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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Zum 1. April


Wenn ich ’mal Söhne habe … nach Jahren,
Sie sollen mir eins im Herzen bewahren.
Da will ich den lauschenden Kinderseelen
Von einem Tag meiner Jugend erzählen.
Und ob mich die dunkelsten Schatten umwehn,
Sie sollen mein Auge leuchten sehn.

 *      *      *

Wir waren Studenten – drei Bursche gut,
Die Augen voll Glück, die Herzen voll Glut,
Und schickten zum Herrn, so die Welt regiert
Und sie gar meisterlich ausstaffiert,
Manchmal vor Tollheit und Jugendlust
Einen Juchzer aus voller Burschenbrust.

Da war es in goldnen Ferienstunden,
In Hamburg hatten wir uns gefunden,
Hatten schon wacker die Stadt besehn,
Hafengetöse – Wimpelwehn,
Vergaßen auch nicht über andern Sachen,
Den Mägdlein unter den Hut zu lachen,
Dann hurtig des Abends zum Glase gesetzt:
      „Brüder – was jetzt?“

So wurden denn mancherlei Heldenthaten
Von uns beraten.
Doch that auch Stimm’ über Stimm’ erschallen,
Das rechte Wort – es wollte nicht fallen.
Da ist der Jüngste denn aufgesprungen,
Mächtig ist seine Stimme erklungen.
Die Narben brannten in seinem Gesicht,
Sein volles Herz, es hielt ihn nicht.
Er sprach nur wenig, nur kurze Worte,
Er faßte sein Glas: „Brüder, hört zu!
Ich weiß ein Örtlein –“
  „Heraus mit dem Orte!“
Und jubelnd sagte er: „Friedrichsruh!“

Blitz! Wie fuhren wir andern drein!
„Das Wort – es mag dir gesegnet sein!“

 *      *      *

Ueber den Straßen und Plätzen lag
Sonnengoldig ein Nachmittag.
Der Himmel selber in aller Schöne,
Der sorgte für seine Musensöhne,
Führte bei hellstem Sonnenschein
Ins Dörfchen uns ein. –
Keuchend kamen die Züge und schwanden,
Wir grüßten sie froh,
Dann haben wir drei vor dem Schlosse gestanden
Und die Herzen klopften nur so!

Neben uns – gegen Park und Thor –
Schob sich langsam die Menge vor,
Neue Scharen drängten sich nach –
O wie das summte, lachte, sprach,
Bis plötzlich – halb verschollen – ein Klang
In all das Summen und Lärmen drang.
Lauschend neigte sich jedes Ohr,
Ein tiefes Schweigen in aller Runde,
Dann flog es hastig von Munde zu Munde:
      „Der Wagen fährt vor!“

Vorwärtsgeschoben, zusammengedrückt,
Eine Mauer – so sind wir vorgerückt.
Und als wir’s sahen – die Pferde – den Wagen
Ein Sturmwind, ist es emporgeschlagen:
Hin durch die Lüfte Strauß um Strauß,
Hundert Hände streckten sich aus,
Und die Kinder wurden emporgehalten,
So sahen auch sie den herrlichen Alten:
Ueber den Knieen leichte Decken,
Im breiten Schlapphut – so saß er da.
Mir blieb das Hurra in der Kehle stecken,
Doch die andern riefen Hurra!
Das war ein Jubel, ein Stoßen und Drängen,
Immer wieder flogen die Tücher empor,
Bis unter den vollen, brausenden Klängen
Der wagen sich rasch im Walde verlor.

Ein Alter – er war weit hergekommen –
Hatte sein Mützlein abgenommen.
Der stand, als alles vorüber war,
Noch immer in seinem weißen Haar.
Weit war die Welt versunken um ihn,
Er hatte auch nicht Hurra geschrien,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0176.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)