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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

In Warmbrunn, jenem schlesischen Badeorte, der durch die prächtige Schlußdekoration des Riesengebirges einen großartigen landschaftlichen Hintergrund hat, herrschte damals ein buntes Leben. Verwundete Offiziere und Soldaten, preußische sowohl wie französische, suchten Heilung in den schwefelhaltigen Wassern des Wildbades. Es war ein neutraler Boden, so weit der Bann desselben reichte; mochte man sich in den fernen Bergen herumschlagen, hier im Thal des Zacken herrschte ein friedlicher, gesellschaftlicher Verkehr; es war dieselbe Eintracht, die in Lazaretten herrscht, wo Freund und Feind zusammenliegen. Weiter hinein ins Land aber galt der Franzose als Landesfeind; denn seine Herrschaft über die Provinz war auch nach der Eroberung von Breslau keine unbestrittene.

Ueber das schlechte Pflaster des Städtchens rasselte die schmucke Equipage von Giersdorf; sie hielt beim Beginn des großen Promenadenwegs, in dessen Mitte eine Allee zu den Bänken führte, die eine herrliche Rundschau über die Gebirgswelt gewährten. Eine tiefverschleierte Dame trat aus dem Wagen, sah sich nach allen Seiten um und schlug einen Nebenweg ein, der sich durch buschreiche Anlagen schlängelte. Die Vormittagssonne stand schon ziemlich hoch am Himmel, die Anlagen waren menschenleer; es war die Zeit, wo die Badegäste mit ihrer Kur beschäftigt waren oder sich von den Strapazen derselben in ihren Zimmern erholten. Hier und dort gab es wohl einen Spaziergänger, der die schlanke Dame ins Auge faßte; doch sie zog sich zurück in die dunklen, nach dem Schlosse zu liegenden Parkgänge und setzte sich dort auf die Bank unter einer Traueresche, indem sie ungeduldig einige gefiederte Blätter des herabhängenden Gezweigs pflückte. Dann stand sie wieder auf, ging unruhig hin und her bis zu den Krümmungen des Weges, spähte hinaus und kehrte unbefriedigt wieder zu ihrer Bank zurück. Eine Nachtigall flötete im Gebüsch; wollte der alberne Vogel sie verhöhnen? Er hatte sein sicheres Nest und konnte das Glück der Liebe aus voller Kehle in die Lüfte schmettern; ihre Liebe war heimatlos, und wenn sie ins Gebüsch schlüpfte, fand sie nicht ein sicheres Nest, sondern sie pickte nur die Krumen eines karg zugemessenen Glückes auf!

Noch immer kam er nicht – die Uhr vom Kirchturm hatte schon längst, als Leontine noch im Wagen saß, die bestimmte Stunde geschlagen. Es bedurfte dringlicher Verabredungen.

Der Vater kam an diesem Abend aus Breslau zurück; die geheimen Besuche im Schloßpark von Giersdorf waren dann unmöglich geworden. Schon faßte sie den kühnen Entschluß, den vergeblich Erwarteten in seiner Wohnung aufzusuchen – unter dem dichten Schleier würde sie wohl niemand erkennen. Da endlich rauschte etwas im Laube – stürmisch eilte sie dem Geräusch entgegen. An einem Stocke gehend, wenn auch nur unmerklich lahmend, erschien ein stattlich aussehender junger Mann mit feurigem Blick, schwarzen Haaren, schwarzem Kinn- und Knebelbart, nach seiner ganzen Haltung ein Offizier. Doch solche feurige Südländer kämpften nicht unter den Fahnen des schwarzen Adlers, das war ein Truppenführer aus den Legionen Napoleons. Der Erwartete war es und alles Schmollen war vergessen. Leontine schlug, den Schleier zurück, sank an seine Brust und tauschte feurige Küsse mit dem Geliebten.

Hauptmann Edmond de Granville stammte zwar aus dem sonnentrunkenen Weinlande der Provence, und doch war er der deutschen Sprache mächtig; denn seine Mutter war eine Elsässerin und von frühester Kindheit an hatte er deutsch sprechen lernen.

„Du kommst so spät?“ sagte Leontine, ihn auf die Bank zu sich niederziehend.

„Ein Kamerad begleitete mich, ich vermochte nur mit großer Mühe ihn abzuschütteln.“

„Sieh’, Edmond, von morgen ab werde ich kaum allein nach Warmbrunn kommen; da wird mich stets mein Vater begleiten, der heute nach Giersdorf zurückkehrt. Und auch im Parke dort können wir uns nicht mehr treffen. Mein Papa treibt sich rastlos in seiner Wirtschaft herum, durchstreift alle Gänge des Parkes, besichtigt bald diese, bald jene Aecker – vor ihm giebt’s keine Geheimnisse.“

„Und da finden sich wohl auch wieder deine Freier ein?“ versetzte der Kapitän in eifersüchtiger Aufwallung, „der Herr von Rohow und der Herr von Benndorf und wie sie alle heißen, die sich bequem mit dir an den Tisch setzen, während ich draußen in Nacht und Nebel warten muß?“

„Nein,“ sagte Leontine lächelnd, „von diesen Herren habe ich mich zunächst freigemacht.“

„Und wie in aller Welt?“

„Ich habe sie ins Schlachtenfeuer hinaus in die Glatzer Landschaft geschickt – doch das Wie ist und bleibt mein Geheimnis. Kannst du aber glauben, Edmond, dieser langweilige Rohow oder gar der schmachtende Benndorf könnten mir gefährlich werden? Nein, Edmond, ich liebe dich, nur dich – glühend, grenzenlos! An dich will ich mich verlieren, durch dich will ich mich gewinnen, denn nur deine Liebe giebt allem Wert, was ich bin und habe. Wer den Rausch nicht kennt, kennt die Liebe nicht; jetzt leb’ ich, da ich dich habe!“

Und sie umarmte und küßte den Geliebten leidenschaftlich, der sich jetzt nicht mehr mit Zweifeln quälte – das Glück der Gegenwart ließ ihn an die frohen Verheißungen der Zukunft glauben. „Und du entführst mich in deine Provence, vielleicht noch ehe der Frieden geschlossen ist! Du bist noch nicht ganz wieder kampffähig, man wird dich beurlauben.“

„Möglich – vielleicht ein Gesuch beim Prinzen Jerome, bei dem ich einen Stein im Brett habe.“

„O, das hab’ ich in Breslau wohl gemerkt, schon am ersten Abend, als wir uns bei seinem Ballfeste sahen. Er unterhielt sich oft mit dir und war recht ,lustik’ – sein Lieblingswort aus unserer Sprache, ich glaube, das einzige, das in seinem Gedächtnis haften geblieben ist neben einigen Mädchennamen, die er nur verstümmelt herausbringt. Doch es war ein schöner Festabend – mir unvergeßlich! Die armen Breslauerinnen, die eingeladen waren, Ratsfrauen und Ratstöchter von den entzückenden Ufern der Ohle, wie kleinstädtisch in dem Gewühl der weltstädtischen Frauen aus Paris, welche in jeder Miene und Bewegung den Stolz zeigten, der großen Nation anzugehören! Und auch wir aus der Provinz, die wir mit alten Wappenschildern Staat machen können, als Kinder schon in unserem Ahnensaal Federball gespielt haben – wir konnten nicht aufkommen gegen diesen Pariser Glanz und den Stolz dieser sich so frei bewegenden Schönheiten, welche Siegerinnen wären auch ohne den Sieg eurer Waffen!“

„Nun, Leontine,“ versetzte der Offizier mit aufrichtiger Bewunderung, „du kannst es aufnehmen mit allen Damen aus dem Hofstaate Jeromes, deren Schönheit doch meist an den Toilettentischen fabriziert wird. Bei dir ist alles Natur, du würdest auch schön sein wie Virginie auf einer einsamen Insel, jene alle würden dort niemals einen Paul finden!“

„Wenn ich für dich schön bin, so bin ich glücklich! Noch sehe ich dich dort im Hatzfeldschen Palais am Fenster stehen, bald hinausblickend in die Nacht, bald das bunte Getümmel mit gleichgültigen Blicken streifend. Du schienst mir so einsam, so stolz, es zog mich unwillkürlich in deine Nähe. Und auch du bemerktest mich; ein Adjutant Jeromes stellte dich mir vor; da verschwand vor meinen Augen die ganze glänzende Gesellschaft – auch der junge Prinz, der vorher an mir Gefallen gefunden und mich mit dem Sprühfeuer seiner Augen überschüttet hatte. Etwas wie Eitelkeit regte sich in mir – das war ein kleinlich Gefühl; ich fühlte nur, daß meine Mitschwestern mich um diese Auszeichnung beneideten. Doch als ich mit dir sprach, da war ich nicht eitel, sondern stolz, es war ein Gefühl, das meine Brust hob, wie ich es noch nie gekannt. Da gingen die andern gleichgültig vorüber, und doch hätten sie gerade da mich beneiden können. Das Licht dieses Abends strahlte in all die Träume meiner Nächte – du warst und bleibst ihr Held!“

„Und auch ich,“ sagte Edmond, „hatte keine Rast, bis wir uns wiedergesehen. Was dazwischen lag, war eitel Jammer, und da fühlt’ ich nichts als den Schmerz einer noch nicht ganz geheilten Wunde. Wie freut’ ich mich auf jede neue Einladung Jeromes! Die Feste drängten sich, ich brauchte nicht lange zu warten; wir fanden stille Plätzchen in den Fensternischen, in den Seitengemächern, und wie schön waren die Begegnungen am Scheitenicher Park! Und nun kommt dein Vater?“

„Er haßt die Franzosen, so oft er auch gute Miene zum bösen Spiel macht und die militärischen Würdenträger mit freundlicher Ergebenheit begrüßt.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0158.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2017)