellen will, die sich auf dem Huldigungslandtage in den Worten äußerte: ‚Die Krone ist mir von Gott gegeben, wehe dem, der daran rührt!‘ Nun: ‚Volkesstimme ist Gottesstimme!‘ Das Volk hat mit seinen vielfältigen Anträgen an die Krone gerührt. Wir beschwören Ihn, auf diese Stimme zu hören, den Gedanken der absoluten Monarchie, den Gedanken, nur Gott Rechenschaft über Seine Handlungen schuldig zu sein, voll zu beseitigen und Sich statt dessen mit Preußen in herrlicher Entwicklung, aus freiem Willen an die Spitze Deutschlands zu stellen!“ Auch gegen Simon ließ Friedrich Wilhelm einen Prozeß wegen Majestätsbeleidigung einleiten, das in Leipzig gedruckte Buch verbieten. Und als am 11. April 1847 der neugeschaffene Landtag im Weißen Saal seines Königsschlosses in Berlin zusammentrat, da eröffnete er ihn inmitten des pomphaften Cermoniells, das der Prunkliebende dafür ersonnen, mit einem scharfen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0095.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2020)