Seite:Die Gartenlaube (1898) 0149.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

sowohl die Bewegung des Volkes zu leiten als auch den Fürsten mit Rat und That zur Seite zu stehen. Auf der ersten dieser Volksversammlungen, welche bereits am 27. Februar im Mannheimer Aulasaal unter Vorsitz Adam v. Itzsteins stattfand, einigte man sich dahin, zunächst nur die vier dringlichsten Forderungen aufzustellen, um, wie Mathy betonte, durch solches Maßhalten ein gleichmäßiges Vorgehen in allen deutschen Staaten möglich zu machen.

K. Braun.

L. v. d. Pfordten.

Mit Recht sagte man sich: nur wenn der Sieg der Freiheit ein allgemeiner in ganz Deutschland ist, kann die ersehnte Einheit errungen werden – nur die Bundesreform und eine deutsche Reichsverfassung sichern den Errungenschaften Bestand; und so setzten Welcker und seine Freunde alles daran, daß der gesetzmäßige Charakter der Bewegung durch nichts gefährdet werde und sie sich nicht in dem einen Lande zu Begehren versteige, deren Erfüllung in anderen deutschen Ländern nicht zu erhoffen war. Dieses Ziel ward erreicht; die vier „Mannheimer Forderungen“ – Preßfreiheit, Schwurgerichte, Volksbewaffnung und Nationalparlament – gaben bald der Aktion in allen übrigen Staaten einen gemeinsamen Charakter. Und die Schnelligkeit, mit der in Baden das Ministerium Bekk diesen Forderungen entgegenkam und ihre Genehmigung bei dem Großherzog Leopold durchsetzte, gereichte der Durchführung der Reform im Gesamtvaterlande zum nicht geringen Vorteil. Auch die dann weiter in Baden geltend gemachten Wünsche, vor allem der nach Ablösung der noch bestehenden Feudallasten, nach staatsbürgerlicher Gleichstellung aller Konfessionen und Amnestie für alle politisch Verfolgten, fanden seitens der Regierung schleunige Genehmigung und begannen danach einen Siegeszug durch ganz Deutschland.

G. Duvernoy.

Wo, wie in Karlsruhe und Darmstadt, die Kammern tagten, wurden diesen die Adressen meist direkt überbracht, oft in Sturmpetitionen, welchen Tausende das Geleit gaben, um vor den Ständehäusern durch ihre Anwesenheit auf die Beschlüsse einen Druck auszuüben und des Erfolges zu harren. Wo aber, wie fast überall, die Kammern keine Verhandlungen hielten, da trat an die Spitze der Forderungen das Verlangen nach schleunigster Einberufung derselben. Meist zog man mit den Adressen im Chor aufs Rathaus und übergab sie den Vertretern der Stadt zur Uebergabe an den Landesherrn; auch die Sprecher des Magistrats wurden von einem Massenaufgebot zum Schloß begleitet, vor dem man wartete, die Luft mit den Kernworten der hauptsächlichsten Wünsche erfüllend. Besonders in München und Leipzig, in Köln, Breslau, Berlin wurde die in den Rathäusern versammelte Stadtvertretung das Organ der Forderungen des Volkes und der Träger ihrer Vermittelung an die Person des Königs. Immer größeren Umfang nahm die Bewegung an. Aus nah’ und fern liefen im Schloß, beim Magistrat und in den Kammerausschüssen unzählige ähnliche Adressen ein, aus jeder Landstadt, jeder Dorfgemeinde, so daß kein Zweifel blieb, daß das ganze Volk, und nicht nur eine Partei an der Bewegung beteiligt war. Auch die Hochschulen und Akademien, sowohl die Professoren wie die Studenten, nahmen überall aufs lebhafteste teil an diesem Adressensturm.

F. Zitz.

Th. Reh.
Nach der Lithographie von Ph. Winterwerb.

Der Ton in diesen Schriftstücken war überall dringlich, oft auch drohend, immer aber von echter patriotischer Empfindung durchwärmt. „Der Sturm, der in die Zeit gefahren ist,“ hebt eine derselben an, die wir als Beispiel aus Tausenden herausgreifen, die „Tübinger“ von Ludwig Uhland verfaßte – „hat die politischen Zustände in ihrer ganzen unseligen Gestalt, allen erkennbar bloßgelegt. Es ist nötig in dieser bewegten Zeit, daß Deutschland gerüstet dastehe, nicht um herauszufordern, gewiß aber zu Schutz und Schirm seiner Grenzen. Allein es soll die Rüstung anlegen, den wunden Fleck auf der Brust. Jetzt eben schmerzt er tief und es thut not, daß er rasch geheilt werde … Einem Volke, das von der heiligen Pflicht durchdrungen ist, seinem vielgefährdeten Boden nicht eine Spanne weiter entreißen zu lassen, mangelt die Sicherheit, daß es nicht als ein willenloses Werkzeug diplomatischer Verwicklung die Waffen ergreife; versagt ist ihm das begeisternde Bewußtsein, für eine auch politisch würdige Stellung unter den gebildeten Völkern mit Gut und Blut einzutreten … In geistiger und sittlicher Bildung keinem andern nachstehend, hat das deutsche Volk noch immer nicht von dem Geiste, der in ihm lebt, die Ordnung seiner Geschicke zu erwarten.“ Aus diesen Vordersätzen, denen die Begründung nicht fehlt, ließ Uhland dann das festgefügte Gebäude seiner sieben Forderungen erstehen: 1) Ausbildung der Gesamtverfassung Deutschlands im Sinne eines Bundesstaats mit Volksvertretung durch ein Deutsches Parlament am Bundestage, 2) Allgemeine Volksbewaffnung, 3) Preßfreiheit im vollen Umfang, 4) Aufhebung der Beschränkungen, welche gegen Vereine und Versammluugen zur Beratung öffentlicher Angelegenheiten bestehen, 5) Vollständige Durchführung des Grundsatzes der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege mit allen sich daran knüpfenden Konsequenzen, 6) Vollkommene Herstellung einer wirklichen Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Gemeinden und Bezirkskörperschaften, 7) Revision der Verfassungsurkunde nach den während ihres achtundzwanzigjährigen Bestehens gemachten Erfahrungen, namentlich zum Zwecke der Herstellung einer ungemischt aus der Volkswahl hervorgehenden Abgeordnetenkammer.“

A. Hergenhahn.
Nach der Lithographie von Ph. Winterwerb.

Das Ergebnis der ersten Adressen war nur in wenigen Fällen, wie in Baden, die Bewilligung der Forderungen, in den meisten brüske Ablehnung von seiten der Fürsten. Fast alle lehnten es auch ab, persönlich irgend eine Deputation zu empfangen: das „Volk“ sollte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0149.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2023)