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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

welcher die Sultane ihren Thron errichtet haben, nach dem auf der anderen Seite des Hofes gelegenen Gebäude, welches das Interessanteste des alten Serails, die Schatzkammer, birgt. Unter den Kolonnaden dieses ansehnlichen Baues prangen kostbare Waffen der verschiedensten Art, deren Beschreibung allein ein Buch füllen würde. Der ganze Stab des Hofmarschallamtes, etwa dreißig Sekretäre und Adjutanten, scheint bei fremden Besuchen der Schatzkammer aufgeboten zu werden. Staunen erfaßte mich, als ich den durch beide Stockwerke reichenden, mittleren Saal betrat, denn er ist bis an das Dach hinauf mit den kostbarsten Schätzen gefüllt, wie sie Aladin mit seiner Wunderlampe kaum schöner und reicher gesehen hat. Die mächtigen Glaskästen strotzen von den herrlichsten Goldgefäßen, Schmucksachen, Schwertgriffen, Waffen, Geschirren, Dosen, Vasen, Kästchen, Statuen, Decken, Sätteln, Turbanen, Spiegeln und tausenderlei Gegenständen, die alle mit den wundervollsten Edelsteinen bedeckt sind. Rubine und Saphire von der Größe der Taubeneier, Diamanten, Perlen und Smaragde liegen in kleinen Häuflein zusammengeworfen, Decken von mehr als zwei Quadratmetern Größe sind mit den schönsten Perlen besät, daß man kaum den Stoff unter ihnen erkennen kann, an Dolchen prangen Handgriffe, aus einem einzigen Smaragd bestehend, fingerlange Figürchen besitzen als Rumpf eine einzige Perle, aus faustgroßen Türkisen wurden Trinkgefäße geschnitten, die hier neben goldnen Wasserkrügen stehen, so dicht mit Rubinen besetzt, daß sie, aus einiger Entfernung betrachtet, ganz rot erscheinen. Dabei ein Glühen und Blitzen und Funkeln und Strahlen überall, daß das Auge geblendet wird! Das kostbarste Stück dieser Sammlung dürfte der von den Persern erbeutete Thron sein, der ganz aus reinem Golde besteht und mit den herrlichsten Edelsteinen bedeckt ist (vergl. Abbildung S. 244). Wohin man sich auch wenden mag, in die Nebensäle, auf die Galerien, überall blitzen die kostbarsten Geschmeide im Werte von vielen Millionen! Sie bilden aber nur einen Teil des Juwelenschatzes des Sultans; denn mehr noch von den gleißenden Geschmeiden blitzen an den Nacken und Armen der Haremsdamen in den Gärten jenseit des Goldenen Horns, im Yildiz-Kiosk.

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Die Wohnung der kaiserlichen Witwen.

Für die Mohammedaner enthält das alte Serail jedoch einen noch größeren Schatz als all diese hier in Gold und Edelgestein aufgestapelten, nutzlosen, toten, kalten Millionen. Als ich verwirrt und geblendet aus der Schatzkammer trat, zeigte man mir auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes den Pavillon Hirka-Scherif-Odassi, in welchem das größte Heiligtum des Islam, die heilige Fahne des Propheten und sein Mantel, aufbewahrt wird. Einmal im Jahre, am fünfzehnten Tage des Rhamadanfestes, werden diese Gegenstände unter dem denkbar größten Ceremoniell in Gegenwart des Sultans aus ihren kostbaren Hüllen genommen und dadurch geehrt, daß der Sultan sowie alle Hofwürdenträger und Großen des Reiches den Saum des Mantels küssen. Nach jedem Kusse wird der Mantel mit kostbaren Seidentüchern abgewischt, und diese selbst bleiben den Teilnehmern an dieser Ceremonie zur Erinnerung. Möge die heilige Fahne des Propheten noch lange Jahre in ihren vierzig seidenen Umhüllungen bleiben, denn ein furchtbarer, fanatischer Glaubenskrieg würde entbrennen, wenn sie jemals wieder entfaltet werden sollte!

Nicht weit von diesem Kiosk erhebt sich ein zweiter, ohne Fenster und mit einer eisernen Thür verschlossen. Er ist der berüchtigte Vogelkäfig, in welchen die Sultane ihre Brüder und Vettern einsperrten, um ihnen so die Möglichkeit zu nehmen, nach ihrem Thron zu trachten. Dort weilten sie wie Lebendigbegrabene, bis der Ruf der aufständischen Janitscharen sie zu Sultanen machte, oder – bis der Scharfrichter sie aus dem Wege räumte. Hier war auch Sultan Abd-ul-Aziz eingesperrt während der wenigen Tage, die zwischen seiner Thronentsetzung 1876 und seinem tragischen Tode lagen. Er war der letzte Sultan, der diesen Kiosk bewohnte. Wer mag ihm in Zukunft noch folgen? Hier war es auch, daß Ibrahim der Schreckliche 1648 seinen Tod fand. Seiner Blutthaten müde, rissen seine Agas ihn von dem Thron und zerrten ihn in dieses Gefängnis. Hier ließen sie ihn in Gegenwart von zweien seiner Frauen und seines ganzen Hofes erdrosseln!

Rings um diesen Kiosk schreitend, gelangte ich in den reizendsten und intimsten Teil des alten Serails, in jenen Blumengarten, darinnen die Privatwohnungen der Sultane,der kaiserlichen Prinzen und der Haremsdamen gelegen sind. Eine ganze Reihe von geheimnisvollen Kiosken in verschiedenen Stilarten, mit bedeckten Veranden, mit verhängten Fenstern und verschlossenen Thüren erhebt sich dort im Schatten uralter Platanen und Cypressen, umgeben von üppigen Blumenbeeten, von Marmorterrassen und Springbrunnen, heute verlassen, aber noch vor einem Menschenalter der Schauplatz so üppigen, glänzenden und reichen Wohllebens, wie wohl nirgend anders im weiten farbenprächtigen Orient. Hier in diesen Miniaturpalästen wohnten Hunderte der schönsten Frauen, welche das große türkische Reich aufzuweisen hatte. Aus allen Provinzen bis weit hinein nach Asien und Afrika wurden die Schönsten der Schönen, die begehrenswertesten, reizendsten, geistreichsten ausgesucht als Spielzeug und Zeitvertreib des Großherrn. Hier hauste die Sultana Valide, die Mutter des Padischah, mit ihrem Hof von Hunderten von Ustas (Hofdamen) als angesehenste und oberste des ganzen Harems; hier besaß jede der vier Kadina (offizielle Frauen des Padischah) ihren entzückenden Kiosk mit einem Heer von Intendanten und Sklavinnen; hier wohnten die Unterfrauen oder Gediklu, von denen die zwölf schönsten den Dienst beim Sultan verrichteten, mit hundert Schagirt oder Novizen, welche von eigenen Lehrern in Musik und Tanz und Märchenerzählen unterrichtet wurden. Inmitten dieser üppigen weiblichen Welt, umgeben von allem Glanz, allen Genüssen, welche das Herz sich nur wünschen konnte, lebte der Großherr wie in einem Garten der Hesperiden. Aber je mehr diesen Sultanen von allen weltlichen Freuden zu Gebote stand, desto unzufriedener, unglücklicher waren sie, und selbst bis in diese geheimsten Stätten der Hofhaltung drangen die Intriguen und hatten Verbrechen der schrecklichsten Art im Gefolge. Viele von den Palästen und Kiosken sind längst verschwunden, und von den berühmten Schönheiten, den armenischen oder georgischen oder griechischen Odalisken, deren Launen den Sultan und durch ihn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0246.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2020)