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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

gar nichts von ihm, Lotte? Ich möchte doch wissen, wie es ihm geht und ob er glücklich ist.“

„Du willst – von ihm – von Mohrmann?“ sagt die Schwester.

„Ja, Lotte! Ich denke ja fortwährend an ihn; ich gehöre nicht zu denen, die da verächtlich thun, wenn ihnen ein Leid geschah durch den Mann, den sie lieben, so als ob sie ihn haßten und ihn eigentlich all ihr Lebtag nicht gemocht hätten. Ich gestehe dir ganz offen, jede Minute meines Lebens ist er mir gegenwärtig, ich denke immer, ob er denn glücklich ist und gut versorgt. Also sprich nur ruhig von ihm, Lotte!“

„Du lieber Gott,“ seufzt die Schwester. „So bist du nun, und er, der weiß ja wohl gar nicht mehr, daß du existiert hast –“ will sie sagen, verschluckt es aber. „Was soll ich da reden?“ fragt sie dann, „das thut dir ja nur weh; laß uns lieber –“

„Mir thut noch weher, gar nichts mehr von ihm zu hören,“ antwortet leise die einsame Frau.

„Na, wie du willst. Er hat sie also geheiratet, das Fräulein Edith; sie haben den Superintendenten aus der Stadt gebeten, sie zu trauen, weil sie natürlich Robert nicht darum angehen konnten. Es ist eine kleine Hochzeit gewesen, ich glaube, nur die Altwitzens und ein paar Freunde der alten Fräuleins als Trauzeugen. Sie sind auch nicht in die Kirche gekommen; im großen Saal ist die heilige Handlung vollzogen worden, na – das ganze Schloß ist ja umgebaut und restauriert, die Heine sagt: ,feenhaft!’ Aber es hätte auch ’nen Groschen gekostet – Fräulein Tonette hat alles angegeben. Der Brautstand soll ja so ein bißchen sonderbar gewesen sein, und jetzt sieht man das Ehepaar auch nicht viel zusammen. Die junge Frau fährt jeden Tag hoch vom Bock ihren Dogcart, hinten auf den Diener. Sie haben natürlich, als sie von der Hochzeitsreise kamen – ja so! – Also, denke dir, diese Edith hat doch zu sonderbare Ideen: ließ sich in einem schwarzen Sammetkleid trauen, so’n junges Ding! Und dann gingen sie nach Venedig und da herum. – Siehst du, darüber habe ich mich auch so geärgert, Christel, mit dir ist er nie gereist, aber da kommt nun so eine kleine Gans und –“

Christel hat ganz stumm gesessen; jetzt legt sie beschwichtigend die Hand auf den Arm der Pastorin. „Wenn sie ihn nur glücklich macht, Lotte, das andere, das ist – – weißt du davon nichts?“

„Nein, das weiß ich nicht, natürlich nicht. Wer kann in einen Menschen hineinsehen, Christel? Er kommt mir sehr ernst aussehend vor, und die Heine sagt, er wäre nicht mehr so freundlich wie früher. Aber natürlich – jetzt, da soll er ja strahlen, jetzt, wo der Bube da ist, der – der –“

Sie hält erschrocken inne, denn die Schwester ist emporgeschnellt, wie vom Biß einer Schlange.

„Um Gotteswillen,“ schreit die nervöse Pastorin, „was ist dir denn?“ Aber Christel antwortet nicht, nur so ein dumpfer Laut kommt aus ihrer Kehle, und im nächsten Augenblick ist sie in die Schlafstube verschwunden und schließt hinter sich zu.

„Ach du liebe Zeit,“ jammert die Zurückbleibende leise, „hätt’ ich doch nur gar nicht gesagt, daß sie ein Kind haben auf dem Wartauer Schloß! Da thut sie so still und vernünftig, und nun fällt sie wohl gar noch in Ohnmacht. Christel!“ ruft sie an der Thür, „Christel, mach’ auf! Sei doch vernünftig, Kind!“

Aber Christel hört es gar nicht; sie sitzt in dem alten Sessel vor ihrem Bette und beißt die Lippen sich blutig und will mit schluchzender Seele Herr werden über ihr armes hungerndes neidisches Herz. Nicht in der Stunde, da sie den unseligen Brief las, nicht in der, wo sie Wartau verließ für immer, hat sie diesen heißen Schmerz empfunden wie jetzt. Ach, sie ist so schlecht, so schlecht, sie gönnt der andern nicht das Glück! Sie möchte sterben in diesem Augenblick! Sie will nicht weiter leben in dieser Oede, sie ist ja gar nicht so stark wie sie thut, ist gar nicht so resigniert wie sie selber geglaubt; sie ist ein einsames, elendes verstoßenes Geschöpf!

Und so sitzt sie lange, lange, nichts weiter fühlend als den heißen brennenden Schmerz in ihrer Seele.

Dort an der Thür klopft es jetzt mit hartem Finger. „Die Abendmilch ist herein!“ schreit Marie.

Christel taumelt empor und kühlt die Augen mit Wasser, und streicht das verwirrte Haar. „Weiter!“ sagt sie, „immer weiter, so lange es geht, aber – wozu eigentlich?“ Und als ihre Arbeit im Milchkeller gethan ist, wirft sie ein Tuch über den Kopf und wandert über den Hof ins Freie hinaus, und dort steht sie unbeweglich und sieht zum Himmel empor, an dem Millionen Sterne funkeln. Und da erst kommt allmählich ein wenig von ihrer alten Ergebung und Demut zurück.

Als sie zurückkehrt, ist sie äußerlich so ruhig wie immer, aber ihre Augen sind heiß vom Weinen, und an den Schläfen schimmern dunkelblau die Adern.

„Verzeih mir, Lottchen,“ bittet sie, „ich hatte – mir war auf einmal so schlecht geworden. Und nun erzähle mir noch rasch – ist die junge Frau gesund? Und wie alt ist denn jetzt der Junge?“

Die Pastorin streichelt ihr die Hand. „Zehn Tage just,“ sagt sie mitleidig, „und sie sind alle putzmunter. Und nun laß doch, Christel!“

„Ach nein, ich bin ja wieder ganz wohl, Lotte; hast du gehört, wem er ähnlich sieht?“

„Ihm nicht! meint der Doktor; schlägt in die Wartausche Familie, und aufgezogen wird er wie ein Prinz. Eine Amme haben sie, und eine Kinderfrau, und Fräulein Tonette thut, als sei sie die leibhaftige Großmutter – na, überhaupt – – ich kenne ja Mohrmanns Vermögensverhältnisse nicht so genau, aber er muß sehr reich sein, wenn er das Leben aushalten will, wie er es jetzt führt.“

Christel sieht sie ganz erschreckt an. „Ach ja,“ sagt sie, „er kann’s schon aushalten, Lotte, aber – er ist doch sonst so einfach und so sparsam.“

„Er – ja! Aber die Damen! Ach, geh’ her, Christel, laß uns von andern Dingen reden, bitte, bitte! Was kümmern dich die Wartauer noch? Ich habe mir, indes du draußen warst, das Haus angesehen; es ist so nett altmodisch, aber die drei schönen großen leeren Zimmer droben thun mir leid; du hast ja nur diese zwei hier unten eingerichtet außer der Gaststube?“

„Ja! brauchte ich denn mehr, Lotte?“

„Nein, du nicht, aber –. Ich wüßte schon was ich thäte, Christel, ich nähme mir junge Mädchen ins Haus und lehrte sie die Landwirtschaft! Da hättest du noch viel mehr Arbeit und wärst nicht so allein, dächtest nicht soviel an Vergangenes und überhaupt –“

Christel sieht nachdenklich an der Schwester vorüber, dann schüttelt sie den Kopf. „Ich habe meine Einsamkeit lieb; laß sie mir, Lotte.“

„Aber es brächte was ein, Christel.“

Da sieht Christel sie wieder an mit dem wehen Blick von vorhin. „Wozu? Ich habe genug für mich – allein.“




Am folgenden Tage lernt Frau Pastorin die Wirtschaft kennen, fünfzehn schmucke Kühe, vier Pferde, dazu Schweine, Hühner, Enten, Gänse, und die Scheuern und Kornböden wohlgefüllt. Auf der Tenne wird noch nach alter Art mit dem Flegel gedroschen, der Dreischlag klingt anheimelnd über den stillen Hof. Die Gespanne sind auf dem Felde, im Milchkeller schlägt Christel selbst die Butter aus; der Buttermann sitzt schon droben im Hausflur und wartet auf die herrliche frische Ware.

Rödershof-Butter ist so beliebt, versichert er, er könne gar nicht genug schaffen. Ein Schock Eier nimmt er obendrein mit; er bezahlt bar und Christel streicht gelassen das Geld ein.

Die Morgenmilch wird verbuttert; die Mittags- und Abendmilch geht in großen wohlversicherten Blechkannen nach Dresden. Christel erklärt der Schwester dies mit matter Stimme; sie hat die Nacht wenig geschlafen, auch ihr Aussehen und ihre Bewegungen sind müde.

„Bist du krank?“ fragt die Pastorin.

„Warum denkst du das?“ fragt Christel.

„Ich meine nur so – gestern warst du anders.“

„Das machte die Freude, dich zu sehen, Lottchen,“ weicht Christel aus. „Ich bin ganz gesund, ganz gesund!“ Und sie holt ihre Bücher und zeigt der Schwester, daß sie trotz allem schweren Anfang schon einen kleinen Ueberschuß hatte im letzten Jahre.

„Ach, mein liebes Christel,“ beginnt die Pastorin wieder,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0251.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2020)