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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Aufforderung, aus ihrer Mitte gewählte Vertreter zu senden. Einzelne namhafte Kämpen des Freisinns, wie die „Hambacher“ Wirth und Eisenmann, wie Johann Jacoby und Heinrich Simon, altbewährte Bekenner des nationalen Gedankens, wie die Brüder Grimm, sowie die kürzlich bestellten Vertrauensmänner am Bundestag wurden direkt mit Einladungen bedacht. Das „Vorparlament“ war also keine parlamentarisch gewählte und mit parlamentarischen Rechten ausgestattete Versammlung. Aber in ganz Deutschland ward seine Ankündigung mit einem Jubel begrüßt, als würde das ersehnte Parlament bereits in ihm sich verkörpern. Vollends in Frankfurt war die Begeisterung groß, und sie wuchs, als man hörte, was für Männer jetzt die Regierungen als Vertrauensmänner in den Bundestag sandten und die gefeierten Namen Uhland, Dahlmann, Sylvester Jordan von Mund zu Munde gingen.

Aber noch ehe dieses Vorparlament unter den Segenswünschen von Millionen Deutscher, unter dem Jubel der Frankfurter Bevölkerung, unter Freudenschüssen und Glockengeläute in der Paulskirche zusammentrat, um für die deutsche Einheit den Grund zu legen, war es dem Geiste der Zwietracht unentrinnbar verfallen. Und das Verhängnis wollte, daß gerade aus dem Schoße der Männer, welche die Einberufung bewirkt, dieser Zwiespalt hervorging. Es war derselbe, den in Heidelberg die Vermittelungstaktik des greisen Itzstein noch leidlich zu überbrücken gewußt hatte. Der große Wandel der Dinge, welcher inzwischen Gagern zum hessischen, Römer zum württembergischen, Hergenhahn zum nassauischen Minister, Welcker zum Bundestagsgesandten gemacht, Metternich aber und sein ganzes System im Wirbelsturm der Märzerhebung gestürzt hatte, brachte den schon bestehenden Gegensatz in aller Schärfe zum Ausbruch. Jetzt sagte Hecker nicht mehr, auf die Staatsform für die Freiheit komme es ihm nicht an – nun forderte er die Republik unbedingt. Und Heinrich von Gagern, der jetzt selber der Lenker einer deutschen Regierung war, bestand mit ganz anderer Entschiedenheit als vor drei Wochen auf der konstitutionellen Monarchie und auf einem fürstlichen Oberhaupt des zu gründenden Bundesstaats. In Heidelberg hatte noch Römer die Monarchie für „ein notwendiges Uebel“ erklärt; jetzt war er ganz anders von ihrer Notwendigkeit überzeugt, nun er selbst mit an der Spitze einer solchen Regierung stand, während sich anarchische Bestrebungen gegen sie geltend machten. In Heckers Augen war der Uebertritt seiner alten Freunde in die Stellung von „Fürstenräten“ ein Abfall von der Sache des Volkes; in Gagerns Augen war das ungeduldige Anstürmen gegen die kaum gewonnene konstitutionell-monarchische Regierungsform ein Abfall von der gemeinsamen Aufgabe, die man sich in der Heidelberger Erklärung gestellt hatte.

Das Bundestagspalais in Frankfurt a. M.

Zudem war die „Oberhauptsfrage“ in aller Oeffentlichkeit aufgeworfen worden und entfesselte überall in Deutschland hitzigen Streit. In dem ungünstigsten Moment für die Monarchie hatte ihn das voreilige Wort des Königs in Berlin, er stelle sich an die Spitze von Deutschland, zum Ausbruch gebracht. „Der unselige Verlauf der Berliner Sturmtage,“ sagt Sybel in seinem Werk „Die Begründung des Deutschen Reichs“, „zuerst der blutige Kampf und dann die schwache Nachgiebigkeit, hatte der republikanischen Partei in Deutschland die Handhabe geboten, den mächtigsten ihrer Gegner in tausend Zeitungsartikeln, Plakaten, Klubreden mit einer Flut von Schimpf und Hohn zu überschütten, den feigen Tyrannen, der sein Volk niederkartätschen läßt, dann, besiegt, elend um Gnade bittet und jetzt die ehrlose Stirn mit der deutschen Kaiserkrone schmücken will – und vor allem in Baden und Sachsen hatten sich dadurch die Volksmassen mit rasendem Haß gegen den König erfüllt.“ An die Spitze dieser Agitation in Baden trat Gustav v. Struve. Ihm war die versöhnliche Bundesreformpolitik, die Welcker eingeschlagen, ein Greuel. Ehe der ehrgeizige, einer livländischen Familie entstammende Demagog sich in Mannheim als Advokat niedergelassen hatte, war er oldenburgischer Gesandtschaftssekretär am Bundestag gewesen. Angeekelt von dem, was er hier erlebte, hatte er der diplomatischen Laufbahn entsagt. Die ganze Bundestagsverfassung muß fallen, die republikanische muß an ihre Stelle! – das war seitdem seine heimliche Ueberzeugung. Jetzt verfolgte er deren Verwirklichung mit der starren Energie eines verbissenen Fanatikers. Schon seit Monaten hatte er sich bemüht, seinen jüngeren Kollegen Friedrich Hecker, der in seiner jugendfrischen Männlichkeit als Sprecher zum Volk eine hinreißende Wirkung ausübte, ganz für seine Pläne, denen Fickler in Konstanz schon diente, zu gewinnen. Bereits im letzten Wahlkampf hatte Struves Einfluß das Verhältnis Heckers zur alten Oppositionspartei bedeutend gelockert; von beiden zusammen waren im Herbst zu Offenburg die „Forderungen des Volks“ in radikaler Fassung proklamiert worden, die in dem Verlangen von „Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit“ und „Abschaffung aller Vorrechte“ gipfelten. Doch bisher hatte die Treue gegen die Männer, als deren Anhänger Hecker ins politische Leben getreten war, in dessen Gemüte den Vorrang behauptet. Seit ihn vor sechs Jahren der alte Itzstein erstmals zum Abgeordneten vorgeschlagen, war er immer dessen besonderer Liebling gewesen. Noch am 19. März hatte er auf einer von mehr als 15 000 Männern besuchten Volksversammlung in Offenburg an Itzsteins Seite gegen Ficklers Versuch, im badischen Oberland das Banner der Revolution zu enthüllen, gesprochen und die aufgeregte Menge auf das zu erwartende Parlament vertröstet. Mit Entrüstung wandte er sich dort gegen jene, welche mit Frankreichs Hilfe die „Deutsche Republik“ gründen wollten. „Ein Volk,“ rief er, „das ein fremdes Volk nötig hat zur Erringung seiner Freiheit, ist dieser Freiheit unwürdig. Im Deutschen Parlamente muß Deutschland, einig und eine Nation geworden, auch über die künftige Staatsform sich einigen. In einem Lande von achtunddreißig Staaten ist die Regierungsform schwerer zu ändern als in Frankreich, wo Paris das Schicksal des ganzen Landes entscheidet. Auch dürfen wir uns an jener Revolution kein Muster nehmen, da die Umgestaltung auf so schwankendem Grunde ruht.“ Jetzt aber siegte Struve. Fünf Tage nach dem „schwarz-rot-goldnen Umritt“ des Königs von Preußen erklärte dieser mit seinen Gesinnungsgenossen auf einer gleichfalls massenhaft besuchten Volksversammlung in Freiburg: nur in einer großen Gesamtrepublik könne die Einheit und Freiheit des deutschen Volkes gesichert werden. Und er that es im vollen Einverständnis mit Hecker, den die Volksgunst in Offenburg zum Obmann der neugegründeten Vaterlandsvereine in Baden erhoben hatte, während er im Landtag an der Spitze der Kommission stand, welche dem Gesetzentwurf für die Volksbewaffnung eine befriedigende Form geben sollte.

Aber auch in dem gemäßigt liberalen Bürgertum, das eben sich anschickte, die Errungenschaften aller bisherigen Kämpfe für die Freiheit in einem festgefügten Bau der Einheit zu bergen, ward die Haltung Friedrich Wilhelms IV leidenschaftlich verurteilt. In unzähligen Adressen, die bei den Landtagen einliefen, ward ausgeführt: dieser König, der sich ohne Befragen der Nation an die Spitze von Deutschland stelle, nachdem er mit seinem eigenen Volk in so schweren Konflikt geraten, habe sich für den deutschen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0206.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2020)