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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

solche. Am meisten haben aber für den chinesischen Mädchenunterricht die zahlreichen christlichen Missionäre beigetragen; mit einer großen Zahl von Missionen in den Hafenstädten wie auch im Inlande sind welche Mädchenschulen verbunden, und verständige Eltern senden ihre kleinen Töchter sehr gern in diese Christenschulen, wo sie an Stelle des Konfucius die Elemente unseres modernen Wissens kennenlernen.

Unser Bild zeigt eine solche Schule. Freilich sind die putzigen kleinen Mädchen noch ganz chinesisch gekleidet, aber an den Wänden hängen Landkarten mit den einzelnen Staaten, den Meeren, Gebirgen und Flüssen der Erde, von denen selbst erwachsene Chinesen in hohen Staatsstellungen häufig gar keinen Begriff haben. Die Schülerinnen lernen neben ihrer Sprache auch die englische lesen und schreiben, dazu Geschichte, Rechnen, allerhand Handarbeiten, und was das Wichtigste ist, sie lernen die Lehren unserer christlichen Religion, und wenn sie erwachsen sind, verbreiten sie diese in ihrem Familienkreise und wirken so selbst als Missionäre, nicht nur als Missionäre des christlichen Glaubens, sondern auch des allgemeinen Wissens und der europäischen Kultur. Während ihnen als kleinen Mädchen die Füßchen durch Einschnüren der Zehen so verkrüppelt werden, daß sie gar nicht gehen können und von Sklavinnen nach und aus der Schule getragen werden müssen, erfahren sie von ihren christlichen Lehrern, wie unsinnig und zwecklos diese Fußverkrüppelung ist; sie lernen körperlich auf eigenen Füßen stehen, durch den Unterricht, den sie genießen, auch geistig, und werden so zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft herangezogen. Freilich giebt es in dem großen Reiche fünfzig bis sechzig Millionen kleiner Mädchen, und vielleicht nur hundert Schulen; aber in ihnen wird der Same gesät, der mit der Zeit doch köstliche Früchte tragen und die chinesische Frauenwelt aus ihrer unwürdigen Stellung befreien wird.

Hoffen wir, daß in dem unserm deutschen Einfluß nunmehr eröffneten Gebiete deutsche Schulen erstehen und in altbewährter Weise für Bildung und Aufklärung wirken werden. Ernst v. Hesse-Wartegg.     


Rettung Schiffbrüchiger.
Nach dem Gemälde von F. Tattegrain.

Rettung von Schiffbrüchigen. (Zu dem obenstehenden Bilde.) Die graugelben Wogen jagen gegen den Strand und der wilde Nordwest fegt die Gischtspritzer über die Thäler. – Es war schon lange unsichtige Luft; der Vormann der Rettungsstation hat bereits stundenlang nach der nur schwach erkennbaren Yawl (Kutter) ausgesehen, die draußen an den Riffen entlang segelt. Entweder haben die Leute lange keine Sonne gehabt, um ihre Position ausmachen zu können, oder der Schiffer hat den um diese Jahreszeit hier längs der Küste laufenden Strom nicht gekannt, sonst wären sie unmöglich so nahe an die Riffe herangekommen. – Gespannt verfolgt der Vormann, häufig den grauen Kopf schüttelnd, die gewaltigen Anstrengungen des Fahrzeugs, das sich durch Segelpressung von der gefährlichen Küste freiarbeiten will. Ob es ihnen gelingen wird? Er bezweifelt es, und das Rettungsboot liegt klar zum Ablauf in die Brandung. Und früher, als er es noch gedacht hat, sieht er, wie das kämpfende Fahrzeug sich hebt und dann, sich umlegend, hinter den hohen Wellenkämmen verschwindet. Zweifellos hat eine Grundsee es gepackt und aufs Riff geschmettert. Man bildet sich ordentlich ein, den Krach zu hören, obwohl dies bei dem Heulen und Brausen von Wind und See und bei der großen Entfernung ganz ausgeschlossen ist.

Ja, jetzt ist es mit dem Warten vorbei! Das Leben aller der braven Männer, die, mit den Korkgürteln um den Leib, ernsthaften, stillen Angesichts, neben dem abzulassenden Boote stehen, muß an den Versuch zur Rettung der unbekannten Brüder da draußen gewagt werden. Das ist ihr Beruf, ihre Pflicht und ihr Wille.

Und nun geht’s unter dem stummen, angstvollen Zuschauen der herbeigeeilten Angehörigen in die tobende Brandung hinein. Gott sei Dank, die Abfahrt gelingt glatt! Die dicht gerefften Segel sind vorgeholt; und von der alten, aber noch krisenfesten Hand des Vormannes gesteuert, kreuzt das Rettungsboot, von den Seen überspült, gegen den Nordweststurm, in die Richtung der Riffe hinaus. Immerhin steht zwischen Land und Riff nicht so schlimme See als draußen, und so kommt man vorwärts, wenn es auch Stunden dauert. Endlich wird die Stelle erreicht, wo die Katastrophe beobachtet wurde. Wahre Berge von Schaum donnern über diese Stelle, und dann und wann sieht man aus dem wegsinkenden Weiß etwas Dunkles vortauchen: den Rumpf und die Masten der umgeworfenen Yawl! Nun erkennt man auch einzelne Menschen; aber ihr Schreien bleibt unvernehmbar. So dicht, als es ohne die Gewißheit, von der wegrollenden Brandung erfaßt zu werden, irgend geschehen kann, läßt der Vormann das Boot zu Lee an das Riff scheeren; dann werden die Segel niedergeworfen, der Anker fällt. Jetzt liegt es, mit dem Bug gut auf den Seen reitend, leidlich sicher und nahe genug, damit man den bereits klammen Händen der Schiffbrüchigen „Enden“ (Rettungsleinen) gegen den Wind zuwerfen kann. So gelingt es, die armen Leute nach und nach in Sicherheit zu bringen, auch einige, die bereits vorher auf einem Reserveholz abgetrieben waren, und einen, der sein „Ende“ vorzeitig losgelassen hatte und an einer Spier (Stange) eingeholt wurde. Die Yawl ist mit voller Ladung verloren; doch wenigstens ging so keins der jungen Menschenleben zu Grunde.

Viel Geschrei machen die Angehörigen der Rettungsbootsmannschaften nicht, als letztere, kaum minder erstarrt und abgearbeitet als die geretteten Seeleute, glücklich wieder auf den Strand gelaufen sind; sie bemühen sich, ohne auf eine Entschädigung dafür zu rechnen, vor allem die Schiffbrüchigen ins Warme und Trockene zu schaffen.

Der alte Vormann aber denkt: „Ja, die da im Binnenland, von denen man nur ein paar Groschen statt ihr Leben verlangt, sollten einmal leibhaftig so etwas mit angesehen haben, da würde kein einziger sich innerlich beruhigen und meinen: was geht’s dich an? Jeder deutsche Mann, der es bisher noch nicht gethan, würde dann vielmehr sein Scherflein freudig an die ‚Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger‘ beisteuern!“ J. W.     


Deutschlands merkwürdige Bäume: die Linde von Eckertsdorf. (Zu dem Bilde S. 101.) Acht Kilometer von der Bahnstation Rudczany in Ostpreußen steht in der Oberförsterei Gudczanka unweit des Dorfes Eckertsdorf auf einem kleinen Hügel die merkwürdige Linde, die wir unsern Lesern im Bilde vorführen. Sie ist durch einen mächtigen, etwa 1,10 m über die Erde hervorragenden, in der Mitte gespaltenen Steinblock gewachsen. Ihre Höhe beträgt etwa 15 m und ihre Krone ist frisch und gesund, während die unteren Aeste bis 3½ m Höhe über dem Boden abgestorben sind. Soweit der Stamm durch den Steinspalt geht,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0130.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)