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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Wie das erste Deutsche Parlament entstand.

Ein Rückblick von Johannes Proelß.
Mit Illustrationen nach gleichzeitigen Lithographien und Holzschnitten.
IV.0 Das Vorparlament.

Der „Römer“ in Frankfurt a. M.

Nirgends hatte sich der kolossale Umschwung der deutschen Zustände von den ersten Märzerrungenschaften bis zu den letzten Zugeständnissen in Wien, Berlin und Hannover so vollständig und Schritt für Schritt wiedergespiegelt wie in Frankfurt a. M., dem Sitz des Bundestags. Und kein anderes städtisches Gemeinwesen hatte an diesem Umschwung ein solches Lebensinteresse wie die Freie Reichsstadt, die bis zum Ende des alten Reichs deutscher Nation so oft der Schauplatz glänzender Kaiserkrönungen und Reichsversammlungen gewesen war, und der nun von der neuzubegründenden Reichsherrlichkeit glänzende Zukunftsbilder entgegenblinkten. Wohl hatte sie es vor dreiunddreißig Jahren mit Genugthuung begrüßt, als die Gründer des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongreß sie zum Sitz der obersten Bundesbehörde erhoben. Sie hatte dann in dieser Eigenschaft sogar in erhöhtem Maße als früher im großen politischen Leben eine Rolle gespielt. Längst aber empfand die freireichsstädtische Bürgerschaft den als Ehre begrüßten Vorteil als Fluch; die Schmach, die der Bundestag als gefügiges Werkzeug Metternichs auf sich gehäuft, fühlte man mit Schmerz auf dem guten Ruf der Vaterstadt lasten. So wurden denn in Frankfurt die ersten Anzeichen der Bewegung, welche neben dem Bundestage ein Deutsches Parlament erstrebte, mit begeisterungsvollem Jubel begrüßt, und mit noch größerer Spannung als im übrigen Deutschland wurde von hier aus die Entwicklung verfolgt, welche unter der Gunst der Märztage der verheißungsvolle Plan nahm. Der Geist der nationalen Freiheitsbewegung besaß in Dr. Reinganum, dem Jugendfreund Börnes, in Dr. Mappes, der mit Uhland innig befreundet war, in Frankfurt schon lange energische Führer. Unter dem harmlosen Namen „Das Montagskränzchen“ bestand ein Verein, in welchem die Frankfurter Gesinnungsgenossen der Hallgartner Verbündeten sich lebhaft rührten. Als am 5. März die Freunde Welckers und Itzsteins in Heidelberg tagten, um die schleunige Einberufung des Parlaments nach Frankfurt zu betreiben, war die Mainstadt unter den „einundfünfzig“ Männern durch Binding und Jucho vertreten.

Aber auch das Thurn- und Taxis’sche Palais in der Großen Eschenheimer Gasse, das dem Bundestag als Versammlungsort diente, ward jetzt auf einmal Gegenstand eines sympathischen Interesses. Seit Jahren hatte sich der Frankfurter Bürger gewöhnt, es nur mit Scheu und heimlichem Grimm zu betrachten; nun sollte der Bundestag darin eine nie erwartete Wiedergeburt erleben. Der österreichische Präsidialgesandte Graf Münch-Bellinghausen, der nach Metternichs Weisung all die reaktionären Bundesbeschlüsse zur Unterdrückung der Freiheit und Vaterlandsliebe eingeleitet hatte, verschwand beim Ausbruch der Unruhen nach Wien und sein Vertreter Graf Colloredo fand sich dort gleichfalls während der ersten kritischen Zeit gefesselt. Unter dem Präsidium des preußischen Gesandten Graf Dönhoff aber geschah es, daß bereits am 1. März aus dem Bundespalais eine „Proklamation an das deutsche Volk“ erging, in welcher die bisherige Thätigkeit der Versammlung indirekt aufs schärfste verurteilt ward und der Bundestag „als das gesetzliche Organ der nationalen und politischen Einheit Deutschlands“ die Erklärung abgab, daß er nunmehr alles aufbieten wolle, um für die Sicherheit Deutschlands nach außen wie für die Förderung der nationalen Interessen im Innern zu sorgen. „Deutschland,“ hieß es darin, „wird und muß auf die Stufe gehoben werden, die ihm unter den Nationen Europas gebührt, aber nur der Weg der Eintracht, des gesetzlichen Fortschritts und der einheitlichen Entwicklung führt dahin.“

Friedrich Hecker.

G. v. Struve.

So sehr wirkte der „Sturm, der in die Zeit gefahren“ war, auch hier! Und fast jeden folgenden Tag brachte die bisher nur in Dekreten zur Unterdrückung der „Eintracht“, des „gesetzlichen Fortschritts“ und der „nationalen Entwicklung“ ergiebige Staatsmaschine den Frankfurtern wie der staunenden Welt eine neue Ueberraschung. Am 3. März gab ein Beschluß den Einzelstaaten die Freiheit zurück, die Censur aufzuheben. Am 8. wurde auf Betreiben der neuen liberalen Regierungen in Baden, Württemberg, Hessen und Nassau beschlossen, daß eine Revision der Bundesverfassung „auf wahrhaft zeitgemäßer und nationaler Grundlage“ erforderlich sei; am 9. ward, wie bereits früher erwähnt, schwarz-rot-golden geflaggt, und am 10. erfolgte der Beschluß, sämtliche Bundesregierungen einzuladen, „Männer des allgemeinen Vertrauens, und zwar für jede der siebzehn Stimmen des engeren Rates einen“, bis Ende des Monats nach Frankfurt zu senden, um an der nötigen Verfassungsrevision mitzuwirken. Der anfängliche Widerspruch Oesterreichs und Preußens, die damals noch den Dresdner Fürstenkongreß planten, wurde durch Metternichs Sturz und die Berliner Ereignisse vom 18. und 21. März hinfällig. So entstand das Kollegium der „Siebzehner“, in welches die zum Liberalismus bekehrten Regierungen die bewährtesten Vorkämpfer des Verfassungslebens ihrer Länder entsandten, Preußen den „Göttinger“ Dahlmann, Oesterreich Schmerling, Württemberg Uhland, Hannover Zachariä, Sachsen Todt, Bayern Kirchgeßner, Baden Bassermann, Kurhessen Sylvester Jordan, Holstein Droysen; auch die „Göttinger“ Albrecht und Gervinus, der hessische Staatsrat Jaup und Max v. Gagern befanden sich unter diesen erlesenen „Vertrauensmännern am Bundestag“. Baden ging auch hier mit gutem Beispiel voran; bereits am 14. März erfolgte die Ernennung Bassermanns, und am gleichen Tage geschah das Unerhörte: der Gesandte Badens am Bundestag, Herr v. Blittersdorff, mußte dem bisher gefährlichsten Feind der alten Bundeswirtschaft, Karl Theodor Welcker, weichen! Der jetzt dem Sieg entgegenschreitende Vater der Idee des Deutschen Parlaments übernahm auf Drängen seiner Freunde das Amt, damit er als Mitglied des Bundestags für die am 5. in Heidelberg von seinen Gesinnungsgenossen gefaßten Beschlüsse wirke.

Noch einmal hatte das Schicksal den beiden in Badens Verfassungskämpfen ergrauten Führern, Itzstein und Welcker, die Leitung des großen Reformwerkes anvertraut, als sich acht Tage nach dem Sieg der Pariser Revolution in dem schönen Musensitz

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0204.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)