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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


ehrwürdiger Volksvertreter, besonders wirksam von den Lippen Sylvester Jordans, der von einer Deputation feierlich eingeholt wurde, als er von Marburg kommend sich im Wagen dem Weichbild der Stadt näherte. Auch Dr. Eisenmann, der beinahe vierzehn Jahre lang als Märtyrer der Hambacher Bewegung das Elend der Festungshaft hatte ertragen müssen, sprach in versöhnlichem Sinn, als er bei seiner Ankunft von Würzburg her an der Haltestelle des Dampfschiffes festlich bewillkommnet wurde. Eintracht und Freude kündete am Morgen des 31. der Glocken feierlich Geläut, als die Abgeordneten, mehr als 500 an der Zahl, früh ½9 Uhr durch die sich stauende, jubelnde Volksmenge zum „Römer“ schritten, um in dessen reich geschmücktem Kaisersaal die Wahl des Präsidiums zu vollziehen. Und Friedensstimmung waltete auch über diesem Akte, als man einem der friedlichsten Veteranen des Verfassungskampfes, dem Präsidenten des badischen Landtags Professor Mittermaier von Heidelberg, die Leitung übertrug, während Itzstein, Dahlmann, Robert Blum und Sylvester Jordan Vicepräsidenten wurden. Im hellsten Frühlingsglanz wölbte sich der blaue Himmel über der Stadt, als um halb 10 die Glocken aufs neue zu läuten begannen und unter ihrem Klang und dem Donnergruß der Kanonen die Abgeordneten des deutschen Volks vom „Römer“ durch die Spaliere der Frankfurter Bürgergarde und der Turner nach der Paulskirche zogen.

Karl Mittermaier.
Nach der Lithographie von F. Hickmann.

Aber kaum hatte in der hohen Rotunde derselben die erste Sitzung begonnen, so wurde der Brand entfesselt, der bisher nur geschlummert hatte und für welchen der Zündstoff auch auf den Tribünen gehäuft war, wo in dichten Reihen das Volk saß, um hinfort den leidenschaftlich bewegten Chorus der parlamentarischen Vorgänge zu bilden. Schon am Abend vorher waren Struve und Hecker Gegenstand stürmischer Ovationen geworden, nachdem sie in dem großen Saale des „Weidenbuschs“ einen Teil ihrer Zuhörerschaft für ihr Ideal in helle Begeisterung versetzt hatten. Jetzt saßen ihre Anhänger in langen Reihen auf den Emporen der Kirche – Studenten aus Heidelberg, Gießen, Marburg und Tübingen, die von den Lorbeeren ihrer Brüder in Wien träumten, feiernde Arbeiter, die der Zauber kommunistischer Zukunftsbilder geblendet, wehrhafte Männer aus der Hanauer „Grafschaft“, die soeben erst mit der Waffe in der Hand den Starrsinn des Kurfürsten von Hessen gebeugt hatten. „Hie Reform – hie Revolution!“ zu diesem Gegensatz hatte sich die so maßvoll begonnene Bewegung zugespitzt und die Verhandlungen des Vorparlaments waren bestimmt, ihn zum Ausbruch zu bringen.

(Schluß folgt.)     


Antons Erben.

Roman von W. Heimburg.

 (6. Fortsetzung.)


Das Wäldchen, in welchem Edith auf den heimkehrenden Schloßherrn wartet, ist eigentlich nichts weiter als eine große sogenannte Remise, ein Freihafen für Hasen und Kaninchen, die Schutz suchen gegen Raubzeug und Wilddiebe, und in die zuweilen auch einmal ein Reh hinüberwechselt. Eine viertel Wegstunde lang zieht sich der Waldstreifen aber doch wohl hin; im Frühjahr giebt’s dort Maiblumen und Nachtigallen, und im Sommer kühlen Schatten und viel Mücken, aber reizend ist es eigentlich immer dort. Auch heute. Am Wege, der mitten hindurch führt, nicht schnurgerade, sondern anmutig sich schlängelnd, damit er dem Auge verbirgt, daß er so kurz ist, wehen Haselnußkätzchen im leichten Winde, und aus dem dürren Buchenlaube am Boden sprießen Leberblümchen und Anemonen in üppiger Fülle. Hohe, stattliche Bäume stehen da, unter manch einem auch eine Bank, und dort, wo der kleine Hügel sich erhebt, da ist sogar eine Art Friedhof, dort haben die Wartaus ihre vierbeinigen Freunde begraben, stolze Pferde, treue Hunde, die sie liebten. Edith erinnert sich, wie sie einst so bitterlich geweint hat an dieser Stelle um den schwarzbraunen Teckel, der ihr gehörte und von einem Erntewagen überfahren wurde.

Oben auf der kleinen Böschung steht eine Eiche, und von dieser aus kann man den Feldweg übersehen, der zwischen Settwitz und Wartau dicht hier vorüberführt. Hier oben wartet sie, hier muß er sie sehen, wenn er nicht blind ist. Sie hat den Filzhut von der heißen Stirn gerissen und das Jackett geöffnet, ihre Lippen sind trocken vor Aufregung. Ein paarmal zuckt sie zusammen, als ein Gefährt sichtbar wird ganz weit dahinten an dem Hügel, aber immer ist’s nur ein Ackergespann; entweder kommt es langsam und klappernd näher und fährt vorüber, so langsam, daß die Arbeitsweiber darauf dem Fräulein, das ihrer nicht achthat, mit plumper Neugier ins Gesicht starren, oder es biegt vorher ab in einen andern Weg hinein. Ein paarmal kommen und gehen auch Arbeiter vorüber, müde vom harten Tagewerk. – Edith steht noch immer da und wartet.

Um ihren Mund legt sich allmählich ein Zug bitterer Enttäuschung. Er muß einen anderen Weg genommen haben oder Tante hat falsch gehört. Sie fröstelt, sie ist müde; sie nimmt den Hut von der Bank auf und will gehen. Die Leberblumen und Anemonen sind welk geworden in ihrer heißen Hand, und sie läßt sie achtlos fallen. Der Feldweg ist jetzt ganz einsam; die weite mit Wintersaat bestandene Fläche vor ihr leuchtet wahrhaft smaragdgrün in dem rötlichen Gold der untergehenden Sonne, selbst die braune Ackerkrume daneben hat einen rötlichen Schimmer. Der Himmel über ihr zeigt ein grünlich blasses Blau, das immer kälter wird, je tiefer die Sonne sinkt, und davor hebt sich die erste Sichel des Neumonds haarscharf und silbern ab.

Und jetzt taucht eine Gestalt auf und kommt mit langsamen regelmäßigen Schritten näher, sie bewegt beim Gehen nur den einen Arm, und Edith setzt sich nieder auf die Bank, denn ihr ist plötzlich, als wollten die Füße sie nicht mehr tragen. Und so bleibt sie sitzen und starrt ihm entgegen.

Er trägt den Hut in der Hand und hat den Blick gesenkt in tiefem Sinnen. Unter ihren Augen kommt er immer näher, jetzt ist er beinahe in einer Linie mit ihr, sie drüben auf der kleinen Anhöhe, er drunten am Rande des Weggrabens. Und angezogen von ihren Blicken, bleibt er stehen, sieht empor und ihre Augen begegnen sich; jeder liest in denen des andern. Sie sieht so blaß aus wie die zertretenen Anemonen zu ihren Füßen.

Ohne ein Wort zu sagen, kommt er durch den Graben die Böschung herauf geklettert und steht vor ihr. Edith erschrickt, als sie ihn in der Nähe betrachtet; er sieht alt aus, die Muskeln seines gelblichblassen Gesichtes zucken und die Augen haben etwas Fieberhaftes, wie sie nun an ihr vorübersehen, als wollten sie den ihrigen ausweichen. Dazu ist er sehr nachlässig angezogen, keine Spur mehr von der frischen angenehmen Erscheinung früherer Tage. Er mißfällt Edith in diesem Augenblicke unsäglich, ernüchtert sie geradezu.

So würde Edi nie aussehen,“ gesteht sie sich. Und mit dem Gedanken an ihn zwingt sie ihre Augen vorüber an Antons Gestalt; sie will ihn nicht bemerken in seiner augenblicklichen Verfassung, er ist krank, er leidet, er – –

„Wie kommen Sie hierher?“ fragt er. Es liegt etwas Drohendes in seiner Stimme. Und ohne eine Antwort abzuwarten, fügt er hinzu: „Ich glaubte Sie bereits abgereist.“

„Morgen erst,“ giebt sie zur Antwort und das Herz klopft ihr zum Zerspringen.

„So! Gehen Sie jetzt heim?“

„Ja, es wird schon dämmerig und Tante Tonette könnte mich vermissen. Wenn ich nicht störe, komme ich mit.“

Er zuckt die Schultern. „Ich bin kein angenehmer Gesellschafter, gnädiges Fräulein; aber wenn Sie Nachsicht üben wollen,“ erwidert er und tritt zurück, um sie auf dem schmalen Pfad voran gehen zu lassen, der von der Böschung abwärts zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0210.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)