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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Ihr werdet euch nicht trennen,“ sagt er laut, „ihr werdet thun nach Gottes Willen und gemeinsam eure Wege weiter wandern, wie ihr gelobt habt vor seinem heiligen Altar, denn was er zusammengefügt, das sollen wir in unserem sündigen, schwachen Meinen nicht zerreißen.“

Christel sieht ihn groß an. „Es muß sein!“ sagt sie kurz.

„Habt ihr euch denn gezankt?“ fragt die Pastorin außer sich. „Ich und wir alle haben gemeint, ihr lebt so glücklich miteinander – ach Gott, wenn Mutter das hätte erleben müssen!“

„Wir haben uns nie gezankt,“ erklärt Christel empört, und als fühle sie, daß sie eine Aufklärung geben müsse, fügt sie hinzu: „aber Anto ist sehr unglücklich, weil wir kinderlos sind, und ich kann nicht sehen, daß er sich weiter so grämt, und deshalb trenne ich mich von ihm.“

Sie steht auf und rafft ihr Tuch empor. „Bitte, sag’ nichts mehr, sag’ nichts mehr!“ fleht sie den Pastor an, der abermals zum Reden ansetzt. „Sieh, es kann doch nichts an meinem Entschluß ändern! Der liebe Gott weiß, daß er aus keinem böswilligen Herzen kommt. – Und sprecht auch nicht darüber, ich habe es euch ja nur anvertraut, weil ich keinen anderen Ort weiß auf der ganzen weiten Welt, zu dem ich fliehen kann, wenn ich Anto verlasse, als euer Haus. Gar nicht lange will ich euch zur Last sein, nur ein paar Tage, nur mit einem Male nicht gleich so meilenfern weg! Vielleicht ist’s gar nicht das Rechte, daß ich euch dies alles erzähle, aber wo soll ich mich denn ausweinen, wenn nicht bei meinen Schwestern? Wann ich komme, weiß ich noch nicht; Anto ist krank, ist verunglückt heute, ihr wißt es ja; an dem Tage aber, wo er meiner Pflege nicht mehr bedarf, da komme ich – nicht wahr, Robert, du jagst mich nicht fort – lieber Robert?“

Es liegt ein solcher Jammer in ihren Worten, in ihrer ganzen Haltung, daß der Mann stumm bleibt; er denkt auch wohl, daß der jetzige Augenblick nicht geeignet sei, um das verirrte Schaf auf den Pfad der Pflicht zurückzuführen. „Ich will dich heimbringen,“ spricht er unsicher.

„Das laß mich besorgen,“ sagt da plötzlich Louischen, „ich fürchte mich nicht, und abkommen kann ich ja jetzt auch, es ruft niemand mehr nach mir hier oben. – Komm’, Christel, wir wollen gehen!“

Und Christel läßt es ruhig geschehen, daß die Schwester ihren Arm in den ihrigen zieht und sie hinausführt auf die Dorfstraße, in die Nacht, wo der Februarwind sie anfällt mit eisigem Atem und ihnen die verweinten Augen kühlt. Anfangs gehen sie stumm nebeneinander, erst als sie in die Allee einbiegen, die zum Gutshofe führt – sie sind hier geschützt vor dem Winde durch die Scheunen, die sich rechts von ihnen hinziehen – sagt Louischen: „Du wirst nicht so dumm sein, Christel, und Ernst machen aus der Komödie!“

„Ich habe euch gesagt, was geschehen wird, Louischen; laß uns nicht mehr davon sprechen, heute, am Todestage der Mutter.“

„Wenn unser Haus heute brennt, würden wir auch löschen,“ ist die Antwort, „und dies ist schlimmer als Brand! Ich will dir etwas sagen, Christel, du gehst nicht von ihm, weil ihr keine Kinder habt, denn das wäre Unsinn; warum du aber gehst, weiß ich – du gehst, weil dein tugendhafter Herr Gemahl –“

„Anto hat sich nichts zu schulden kommen lassen,“ unterbricht Christel sie kurz.

„Weil Anto bis über die Ohren in die Baronesse verliebt ist – aus Eifersucht willst du gehen!“ vollendet Louischen bestimmt.

Christel zieht hastig ihren Arm aus dem der Schwester. „Du mischst dich in Sachen, die dich nichts angehen,“ sagt sie eisig, aber das Herz zittert ihr. Also andere wissen es schon, und nur sie, sie glaubte noch immer!

„So? Meinetwegen! Ich kann dir doch wenigstens vorstellen, welch eine grenzenlose Thorheit du begehen willst, indem du so bereitwillig Platz machst. Glaube nur nicht, daß du ihn durch Edelmut an dich fesselst, mein Kind,“ fährt sie fort, „er läßt dich ziehen und taumelt in die neue Ehe wie die Motte ins Licht, und du – grämst dich zu Schanden irgendwo in der Welt. Ich – wenn ich’s wäre, o ja, ich ginge auch meiner Wege, gewiß ginge ich, aber scheiden lassen würde ich mich nicht! So wie ich mich quälen müßte in Sehnsucht und Leid, so sollte er sich quälen um die, die er liebt und doch nicht zu seinem Weibe machen kann. – Er hat’s verdient um dich, der Schuft, und Schufte sind sie alle, alle, einer wie der andere!“

Christel ist stehen geblieben und betrachtet ihre Schwester mit ganz entsetzten Augen. Das Tuch ist dem alternden Mädchen vom Kopfe geglitten, ihre Augen glühen und ihre Hände haben sich geballt. „Nicht scheiden!“ wiederholt sie, „weggehenweggehen – ihn allein lassen mit seinem Verlangen nach der andern! Wir können ja zusammenziehen, Christel, nach Leipzig oder Dresden – ich will dich bedienen, will dir helfen; aber laß dich nicht scheiden, ich bitte dich so sehr ich kann – er will ja nichts weiter, der – der – – “

Jetzt packt Christel die Aufgeregte an der Schulter und schüttelt sie wie einen jungen Baum. „Geh heim, du,“ sagt sie fast schreiend, „ich will nichts hören. Ich liebe meinen Mann – verstehst du? Ich liebe ihn, und was man liebt, kann man nicht leiden sehen! Du, du, wie muß es aussehen in deiner Seele!“ Und sie läßt so plötzlich die Schwester los, daß diese wankt, und dann läuft sie in das offenstehende Thor und über den Oekonomie- und Schloßhof und bleibt erst stehen an der Freitreppe, mit zitternden Gliedern, atemlos. Sie vermag kaum das Portal zu öffnen, es schwindelt ihr, und an Antons Bett sinkt sie halb besinnungslos in den Sessel, von dem der verschlafene Diener aufgesprungen ist.

„Christel,“ ruft Anton, der erwacht ist, „um Gotteswillen, Christel, was ist dir?“

Sie fährt empor und zerrt das Tuch von Schultern und Kopf, erhebt sich und bricht dann an seinem Lager zusammen; ihr Kopf liegt neben dem verwundeten Arm. „Verzeih nur,“ murmelt sie, „ich komme vom Sterbebett meiner Mutter!“

Die furchtbaren Aufregungen des heutigen Tages haben sie halb besinnungslos gemacht, aber sie fühlt doch, wie seine gesunde Hand auf ihrem Kopfe ruht, und sie hört, wie er sagt:

„Armes Weib! Gute alte Christel!“

„Ich habe dich lieb,“ flüstert sie, „und was man liebt, das – – “

Und dann ist die starke, unverzagte Christel mit den hellen klaren Augen ohnmächtig geworden.




Am folgenden Tage steht sie wieder fest auf ihren Füßen, sie hat’s auch nötiger als je, aufrecht zu bleiben. Antons Pflege, das Begräbnis der Mutter, und dann die Wirtschaft, sie will doch alles so tadellos als möglich hinterlassen.

Hätte sie nur nichts gesagt zu Schwager und Schwestern, aber ein gesprochenes Wort ist nicht zurückzunehmen, leider! Als gegen Mittag der Pastor kommt unter dem Vorwand, nach dem Befinden Antons zu fragen, und mit ihr sprechen will, sagt sie nur: „Rede mit Anto kein Wort über die Angelegenheit, ich weiß selbst noch nicht, was ich thue; seiner Zeit laß ich dich’s wissen, Robert.“

Der besorgte Mann gelobt Stillschweigen und setzt sich mit einem Seufzer der Erleichterung an Antons Bett nieder. Zeit gewonnen – alles gewonnen, sagt er sich und entfaltet einen Zettel, auf dem er die Todesanzeige der alten Frau niedergeschrieben hat. „Ist’s euch so recht?“ fragt er.

Es ist ihnen recht, denn es ist schlicht und einfach abgefaßt.

„Und wegen der Kosten, Schwager,“ sagt Anton herzlich, „bitte, Christel, besprich dich mit Robert.“

„Für Mutters Begräbnis ist reichlich gesorgt,“ antwortet sie, „sie sparte seit Jahren dafür – ich danke dir, Anto.“

Draußen klopft es jetzt und das Stubenmädchen bringt ein kleines Briefchen an Anton, mit einer schönen Empfehlung von Fräulein Edith. Christel reicht es ihrem Mann und sieht, wie sich sein Gesicht rot färbt. „Bitte, lies es mir vor, Christel,“ sagt er.

Sie nimmt das Kärtchen aus dem Umschlag und liest mit einer Selbstbeherrschung, die ihr später unbegreiflich erscheint:

 „Lieber Herr Mohrmann!
Wie geht es Ihnen heute? Es thut mir so furchtbar leid, daß Sie, um mich und den guten alten Marko zu retten, so schwer verletzt sind. Tante hat mich gescholten, aber sagen Sie selbst, ich konnte doch das Tier nicht verbrennen lassen! Wenn Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0136.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2019)