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oder wenn der letzte Kuß der Sonne die Feste berührt. Wie herrlich ist dieser Burgberg im jungen Buchengrün, zur Mittagsstunde, wenn ein Summen durch den Wald zieht und alte Märchen für Sonntagskinder wieder lebendig werden, oder im sanften Mondesglanze, wenn es müde von den Bäumen rieselt und der Wald wie blutüberströmt sich vor den Blicken weitet! Ihren höchsten Zauber aber entfaltet die Wartburg für den, dem es vergönnt war, droben als Gast des Burgherrn weilen zu dürfen. Aus der lichterübertupften Stadt Eisenach gellt es dann den Felspfad hinauf, hinein in den Wald. Sternenglanz über uns, während aus den Fenstern der Feste matter Lichtschein bricht. Und nun den steinigen Hohlweg empor; der Thorriegel fällt zurück, über den holprigen Burghof, an der Rüstkammer, dem Bergfried geht’s hin und dann hinab in das Erdgeschoß des Palas, wo die ältesten Räume der Burg liegen, in denen einstens schon die ersten thüringer Landgrafen ihre Gäste empfingen. In den Kaminen prasselt zuckendes Feuer, Lichter breiten magische Helle über uralt seltsames Gerät, Waffen, Lauten, Humpen und Jagdschmuck. Zottige Bärenfelle decken den Steinestrich – eine längst begrabene Welt umfängt uns noch einmal mit der ganzen poetischen Kraft und Weihe. Fern, fern dünkt uns, was da draußen gärt und jagt. –

Höher ist der Mond gestiegen. Er hüllt mit verwirrendem Lichte das schweigende Thal ein zu meinen Füßen, er funkelt fast gespenstisch in den Fensterreihen, um Zinnen und Altane der Burg. Wie ein schimmernder Demant gleißt das Kreuz des hohen Bergfried durch die herrliche Nacht. Horch! Klang da nicht Lautenspiel von droben herab?! Huschten nicht Gestalten schattenhaft an den Fenstern hin? Wolfram von Eschenbach meistert das Spiel; man lauscht, man klatscht Beifall. Becher klingen, zum Tanze ordnen sich die Paare, und auf dem Hofe drängt sich das Ingesinde neugierig heran. Der Landgraf von Thüringen hält wieder Hof! … Wartburgzauber! Wartburgpoesie!

A. Trinius.     

Pierrot als Troubadour. (Zu dem Bilde S. 69.) Ist es ein Künstlerfest, auf welchem der im Pierrotkostüm steckende lustige Maler sich zur Abwechslung als Musiker und Sänger produziert in einer Weise, die „Stein erweichen, Menschen rasend machen kann“? Die vorübergehende junge Dame hält sich wohl nicht umsonst beide Ohren zu; aber ernstlich böse kann man ja dem lustigen Gesellen trotzalledem nicht werden – ein freundlicher Blick und sie huscht vorüber dorthin, wo man ihren Ohren und vielleicht auch ihrem Herzen besser zu schmeicheln versteht.

Fastnachtszug der Schiffer in den Haveldörfern.
Nach einer Originalzeichnung von P. Colanus.

Fastnachtszug der Schiffer in den Haveldörfern. (Mit Abbildung.) Die alten Volksfeste sind aus dem öffentlichen Leben Berlins völlig verschwunden; die aus allen Provinzen und Ländern zusammengewürfelte Bevölkerung der jungen Weltstadt hatte kein Verständnis für die festlichen Ueberlieferungen der ehr- und betriebsamen Bürger der guten und getreuen Stadt Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms III. und so vergaß man ein Fest nach dem andern, das früher die gesamte Einwohnerschaft tage- und wochenlang vorher beschäftigt hatte: das Schützenfest, die Motten- und Fliegenfeste der Innungen, die Feier der Völkerschlacht bei Leipzig, das Fest der Schlacht bei Großbeeren, das aus Freude über die einstige Rettung Berlins vor den Franzosen begangen wurde. Am längsten hielt sich noch der Stralauer Fischzug, dessen Ursprung man aus wendischen Zeiten herleitet; aber trotz seiner immer wieder versuchten künstlichen Belebung hat er seine ehemalige Bedeutung völlig verloren und findet kaum noch Beachtung. Man muß schon weiter in die Mark Brandenburg hineinstreifen, um noch auf echte und rechte Volksfeste, wie sie sich seit Jahrhunderten erhalten haben, zu treffen, so auf den Fastnachtsumzug der Schiffer und Fischer in den Haveldörfern, der als ein Rest der früheren öffentlichen Fastnachtsspiele angesehen werden kann. An diesem Tage herrscht ein erregtes Leben in den sonst zur Winterszeit so ruhigen Dörfern und Dörfchen an der Oberhavel bei Zehdenick, Liebenwalde, Oranienburg etc.; in den Häusern duftet es nach frischgebackenem Kuchen, weißer Sand ist auf die Dielen gestreut, und oft genug öffnen sich die Fenster und es wird Ausschau gehalten die Dorfstraße hinunter. Nun dringt von fernher fröhliches Gejubel heran, von schallender Musik begleitet, und es naht der von der gesamten Dorfjugend umschwärmte Zug der Schifferknechte, wetterfester, stämmiger Gestalten, von denen zwei an einer langen Stange ein vollgetakeltes Schiff tragen, während der „Sprecher“ voranschreitet. Vor verschiedenen der Häuser, die von den Schiffermeistern bewohnt werden, hält der Zug. Die Musik schweigt, der Sprecher richtet seine Ansprache, in der es an mancherlei humoristischen Anzüglichkeiten, an zeitgemäßen Wünschen und Beschwerden nicht fehlt, an den herausgetretenen Meister, und dieser wirft nach dem Hoch auf ihn und nach dem Tusch der Musik ein Geldgeschenk in das Schiff. Ist der Umzug beendigt, so geht’s mit lustigem Gesang nach dem Wirtshause, vor welchem bekränzte und buntbewimpelte Mastbäume errichtet sind. Hier findet ein gemeinsames Schifferessen statt, worauf sich jung und alt zu frohem Tanz vereint. P. L.     

Auf der Redoute. (Zu unserer Kunstbeilage.) „Rate, wer ist’s?“ raunt es mit verstellter Stimme hinter dem herabgelassenen Helmvisier hervor, und die junge schöne Frau in dem prächtigen altdeutschen Patrizierinnenkostüm lächelt verlegen und sucht mit der Hand das Visier hinaufzuschieben, das aber nicht nachgiebt. Noch immer ist sie im Ungewissen, ob dahinter wirklich die treuen Augen ihres Mannes blitzen. Längst haben die anderen Festteilnehmer alle die Maske abgenommen, wie es die Sitte erheischt; aber vergeblich hat sie bisher im Geleite der sie neckenden Freunde ihres Gatten nach diesem Umschau gehalten. Sollte er sich wirklich in die schwere Ritterrüstung gesteckt haben, die ihn mit ihren ungefügen Formen so ganz und gar unkenntlich macht? Wahrscheinlich ist’s schon, denn von all den Teilnehmern der Redoute hat er sie am meisten gehänselt und durch genaue Kenntnis ihres Wesens verblüfft. Und gerade dieser Rittersmann hat in seinem Visier eine Maske, die sich nicht abnehmen läßt! Nun, bald wird sie herzhafter zufassen, um das trennende Eisengitter hinaufzuschieben, und dann auf einmal werden die geliebten Züge ihres Mannes ihr entgegenlachen und unter dem offenen Visier werden die Worte triumphierend hervorklingen: „Was, du erkennst deinen Mann nicht, wo er groß und breit vor dir steht!“

Das Kunstblatt, welches den heiteren Vorgang mit so liebenswürdigem Humor und so feiner Wiedergabe der prächtigen Kostüme darstellt, ist ein Werk unsres Altmeisters Adolph Menzel. Es entstammt den sechziger Jahren, einer Zeit, in welcher durch das Vorbild der deutschen Künstlervereine in weiteren Kreisen der Sinn für echte Trachten und malerische Prachtentfaltung geweckt ward, der nun begann, auch das Maskentreiben zur Karnevalszeit künstlerisch zu veredeln.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0100.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2023)