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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

schweifte. „Papa ist hier oben,“ flüsterte sie; „er darf von dem Briefe nichts wissen.“

„Oben – jetzt hier zur Nachtzeit?“

„Ja, wir haben uns hier häuslich eingerichtet; in den Stallungen sind ein paar Verschläge zurechtgemacht für Vater, für mich und für die Wirtschaft. Es ist jetzt viel Andrang von Besuchern und immer mit dem Schlüsselbund von Hermsdorf aus in die Höhe klettern und Speis und Trank heraufschaffen .... das ist lästig! Auch ist’s nicht ganz geheuer in jetzigen Kriegszeiten. Vater steht hier oben auf Wache und überschaut das ganze Hirschberger Thal, auch ist ein freier Auslug in die Berge vom Turm. Vater hat Leitern hereingebracht. Ehe die Franzosen sich auf dem Kynast ein Nest bauen, wollen wir doch unsere Truppen hier einquartiert sehen, und hoffen, daß dies bald geschehen wird.“

Der Führer kramte inzwischen in seinem Rucksack, bis er ein Schreiben gefunden hatte, welches durchaus keinem parfümierten Liebesbrief ähnlich sah, sondern durch das grobe Papier und die gekritzelte Aufschrift verriet, daß es aus einem Feldlager stammte. Doch für Klärchen war es wie mit einer Phönixfeder geschrieben und keine Vignette zweier sich schnäbelnder Täubchen auf feinstem Rosablättchen hätte sie freundlicher angemutet und ihr Herz mit süßeren zärtlichen Empfindungen erfüllt als dieser mit einem großen Klecks behaftete Bivouacbrief, den ihr der Bergführer überbrachte.

Während sie las, ruhte das Auge des Alten mit Wohlgefallen auf dem lieblichen Kinde, ja mit Zärtlichkeit und Rührung – sah sie doch der eigenen Tochter ähnlich, die er früh verloren, die oben in der Schneegrubenbaude lange Jahre wirtschaftlich gewaltet, bis sie ihr Herz an einen Fremden hing, der sie entführte und dann verließ, so daß sie sich mit ihrem Kinde das Leben nahm. Die tiefen Furchen in dem Antlitz des ehrwürdigen Mannes deuteten auf dieses schmerzliche Erlebnis.

„O, das wäre schön, das wäre himmlisch!“ rief jetzt Klärchen. „Wenn sich die Zuzüge noch mehren, soll ein Teil der Mannschaften, besonders die Rekruten, hier auf die Burg kommen. Und Ihr habt Robert bei guter Gesundheit getroffen?“

„Der Herr Kandidat ist kerngesund! Die frische Luft bekommt ihm besser als das Sitzen hinter dem Schreibtisch! Er ist ja so ein lateinischer Gelehrter; wie ich so viele mit ihren Ränzchen und Wanderstab über die Berge geführt. Doch so mancher knickte traurig zusammen, wenn er das Hohe Rad erklettert hatte, und es gab welche, die der Sturm umzublasen drohte. Tannen und Fichten konnten sie alle nicht unterscheiden; nur der eine mit der blauen Brille, der sich mit den Blumen im Teufelsgarten am Bramberg unterhielt, der wußte, wie sie alle lateinisch heißen – weiß Gott, wer sie da oben getauft hat! Doch wenn er seine Nase nicht in die Blumen und Kräuter stecken konnte, da war er verdrossen und schimpfte auf das Knieholz. War er selbst doch verkrüppelt wie das herumkriechende grüne Gewürm!“

„Da ist Herr Robert doch ein anderer Mann – nicht wahr?“

„Mein’s wohl. Und die Uniform und der schmucke Jägerhut stehn ihm gar gut, und mit dem Säbel rasselt er, als wär’ er darangeschnallt gewesen von Kindesbeinen an.“

„Ach Gott, wenn sie nur nicht mit den Franzosen handgemein werden!“

„Nun, deshalb rüsten sie sich doch zum Kriege,“ sagte Rübezahl lächelnd.

„Ich ertrüge es nicht,“ versetzte Klärchen, „ihn in Lebensgefahr zu sehen. Doch wir plaudern und ich vergesse, daß Ihr eine Stärkung braucht.“

Das Mädchen ging und kam mit einer Flasche Branntwein und mit Backwerk zurück. Der Vater folgte ihr, die Pfeife im Munde. Dies war der Kommandant des Kynast, der Schlüsselverwalter der Burg, welcher sonst unten im herrschaftlichen Schlosse des Grafen Schaffgotsch wohnte. Es war ein Herr mit gewaltigem Schnauzbart und gutmütigen Augen, bieder und treuherzig dem Anscheine nach. Er hatte einen Anflug gesellschaftlicher Bildung und war, ein Mittelding zwischen Kammerdiener und Kastellan, auch längere Zeit in der Schloßverwaltung beschäftigt gewesen. Sein Töchterchen aber, eine Gespielin der Grafentöchter, hatte durch die Güte des alten Grafen mehrere Jahre die Erziehung einer Breslauer Pension genossen; sie war den Mädchen ihres Standes weit voraus.

Der alte Röger klopfte dem Bergführer herablassend auf die Schulter, ehe er sich zu ihm setzte.

„Nun,“ sagte er, schlau mit den Augen zwinkernd, „was giebt’s denn Neues da drüben im Glatzischen? Ihr seid ja doch ein Pascher, ein Schmuggler, der die Parolebefehle insgeheim herüber und hinüber trägt. Und Ihr huscht oft fort von Eurem Riesengebirge in die Eule und ins Glatzer Land. Habt gewiß lange schon keinen friedlichen Wanderer über die Berge geleitet?“

„Giebt’s denn noch friedliche Wanderer heutzutage?“ meinte Rübezahl. „Es ist unsicher droben auf dem Kamme – vorgeschobene Korps der Franzosen, Tirailleurs, Patrouillen – sie wollen sich den Rücken decken. Leider hab’ ich selbst schon einmal ihnen den Weg weisen müssen.“

„Also – Vaterlandsverräter!“ versetzte Röger schmunzelnd.

„Und dabei trag’ ich in meinen Stiefeln eine Ordre des Grafen Götzen an die Mannschaften in Schreiberhau.“

„Und wie steht’s mit der Festung Glatz?“

„Sie hält sich tapfer; doch Vandamme rückt jetzt selbst in die Grafschaft ein, um das Belagerungskorps zu decken gegen den Grafen Götzen, welcher die Festung gern entsetzen möchte. Hab’ ihn gesehen, diesen Vandamme. Das ist einer – der hat seine Schule in dem verfluchten Paris gemacht, wo sie sich aus den Schädeln der Geköpften, wie es heißt, zutranken.“

„Nun, und hier in Schreiberhau?“ fragte der Kommandant, indem er das dritte Glas schlürfte.

„Ihr werdet hier etwas erleben! Macht Euch darauf gefaßt, daß sie auch Kanonen auf Eure Burg schleppen, es ist dergleichen im Werke. Es wird hier ein Hauptquartier werden; das Dings da mit dem Mauergerümpel wird noch die Ehre haben, sich in eine schlesische Festung zu verwandeln.“

Das schmeichelte zwar dem Ehrgeiz des Kommandanten; er strich sich seinen Schnurrbart mit herausforderndem Kriegsmut; doch es regte sich in ihm auch ein wehleidig Gefühl; er fürchtete, daß sein friedlich Gewerbe Schaden nehmen könnte.

„O, meine Sommergäste!“ rief er.

„Na, die Soldaten sind auch nicht zu verachten,“ tröstete Rübezahl, „es geht was drauf im Kriege. Fräulein Klärchen muß eine Marketenderin werden und mit dem Freikorps ziehen, wenn sie weiter rücken; die Uniform wird ihr gut stehen. Das muß man ja den Französinnen lassen: wenn diese schmucken Dämchen mit dem Bataillone vorbeimarschieren, deren Uniform sie tragen – wer da nicht Durst bekommt, der muß bereits einige Tonnen geleert haben!“

Klärchen hatte ihr Lob nur von fern gehört. Sie hatte wieder eine entlegene Stelle an der Brüstung aufgesucht, um dort ungestört ihren Gedanken nachzuhängen. Jetzt sprang sie plötzlich herbei. „Besuch, ein später Besuch!“

„Wer denn in aller Welt?“ rief der Vater.

„Es sind mehrere Herren und Damen.“

„Da will ich doch selbst das Vorthor öffnen,“ sagte der Kommandant, „sieh’ nur, ob unser Vorrat für die Gäste reichen wird, und suche das Beste zusammen! Nun, wir sind hier nicht auf einem herrschaftlichen Schloß, sondern in einer alten, verfallenen Burg – da muß man vorlieb nehmen!“

Rübezahl zog sich auf eine Steinbank zurück, die neben dem Hauptthor der Burg angebracht war, während Röger das Thor aufschloß und mit devoter Verbeugung die Gäste empfing.


Das war ein lustiges vierblättriges Kleeblatt, diese scherzenden und lachenden Herren und Damen, die von einem späten Mahl zu kommen und den steilen Berg nur benutzt zu haben schienen, um sich etwas auszutummeln.

„Hier wollen wir die Mäntel umnehmen. Wenn auch nur der bleiche Mondschein uns leuchtet, man hat doch etwas Lunge daran wenden müssen und ist heiß geworden! O, dicke Lotte! Sie stöhnen und schwitzen ja, als hätten Sie den Chimborasso erstiegen! Rasch den Mantel um – wer soll mir denn vorlesen, wenn Sie sich Ihre Lunge ruiniert haben? Lotte, Lotte, Sie sind marode zum Umpusten; setzen Sie sich schleunigst, sonst erleben wir eine Ohnmacht!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0154.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)