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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

um die pochenden Schläfen. Dann besinnt sie sich, daß sie wohl die edleren Sorten Wein wieder verschließen müsse, die Reste den Dienern geben, aber die sonst so sparsame Hausfrau rührt sich nicht. Ach, was bedeutet denn das alles gegen das Aufgeben ihres Herzenswunsches! In dumpfer Betäubung legt sie den Kopf an die lederbezogenen Kissen des Lehnstuhls.

Wie lange sie so zubringt, weiß sie nicht – Anton steht plötzlich vor ihr.

„Aber, Christel,“ sagt er vorwurfsvoll, „es ist drei Uhr morgens, und du noch hier?“

Sie fährt empor und starrt ihn an aus dick verweinten Augen.

„Ich bitte dich, Kind, was ist denn geschehen?“ fragt er, und ein bißchen heimliche Ungeduld klingt aus seiner Stimme. „Du hast ja geweint? Warum denn? Es war ja alles so gut und nett, du mußt doch selbst bemerkt haben, wie es ihnen schmeckte!“

Sie hat sich vorgebeugt und liest ihm jedes Wort von den Lippen. Plötzlich lacht sie laut auf. Sie weiß es ja lange – nach seiner Idee kann es nichts weiter geben, das sie weinen macht, als eine Wirtschaftsfrage. „Wirklich?“ sagt sie, sich erhebend, „es hat euch geschmeckt? Das freut mich ja sehr, dann ist ja alles gut! Warum weine ich denn da noch?“ Und sie geht an ihm vorüber in die Schlafstube, den Kopf starr in den Nacken gebogen, und die schwarze Seidenschleppe rauscht hinter ihr her.

Er blickt ihr erstaunt nach, aber er hat den Kopf so voll und er ist müde, es wurde auch stark getrunken. Und er fühlt keinerlei Lust, sie heute abend noch um die Gründe dieses stolzen Abganges zu fragen. Ach, es ist ja auch alles so gleichgültig! Wenn es weiter nichts wäre – morgen ist sie ja wieder die rührige vernünftige Christel – wenn er alles so genau wüßte wie das!

„Gute Nacht, Christel,“ sagt er wenige Minuten später und wirft einen mitleidigen Blick auf ihr gerötetes Gesicht und die Kompressen, die ihre Stirn verhüllen.

Aber sie antwortet nicht.




Droben in ihrer Mädchenstube, die mit allerhand mehr oder minder wertvollem Tand phantastisch aufgeputzt ist, sitzt Edith von Ebradt an einem zierlichen Rokokoschreibtisch und beantwortet einen Brief ihrer Freundin Emma von Zobel. Die sehr einfache Petroleumlampe, die wunderlich absticht gegen all die netten Nippes, welche sich das schöne Mädchen zusammengetragen, brennt trübe, und die Ecken und Winkel des großen Zimmers sind voller Schatten. Das große Himmelbett, dessen verblichene Seidengardinen von einer vergoldeten Putte gehalten werden, sieht beinahe aus wie ein Katafalk, so schwarz erscheint die tiefrote Seide in dieser mangelhaften Beleuchtung, und die Goldlitzen sind im Laufe der Jahre thatsächlich schwarz geworden. Ein Kleiderschrank mit eingelegten Wappen, eine bauchig geschweifte Rokokokommode. Bilder und Spiegel – alles an eine längst versunkene Welt erinnernd. Im Kamin glimmt ein Kloben Holz – das Zimmer besitzt noch keinen Ofen – zum Schlafen mochte es ja warm genug sein.

Edith hat sich ein Hauskleid übergeworfen, das sie selbst aus einem alten Brokatstoff zurechtbastelte, blaßblau mit eingewebten großen Rosenbouquets; irgend eine Urgroßmutter mag darin bei Hofe geglänzt haben. Sie sieht noch reizender aus als vorhin im weißen Wollenkleid, älter, reifer, wie eine kokette junge Frau.

Nun setzt sie noch unter den letzten Bogen ihren Namenszug mit einem Schnörkel und nimmt den ersten Bogen des viele Seiten langen Briefes, um ihn nochmals durchzulesen:

 „Liebe süße Ma!
Sechs Wochen lang habe ich Dein Schreiben unbeantwortet gelassen, aber Du darfst nicht böse sein, Maus. Zunächst war ich neidisch, weil Du mir so viel erzähltest von Deinem amüsanten Leben daheim, während ich hier wie in einem Kloster sitze. Du weißt ja, wie wir uns beide freuten, etwas zu erleben, wie entzückend wir uns unser gemeinsames Auftreten in der Welt ausmalten!

Da muß Großvater sterben und muß Wartau verkauft werden! Wenn ich Dir nur beschreiben könnte, wie furchtbar wütend ich auf das Schicksal bin und auf alle die Menschen, die den Zusammenbruch unseres Vermögens verschuldet haben! Sie sind alle tot, aber ich zürne ihnen noch im Grabe.

Tante Tonette ist schrecklich altjüngferlich, schrecklich vornehm und – edel. Wenn ich mal einen dummen Witz mache, rümpft sie die Nase. Neulich sagte sie: ‚So benimmt sich allenfalls eine Soubrette, aber keine Baronesse Wartau!‘ – Was wohl die Wartaus noch bedeuten in der Welt! Ich tausche gleich mit einer gefeierten Soubrette! – Der Frau Christel habe ich auch einen gräßlichen Schrecken eingejagt, als ich ihr erzählte, ich hätte zwar eine Liebe, wolle aber doch sehen, eine reiche Partie zu machen. Ja so – jetzt kommt, was ich Dir anvertrauen will, aber schwöre, daß Du diesen Brief gleich verbrennst! In der Pension sagten wir bei solchen Gelegenheiten dreimal ‚Wahrhaftig!‘ – ich nehme also an, Du hast es gethan!

Ich schrieb Dir ja damals, daß ein Herr Mohrmann das Gut gekauft hat, und daß ich ihn zum erstenmal bei Großvaters Leichenfeier sah. Ich dachte, als er in den Saal trat, es wäre einer der jungen Grafen Altwitz, oder ein Buhnau oder dergleichen. Wie ich hörte, es sei Mohrmann, hatte ich augenblicklich weiter kein Interesse für ihn. Weißt Du noch, Ma, wie wir uns stritten? Ich behauptete, es könne gar kein Spaß dabei sein, sich von einem verheirateten Manne den Hof machen zu lassen. Du schwärmtest damals für Bulß, und der ist ja doch auch Ehemann, und sagtest, es sei gerade sehr romantisch, daß er verheiratet ist. Alle unsere mühsam und heimlich beschafften neuesten Romane behandeln ja dieses Kapitel, die alten übrigens auch schon. Ich habe ein paar gefunden, in verblichener rosa Seide gebunden mit dem Wartauschen Wappen in Golddruck darauf, französische natürlich – ich sage Dir, Ma, dagegen ist Paul Heyse und Spielhagen gar nichts!

Und nun denke – aber ich kann wirklich nicht dafür und weiter nichts ist schuld als die tödlichste Langeweile in diesem alten Spuknest, meine Sehnsucht nach Unterhaltung und meine Lust, etwas zu erleben – ich – nein, so nicht, ich will ehrlich sein – –. Es kam mir auf einmal so in den Sinn, mit Herrn Mohrmann zu kokettieren. Was willst Du denn, Emma? Er ist der einzige Mann, mit dem ich zusammentreffe, ausgenommen heute abend; aber davon später.

Weißt Du, er hat mich vom ersten Augenblick an, wo er mich erblickte, mit Augen angesehen – ach, davon hast Du gar keinen Begriff! Dann bemerkte ich, wie er ohne jede einigermaßen verbindliche Art bestrebt war, mir Aufmerksamkeiten zu erzeigen. Er kaufte, als ich ein paar Thränen vergoß, weil die Ahnenbilder und alte wertvolle Familienstücke verauktioniert werden sollten, den ganzen Schwindel von Tante Tonette mit dem ausdrücklichen Versprechen, daß die Sachen stets in Wartau bleiben würden. Ach, und dergleichen mehr, und dies alles in einer solch stummen, ernsthaften Art, so respektvoll – weißt Du, wie wenn ich eine Königin wäre. Tante Tonette aber ist ganz entzückt von ihm. Er ist aber auch reizend, eine Lohengrinerscheinung, groß, blond, stattlich. Edi Waldenberg würde neben ihm recht abfallen. Uebrigens gebe ich Edi nicht etwa auf, Ma, ich hoffe vielmehr, er soll im nächsten Jahr auf den Bällen in Eurem Hause – Du hast mich eingeladen, Du weißt es doch noch? – mein eifrigster Ritter sein; heiraten kann ich ihn ja nicht, den herzigen Jungen, wegen des dummen Geldes. Bitte, grüße ihn von mir und erzähle ihm um Gottes willen nichts von Mohrmann!

Doch nun weiter. Stelle Dir vor, daß ich manchmal Angst habe, es könnte eine Strafe kommen für meinen Leichtsinn: ich empfinde so etwas wie Gewissensbisse, und zwar immer, wenn ich mit Frau Christel zusammen bin. Aber, gerad’ Frau Christel brauche ich so nötig als Folie für meinen Eroberungszug. Sie ist groß, voll, ein bißchen zu gesund und derb, und zieht sich unglaublich simpel an. Natürlich ließ sie bis jetzt Kleider und Stiefel im Dorfe arbeiten, aber auch heute in einem Damenschneiderkleide war sie merkwürdig robust – so – so – ich weiß nicht wie. Und wenn ich dann so neben ihr stehe, da müßte er ja gar kein Mann sein, wenn er nicht herausfände, daß – – na, wir haben uns ja gegenseitig schon gestanden, Emma, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0103.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2019)