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Blätter & Blüten


Heinrich Findelkind. Man ist leicht zu der Annahme geneigt, daß die „Humanität“ und der soziale Wohlthätigkeitssinn Errungenschaften der aufgeklärteren Neuzeit seien, und übersieht, welche umfänglichen Wohlfahrtseinrichtungen bereits das Mittelalter geschaffen hat, hauptsächlich durch die Thätigkeit einiger großer Ordensgesellschaften. Zu der Zeit, als die Kreuzes- und St. Valentinsbrüder und der Johanniter- und Deutschorden eine Reihe von Rettungs-, Kranken- und Pilgrimhäusern auf mehreren Alpenstraßen unterhielten, war die von solchen Anstalten entblößte Arlbergstraße fast verödet. Da sah einst ein junger Schweinehirt, ein Findling, als er seinem Brotherrn Jäcklein über Rhein das Schwert zur Kirche nachtrug, wie man eine Anzahl auf dem Arlberg im Schnee umgekommener Reisenden daherbrachte. Dieser jammervolle Anblick griff dem armen Heinrich Findelkind so ans Herz, daß er seinen ganzen Reichtum, in zehn Jahren mühselig ersparte fünfzehn Gulden, sogleich den Umstehenden anbot, damit jemand unter ihnen, wie er in seiner Lebensgeschichte erzählt, „einen Anfang wollt anheben auf den Arlperg, das die Leut also nicht verdürben“. Man mag über den anscheinend überspannten jungen Menschen wohl die Achseln gezuckt und gelächelt haben; er aber vertraute in seiner reinen, kindlichen Herzenseinfalt auf Gottes Hilfe, übernahm mutig die Rolle eines Schutzengels für die Alpenreisenden und rettete, seine fünfzehn Gulden freudig dabei opfernd, schon im ersten Winter sieben Menschen das Leben. Unterstützt von „Gott und ehrbare Leut“, setzte er sieben Jahre lang sein Werk christlicher Nächstenliebe fort und rettete weitere fünfzig Menschen vor dem Tode. Dann gedachte er auf dem Arlberg ein Hospiz zu bauen. Herzog Leopold von Oesterreich erteilte ihm 1386 einen Geleitsbrief, in welchem er den „arm Knecht Hainrich von Kempten“ nachdrücklich dem Schutz aller Beamten empfahl, denn er, der Herzog, habe Heinrichs guten Vorsatz erkannt und bedacht, daß viele guten Dinge von „ainfeltigen“ Leuten angefangen worden seien.

Nun zog Heinrich fast drei Jahrzehnte, von 1386 bis 1414, unter Entbehrungen und Gefahren seine frommen Beiträge sammelnd rastlos durch die deutschen Lande, durch Ungarn und Polen, Böhmen und die adriatischen Küstenländer, bis der Traum seiner Jugend, der Traum seines erbarmenden Herzens erfüllt wurde und er das rettende Hospiz auf dem Arlberg erbauen, die St. Christophsbruderschaft zur Pflege der Reisenden gründen und in das Haus einsetzen konnte. Noch sind das Bruderschaftsbuch und die Bruderschaftsordnung im Wiener Staatsarchiv aufbewahrt. Als erstes Mitglied steht im Buch Herzog Leopold (der Stolze) eigenhändig verzeichnet. – Reichen Segen hat das Werk des armen Schweinehirten gestiftet; unzählige Wanderer haben in dem Hospiz Erholung gefunden, zahlreiche Reisende sind vor dem sicheren Verderben in den Schrecknissen der wilden Alpenwelt gerettet worden. Später, in Zeiten der Unruhen und Kriege, zerfiel die ehrwürdige Rettungsbruderschaft, und selbst den rastlosen Bemühungen des Pfarrers Jakob Feuerstein zu Zambs gelang es in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts nur, eine kurze, neue Blüte hervorzurufen. Der Dreißigjährige Krieg hat sie bald wieder vernichtet. Bloß ein Kirchlein und Wirtshaus zu St. Christoph erinnert durch seinen Namen noch an die alte Stiftung. Aber auch der Name Heinrich Findelkind möge in unserer Zeit der „sozialen Wohlthätigkeit“ wieder einmal genannt werden. S.     


Eine Brandprobe mit feuerfestem Holze.
Nach einer photographischen Aufnahme.

Feuerfestes Holz. (Mit Abbildung.) Versuche, das zu Bauten verwendete Holz feuerfest zu machen, reichen in weite Ferne zurück. Schon die Völker des Altertums suchten ihre hölzernen Schlachttürme schwer entzündbar zu machen, indem sie dieselben mit Alaunlösung bestrichen. In der Neuzeit hat die Chemie den Menschen bessere Mittel gegeben und in den letzten Jahrzehnten wurde eine ganze Reihe von Verfahren erfunden, mittels welcher das Holz mehr oder weniger feuerfest gemacht werden kann. Die Theaterbrände wirkten in dieser Hinsicht besonders anspornend, und nach dem furchtbaren Brande des Ringtheaters in Wien wurde diese Frage überall lebhaft erörtert. Um jene Zeit trat auch der deutsche Techniker Conrad Gautsch mit einem Imprägnierungsverfahren hervor, das sich im Laufe der Zeit auch bewährt hat. Im vergangenen Jahre wurde die allgemeine Aufmerksamkeit von neuem auf diesen Gegenstand gelenkt. In New York hatte sich eine „Fire Proofing Company“ gebildet, die Bauhölzer aller Art nach einem besonderen Verfahren feuerfest macht und dieselben zum Bau von Wohnhäusern, Kriegs- und Handelsschiffen etc. empfiehlt. Der Herzog von Sachsen-Koburg-Gotha ließ im August vorigen Jahres eine Feuerprobe mit diesem Holze veranstalten. Es wurden zwei kleine Häuser errichtet, das eine aus gewöhnlichem, das andere aus feuersicherem Holze. Alsdann schichtete man um beide mit Petroleum getränktes Brennmaterial und steckte es in Brand. Das aus gewöhnlichem Holze gezimmerte Häuschen brannte rasch nieder, während das andere, wie unsere Abbildung zeigt, unversehrt blieb. Die Imprägnierung des Holzes geschieht auf die Art, daß zunächst aus demselben vermittelst Dampfs und Luftpumpen alle löslichen Stoffe, sowie die Luft, entfernt werden und das Holz darauf mit bestimmten Chemikalien versetzt wird. Es ist alsdann nicht nur feuer-, sondern auch wetterfest. – Es wäre zu wünschen, daß die Verwendung von derart nach einem der bewährten Systeme imprägnierten Holze zu Bauzwecken sich mehr und mehr einbürgern möchte. *      


Neckerei. (Zu dem Bilde S. 88 und 89.) „Furcht, Rauch und Liebe lassen sich nicht verhehlen“, sagt ein altes Sprichwort: also ist es wohl am besten, man probiert es gar nicht. Dies hat auch die hübsche Jansje auf unserm Bilde gedacht, und so ist ihre schon verheiratete Freundin Neeltje die Vertraute ihrer heimlichen Liebe geworden. Daß aber Neeltje ihrem Mann das Geheimnis verraten würde, hatte sie nicht vermutet. Verlegen und hilflos lehnt sie das Köpfchen auf die Schulter der Freundin, als er sie nun zu necken beginnt; doch Neeltje denkt nicht daran, ihm die losen Reden ernstlich zu wehren, und die arme Jansje merkt zum erstenmal, daß das Frauenhäubchen die Freundschaft verändert. Entweder muß sie jetzt mit ihrem Vertrauen sparsam werden, oder – das besagte Häubchen selbst aufsetzen, auf die Gefahr hin, damit eben das zu thun, was ihr dieser unausstehliche Klaas mit so viel Sicherheit fürs nächste Frühjahr prophezeit!


Butter im Handel. Der Versand von frischer Butter hat einen außerordentlichen Aufschwung genommen. England, ein Hauptabsatzgebiet in diesem Artikel, wird nicht nur von Deutschland, sondern auch von Dänemark und Frankreich regelmäßig versorgt. Dann ist Australien, namentlich die Kolonie Viktoria, in die Reihe der Lieferanten eingetreten. Auch Nordamerika sendet Butter nach England. Bei uns findet ein regelmäßiger größerer Butterversand statt von Ostfriesland, dem Großherzogtum Oldenburg und einem Teil von Westfalen nach dem Rhein und dem Ruhrkohlengebiet, ferner von Ost- und Westpreußen, Posen, Pommern nach Berlin, von Thüringen und dem Harz nach der Provinz und dem Königreich Sachsen und auch nach Berlin, endlich vom bayrischen Allgäu, dessen Hauptplatz Kempten ist, nach Nord- und Westdeutschland, namentlich nach den großen Industriecentren am Main und Rhein. Oldenburg allein versendet jährlich mindestens 1700 Tonnen der besten Butter. Im Sommer ist die Beförderung der Butter oft mit Schwierigkeiten verbunden. Auf der preußischen Ostbahn wurde der Versuch gemacht, die als Stückgut aufgegebene Butter in der heißen Jahreszeit durch Kühlung in Eis frisch zu erhalten. Man hat sechs zur Butterbeförderung eingerichtete Wagen an der Decke mit eisernen Behältern versehen, die etwa 700 kg Eis

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0098.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2024)