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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Römer unbekümmert schmausen und des Herodes zitternder Hand der Becher entfällt, mit dem er zum Hohn dem neuen König der Juden zutrinken will, hält unten der König der weltüberwindenden Liebe seinen Einzug – ein Schlußbild von reinster Erhabenheit, Weihe und Kraft, in denen das gewaltige Drama ausklingt.

Sudermanns „Johannes“ ist also kein Theaterstück im gewöhnlichen Sinn des Wortes. Es ist ein Dichterwerk, das weit über den Spannkreis unseres alltäglichen Empfindens hinaus das umfaßt, was ewig in der Menschheit ist. An Werke von solchen Dimensionen gewöhnt man sich nicht auf den ersten Blick. Ihr volles Verständnis will errungen sein und lohnt dem Unbefangenen und Einsichtigen reichlich alle Mühen. Denn was in dieser Dichtung dem „Johannes“ in der Seele ringt, das bewegt noch heute die Herzen überall, wo Menschen ringen und streben und nach einem neuen Heile fiebernd spähen. Und welche Zeit wäre wohl reicher an solchem Dürsten und Sehnen als unsere Gegenwart? Wo ließe sich ein sittlich reinerer und erhabenerer Vorwurf finden als diese Tragödie des Einsamen, der nach Erlösung bangt und zu spät erkennt, daß die Erlösung längst in der Welt ist, daß sie Menschenliebe heißt und daß er blind und fühllos durch diese Welt voll Liebe gegangen?

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Josef Kainz als Johannes.

Die reine Wirkung der ersten Aufführung des Werks in Berlin wurde zweifellos durch den Umstand beeinträchtigt, daß der Behörde, die sich Berliner Theatercensur nennt, diese Quintessenz christlicher Weltauffassung irreligiös und unmoralisch schien, so daß sie den „Johannes“ verbot. So geschehen im August des Jahres des Heils 1897 in der Reichshauptstadt Berlin, in der – nebenbei bemerkt – die anrüchigsten Pariser Schwänke allabendlich an zwei, drei Bühnen unbeanstandet gespielt werden. Anderswo aber dachte man zum Glück anders und höher. Der Intendant Baron Putlitz nahm das Stück für das Stuttgarter Hoftheater an, sein Amtsgenosse Graf Seebach in Dresden folgte alsbald seinem dankenswerten Beispiel – und wir hätten beinahe das seltsame, aber für die gegenwärtigen Verhältnisse kennzeichnende Schauspiel erleben können, daß ein Werk auf zwei unserer größten Hoftheater im Reiche gespielt, von einer Privatbühne in der Reichshauptstadt aber ferngehalten wurde! Doch ehe es dazu kam, gab der preußische Minister des Innern den „Johannes“ unter einigen ganz unwesentlichen Kürzungen frei, und nun fand am 15. Januar im „Deutschen Theater“ die Erstaufführung mit einem Erfolge statt, der bei den Wiederholungen sich noch steigerte und gewiß ebenso auf jeder anderen Bühne und bei jedem anderen für ernsten Kunstgenuß empfänglichen Publikum sich einstellen wird. Es war ein Ehrenabend für das „Deutsche Theater“, nicht nur, was das Werk, sondern auch was die Darstellung betrifft. Die ersten Künstler, wie Agnes Sorma (Salome), Josef Kainz (Johannes), Luise Dumont (Herodias), Emanuel Reicher (Herodes), Hermann Müller (Pharisäer), Hermann Nissen, Hermann Leffler u. a. schienen, getragen von der Kraft ihrer Rollen, ihr eigenes Können überbieten zu wollen, und die ganze große Schar der Mitwirkenden eiferte ihnen getreulich nach.


Sein Brautstand.

Novelle von A. Lichtenstern.
1.

Paul Weilheim, müde und abgehetzt von den Strapazen des Winters, von der Jagd um seine Person und sein Vermögen – einer Jagd, der er schon so viele Jahre zum Ziel diente – Paul Weilheim hatte seine sechswöchigen Sommerferien angetreten. In seinem Drang, nur Ruhe, nichts anderes als Ruhe zu finden, war er in einen kleinen, unweit von Wien gelegenen Ort geraten – „Mariaschutz“ im Semmeringgebiete –, das dem Weitgereisten, Verwöhnten eigentlich gar nichts bieten konnte. Und doch war ihm wohl. Wer einen offenen Sinn für das Schöne hat, der genießt es auch dann, wenn er das Schönere und Schönste kennt. Und schön war’s in Mariaschutz, und lieblich und traulich – und still! Der einzige Gasthof des Oertchens freilich, obgleich nicht sehr stark besetzt und nur von einem ruhigen, soliden, gut bürgerlichen Publikum, war ihm immer noch zu laut. Früh morgens wanderte er vom Hause, seinen Photographenapparat auf dem Rücken, ein interessantes Buch in der Tasche, so weit in das schöne grüne Land hinaus, als ihn seine gesunden, weitausschreitenden, dreiunddreißigjährigen Beine nur tragen wollten. Fand sich irgendwo ein Mittagsmahl – gut, wo nicht, so war der junge Chef der alten Großhandlung, der über Millionen verfügte, auch mit einem Glas Milch und einer größeren Anzahl von Butterbroten zufrieden. Abends zurück in seinen Gasthof, auf der schon menschenleeren Terrasse ein kräftiges Abendbrot, sein Bier, seine zwei Cigarren, den Sternenhimmel über sich, das lichtumflossene Thal zu seinen Füßen, und Frieden, Ruhe und kräftigstes Behagen in jeder Faser seines Wesens. Darauf ein ganz unbezahlbar köstlicher Schlaf bis zum nächsten Morgen – und dann wieder mit Grazie so fort. Er war’s zufrieden und wünschte sich nichts Besseres – volle vierzehn Tage lang. Aber wenn man dreiunddreißig Jahre alt und überdies ein Stück Humorist und Menschenbeobachter ist, nimmt der Genuß der Einsamkeit bald ein Ende und man wendet sich wieder seinen geehrten Mitgeschöpfen zu. Von dem freilich, was seine Welt ausmachte –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0117.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2024)