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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

ein gutes Stück der Alten Welt regierten, ist kein Stäubchen mehr übrig. Nur einer der Kioske ist noch in seiner ganzen Pracht erhalten, der von Murad erbaute Bagdad-Kiosk (vergl. Abbildung S. 244), in dessen entzückenden Räumen ich mir im Geiste die Herrlichkeiten und Reize der verschwundenen Haremswelt vor Augen zaubern konnte. Ganz im türkisch-persischen Stile gehalten und ebenso eingerichtet wie zur Zeit der großen Sultane, als hätten sie und ihre Favoritinnen ihn erst gestern bewohnt, führt er das einstige Hofleben des alten Serails viel lebhafter vor Augen als der letzte Kiosk, der mir gezeigt wurde, jener von Abd-ul-Medschid. Dieser schon von der abendländischen Kultur beeinflußte Sultan ließ ihn in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts ganz nach dem Muster unserer modernen Sommerpaläste erbauen und mit reichen französischen Möbeln einrichten. Hier in diesen modernen Räumen wurden uns auf Befehl des Sultans in goldenen juwelenbesetzten Tassen Kaffee und Fruchtwässer dargeboten, und, kaiserliche Cigaretten rauchend, konnten wir auf der Terrasse des Kiosks das wunderbare Panorama von Konstantinopel genießen, das sich von keinem Aussichtspunkte so schön zeigt wie von hier.

Ringsum herrschte Ruhe, keine Seele zeigte sich auf den einsamen schattigen Wegen des weiten Gartens, in dessen Mitte wir uns befanden, aber dennoch lenkten sich meine Blicke unwillkürlich nach den verschiedenen Bosketts, um irgendwo den Arm, das Kleid einer Haremsdame zu entdecken, oder nach den verschlossenen Pavillons, ob sie nicht doch noch von schönen Odalisken bewohnt seien. In einem derselben, der in üppigem Grün versteckt ist (vergl. Abbildung S. 246), wohnen ja noch heute die Witwen der Sultane.

In Wirklichkeit ist das Los der Sultansfrauen traurig, ebenso wie das der Tausende und aber Tausende ihrer Vorgängerinnen, und würden sie die Geschichte dieser Räume kennen, die mit blutiger Schrift auf jeder Mauer, jedem Stein geschrieben steht, sie würden das größte Elend dem traurigen Prunke vorziehen, der sie jetzt umgiebt. In denselben Räumen verbargen vielleicht in vergangenen Zeiten Sultanas ihre thränenden Augen in goldstrotzenden Kissen, um nicht ihre in Blut schwimmenden Kinder zu sehen, die auf Gebot des Großherrn in ihrer Gegenwart getötet wurden; in denselben Räumen wüteten die Janitscharen, rissen die Sultansfrauen bei den Haaren aus ihren Verstecken und stießen ihnen das Schwert in den Leib; in denselben Räumen herrschte inmitten der Pracht nur Neid, Haß und Eifersucht, und ein Augenblick des Wahnes wurde mit einem Leben voll Bitterkeit und Unglück bezahlt, das auch die kostbarsten Geschmeide, die feinsten Gewänder und ein Heer von Dienern nicht gutmachen konnte. Mahmud II floh diese herrlichen, verfluchten Räume und Sultan Abd-ul-Hamid II verlegte, wie schon oben erwähnt, seinen Wohnsitz noch weiter weg, in neue Paläste, in ein neues Serail. Wollte er hier ein neues Leben beginnen? Die Geschichte der letzten Jahre, die Niedermetzlung der Armenier, die fragwürdigen Zustände am Hofe des Sultans geben die Antwort. Oder trägt er keine Schuld daran? Ist er nicht selbst vielleicht der Sklave seiner Umgebung, der Sklave der Ueberlieferungen? In der modernen Zeit sind diese Ueberlieferungen aus der alten despotischen Zeit nicht mehr zu halten, und wie lange wird es dauern, bis das alte Serail ebenso verschwunden sein wird wie der griechische Kaiserpalast, aus dessen Trümmern es gebaut wurde! Dieselben stummen, unvergänglichen Steine, die den Griechen und den Osmanen gedient haben, werden vielleicht in nicht zu ferner Zeit neuen, der Humanität gewidmeten Bauten dienen, und den fremden Touristen, welche die herrlichste aller Städte im kommenden Jahrhundert besuchen werden, wird man nur noch die Stelle zeigen können, wo das alte Serail, die Residenz von fünfundzwanzig Sultanen, einstens gestanden hat.




Die Herstellung der Briefmarke.


Es giebt in der Welt kein weiter verbreitetes Wertpapier als jene kleinen bunten Zettelchen, mit denen der civilisierte Mensch seine Postbehörden für die schnelle und richtige Beförderung seiner Brief- und Paketsendungen bezahlt. Ihre Herstellung muß daher in den Kulturstaaten in einem um so größeren Umfange betrieben werden, als jede Marke sofort nach der ersten Benutzung entwertet wird, während andere Wertpapiere nacheinander in tausend Hände kommen, bevor die allmähliche Abnutzung sie diesem Dienste entzieht. Vor wenigen Jahren hatte die Post von Frankreich eine Jahreseinnahme von 135 Millionen Mark, die englische Post nahm 200, die deutsche 230 und diejenige der Vereinigten Staaten 285 Millionen Mark ein, die allenthalben durch den Verkauf von Briefmarken und sonstigen Postwertzeichen im Betrage weniger Cents oder Pfennige eingebracht wurden. Die Anzahl der Briefmarken, welche diesen ungeheuren Werten entsprechen, dürfte sich in den genannten vier Staaten auf zwölf Milliarden (12 000 000 000) Stück belaufen, von denen ein Dritteil auf die Vereinigten Staaten entfällt und jedes Jahr von neuem hergestellt werden muß. Die Herstellungskosten beliefen sich in dem letzteren Staatenverbande alljährlich auf 150000 Dollar (600000 Mark), in welcher Summe neuerdings noch eine Ermäßigung eingetreten ist, nachdem die Regierung der Vereinigten Staaten die Fabrikation ihres Markenbedarfs aus Privathänden in ihre eigene Verwaltung übernommen hat. Die bei dieser Gelegenheit eingerichtete und mit den neuesten technischen Fortschritten ausgerüstete Markendruckerei der Union ist es nun, von welcher wir unseren Lesern ein Bild geben wollen.

Vorher sei es jedoch gestattet, einiges über die ihren Zwecken aufs beste entsprechende Briefmarkenfabrikation der Deutschen Reichspost mitzuteilen.

Die Reichsdruckerei zu Berlin ist die Anstalt, in deren Räumen neben Reichskassenscheinen und Reichsbanknoten auch die Briefmarken das Licht der Welt erblicken. Wir sehen, nachdem wir uns die Erlaubnis zur Besichtigung der betreffenden Räume erbeten haben, zunächst die Maschine, in der das von den Rollen laufende Papier das stets wieder sichtbar zu machende geheime Wasserzeichen erhält. Daran reiht sich eine Gummiermaschine, ein Trockenraum, in dem die endlosen Papierstreifen mehrmals langsam hin und herlaufen, eine Maschine zum Glätten und endlich zum Aufrollen des noch immer im Ganzen befindlichen Papieres. Erst jetzt wird dasselbe in Bogen für je 400 Marken zerschnitten und geht unter die Markendruckmaschine, welche jedem Bogen, wenn er mit Zehnpfennigmarken bedeckt wird, einen Wert von 40, bei Zwanzigpfennigmarken aber von 80 Mark im Handumdrehen erteilt. Mit der Herstellung der meistbegehrten Zehnpfennigmarken ist eine Maschine tagaus, tagein vollauf beschäftigt. Aber die Marken sind mit dem Druck noch nicht zur Ablieferung fertig, es fehlt ihnen noch die Perforierung. Von Mädchen bediente Maschinen versehen die Bogen mit jenen Reihen kleiner Löcher, welche die einzelnen Marken voneinander trennen und das Abreißen erleichtern, dann werden die Markenbogen nebst dem Ausschuß zur Buchung abgeliefert. Eine möglichst weitgehende Arbeitsteilung, welche dasselbe Stück nacheinander durch viele Hände gehen läßt und eine starke gegenseitige Kontrolle zur Folge hat, ist die Vorbedingung, um bei der Fabrikation Unterschleife zu verhüten.

Doch wir kommen jetzt auf die neue Markenfabrik der Unionsregierung in Washington zurück.

Da auf die saubere und vollendete Ausführung des Markendruckes in den Vereinigten Staaten viel Wert gelegt wird – man betrachte nur die 1893 in ungeheuren Mengen in Umlauf gesetzten, hübschen Columbischen Marken, von denen jede einzelne ein kleines Kunstwerk des Kupferdruckes ist – so erfordert naturgemäß die Herstellung der Platten, von denen die Marken später abgedruckt werden, besondere Sorgfalt. Die Kupferplatten, welche beim Drucke als Matrizen dienen, sind mit der sauberen Gravur von je 400 in Reihen angeordneten Briefmarken bedeckt, deren Abdruck zunächst auf einen großen Bogen erfolgt, der dann wieder in vier kleinere Bogen, zu je 100 Marken, zerschnitten wird. Jede von den sechs Pressen, welche augenblicklich in der amerikanischen Bundesdruckerei im Betrieb sind, arbeitet mit vier Platten gleichzeitig, vermag also mit einem Schlage 1600 oder in jeder Minute 16000 Marken zu drucken. Arbeiten alle Pressen gleichzeitig, so können in jeder Stunde etwa 60000 und an jedem Tage 600 000 Bogen (zu je 100 Marken) hergestellt werden, die als Postwertzeichen die Kleinigkeit von 5 Millionen Mark darstellen. Allerdings wird selten mit solchem Hochdruck gearbeitet.

Auf den Pressen selbst nun gehen die verschiedensten Prozesse fast ohne Mithilfe des Arbeiters, aber mit erstaunlicher Geschwindigkeit vor sich. Eine „endlose“ Kette ergreift die Kupferplatte, schiebt sie unter eine mit Farbstoff (Karmin oder Ultramarin) imprägnierte Walze, und die Farbe ist in einem Augenblick über die ganze Platte verbreitet, welche sich bereits weiterbewegt und nun unter ein automatisch sich drehendes Reibekissen gelangt. Hier wird die Farbe in die gravierten Vertiefungen hineingerieben und, nach einem abermaligen Vorrücken der Platte, der Ueberschuß an Farbstoff durch einen Arbeiter mit einem geschickten Handgriff beseitigt. Auch zu dieser Manipulation giebt es nur einige Sekunden Zeit; schon wird die Platte weitergeführt und gelangt jetzt in die eigentliche Presse, wo ein Mädchen bereits einen Bogen ausgebreitet hat, der im nächsten Augenblick mit 400 überaus sauberen Markenabdrücken bedeckt ist. Da jede Maschine vier Platten besitzt, so spielen sich die geschilderten Prozesse in ununterbrochener Folge und mit bewunderungswerter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0247.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)