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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Platz hervordrangen. Die Mannschaften thaten dies in ungeschickter brutaler Weise, die dem Grimm entsprach, der sich in ihnen während der letzten acht Tage, wo man sich ihrer gegen die Volkskrawalle bediente, aufgespeichert hatte. Der Angriff wirkte auf die in Jubel schwelgende Menge wie ein Blitzschlag aus heiterm Himmel. Man rief empört: „Zurück!“ „Militär fort!“ „DerKönig soll sich unter den Schutz der Bürger stellen.“ Ein furchtbares Gedränge entsteht. Da plötzlich fallen zwei Schüsse. Der Lärm stockt. Ein jäher Schreck ergreift alle. Dann wilde Flucht. – „Wir sind verraten!“0 „Waffen!“0 „Rache!“ gellt’s durcheinander. Die Schüsse waren aus den Reihen der Grenadiere gekommen. Später hat sich herausgestellt, daß das eine Gewehr durch das Ungeschick eines Soldaten, das andere durch den Stoß eines Arbeiters auf den Hahn sich entladen hatte. Beide Schüsse waren in die Luft gegangen. Damals wußte das niemand, jeder glaubte an ein Einschreiten der Truppen mit der Schußwaffe, das Gerücht vergrößerte im Nu den Vorfall – die zwei Schüsse waren das Signal zu einem vierzehnstündigen Straßenkampf zwischen Volk und Heer, der in kurzer Zeit eine gewaltige Ausdehnung annahm und noch die ganze Nacht durch dauerte.

Barrikadenkampf am Köllnischen Rathaus in Berlin.
Mit Benutzung eines gleichzeitigen Bildes der „Illustrierten Zeitung“ gezeichnet von A. Wald.

Die Erbitterung der Tausende, die sich jetzt am Bau von Barrikaden in allen gegen das Schloß hin mündenden Straßen beteiligten, war so groß, daß kein Vermittelungsversuch mehr Macht hatte über die erzürnten Gemüter. Wie durch Zauberschlag wuchsen die Barrikaden empor, das aufgerissene Steinpflaster, Droschken und Omnibusse, Tonnen, Warenballen, Brunnengehäuse, Verkaufsbuden boten das Baumaterial. Die Waffenhandlungen gaben auf den ersten Ruf alles, was zur Verteidigung dienen konnte, dem Begehren des Volkes preis. Auch Beile, Aexte, Brechstangen dienten als Waffe, die Studenten erschienen mit ihren Rapieren. Während der König, über den Ausbruch dieses Kampfes ganz entsetzt, nur mit Widerwillen die Befehle für die Erstürmung der Barrikaden erteilte, wurde auf diesen mit wilder Begeisterung gekämpft. Die Umgebung des Königs, der bald bitterlich weinte, bald in dumpfe Apathie versank, suchte ihm beizubringen, daß nur eine Rotte fremder Aufwiegler den Kampf veranstaltet habe. Inwieweit und von wem der Straßenkampf thatsächlich vorbereitet war, ist nie sicher festgestellt worden. Es waren aber echte Berliner, Handwerker, Studenten, Arbeiter, auch Bürger gelehrten Berufs, die da zur Waffe gegriffen hatten; die Namen der unglücklichen Opfer des Kampfes wie die der hervorragendsten Führer, des Mechanikers Siegrist, des Drechslers Hesse, des Tierarzts Urban, des Stadtverordneten Behrends, die Beteiligung zahlreicher Bürgerschützen sind dafür bezeichnend. Ein starkes Kontingent stellten die Arbeiter der großen Maschinenbau-Werkstätten am Oranienburgerthor. Wie tapfer sich das Volk schlug, geht aus allen Darstellungen, auch denen von militärischer Seite, hervor. Besonderer Heldenmut ward auf dem Alexanderplatz, in der Breitenstraße beim Köllnischen Rathaus, an der Ecke von Oberwallstraße und Hausvogteiplatz und in der Taubenstraße entfaltet. Als schier uneinnehmbar erwies sich der feste Barrikadenbau, welchen der Maschinenbauer Siegrist am Köllnischen Rathause aus dicken Holzmassen in der Höhe von 8 Fuß aufgeschichtet hatte. Vergeblich stürmten die Gardegrenadiere immer aufs neue das Bollwerk, bis ihnen ein starkes Bombardement mit Granaten genügende Bresche schlug.

Der Zug mit den Bahren der Gefallenen im Schloßhof.

Als auf Wunsch des Königs gegen Morgen von den Truppen das Feuer eingestellt wurde, war zu gunsten derselben der Kampf keineswegs entschieden. Die Barrikaden auf den nach dem Schloß mündenden Straßen waren freilich alle gestürmt. Doch hatte General v. Prittwitz, der gegen 13000 Mann und 36 Geschütze befehligte, die eigentlichen Arbeiterquartiere noch nicht in Angriff genommen. Der König aber wollte keinen Kampf mehr. Er hatte in der Nacht ein Manifest niedergeschrieben, in dem er „seine lieben Berliner“ beschwor, das furchtbare „Mißverständnis“ einzusehen und die Barrikaden zu räumen, wogegen er sogleich alle Truppen aus Straßen und Plätzen zurückziehen werde. „Hört die väterliche Stimme Eures Königs, Bewohner meines treuen und schönen Berlins, und vergesset das Geschehene, wie Ich es vergessen will und werde in meinem Herzen, um der großen Zukunft willen, die unter dem Friedenssegen Gottes für Preußen und durch Preußen in Deutschland anbrechen wird! Eure liebreiche Königin und wahrhaft treue Mutter und Freundin, die sehr leidend darnieder liegt, vereint ihre innigen, thränenreichen Bitten mit den Meinigen.“

Was nun folgte, waren lauter weitere Demütigungen des Königs. Er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0190.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2020)