Seite:Die Gartenlaube (1898) 0255.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

unvermeidlichen Konfliktsfragen „Reform oder Revolution“, „konstitutionelle Monarchie oder Republik“ drängten mit Ungestüm auf Entscheidung. Der Kampf war entfesselt, dessen Ausgang die bisherigen Führer der Bewegung für immer auseinander reißen mußte. Heinrich Laube hat in seinem Buch „Das erste deutsche Parlament“ die Leidenschaft, mit der Welcker in diesem Kampfe das Programm der „Siebener“ verteidigte, als Rechthaberei, und die Vermittlungsversuche des alten Itzstein zwischen den Parteien als Machenschaften verurteilt; er that es ohne die Kenntnis der sich jetzt tragisch zuspitzenden Vorgeschichte des Kampfes,

Karl Vogt.
Nach der Lithographie von Ph. Winterwerb.

H. K. Jaup.

ohne Ahnung davon, in wie hohem Grade die Herzen dieser Männer an dem Kampfe beteiligt waren. Welcker sah durch das stürmische Vorgehen der „entschiedenen“ Republikaner den großen Plan der Bundesreform, wie er ihn seit der Jugendzeit in der Seele getragen, um dessen willen er neuerdings mit Widerstreben selbst Mitglied des „Bundestags“ geworden war, gerade im Augenblicke seiner endlichen Verwirklichung bedroht; Itzstein, der seinerseits wohl die Republik für die wünschenswerteste Staatsform hielt, aber fühlte, daß die deutschen Zustände für ihre Verwirklichung zur Zeit nicht reif seien, sah mit Trauer die schöne Gemeinschaft Gleichstrebender in Trümmer gehen, als deren Leiter er sich bisher mit Stolz hatte fühlen dürfen.

Im Anfang der durch Struves Antrag entfesselten Debatte hielten sich die persönlichen Stimmungen noch zurück. Es zeigte sich sofort, daß für die Erklärung, die jener verlangte, in der Versammlung wenig Neigung war. Auch die Anhänger Struves, welche, wie der Sachse Schaffrath, für die Verweisung des Antrags an eine Kommission eintraten, bekannten sich nicht direkt zu dem Inhalt desselben, und selbst Hecker vermied es, für die Proklamierung der Republik zu sprechen. Er begnügte sich, mit dem ihm eigenen Feuer der „Permanenz“ der Versammlung das Wort zu reden. Er berief sich auf das Volk – es erwarte, daß die Versammlung beisammen bleibe, um jeden Versuch einer Reaktion zu verhindern. „Wenn wir nicht beisammen bleiben,“ rief er unter dem Beifall der Galerien, „und so nicht die einzige Drohung, die uns auf legalem Wege zu Gebote steht, gebrauchen, so haben wir die Sache der Freiheit um fünfzig Jahre zurückgeschoben!“ Mit Schärfe kritisierte er dann das „Siebener“-Programm und das Verfahren, die Oberhauptsfrage an die Spitze zu stellen. Er fand darin erfolgreiche Unterstützung durch den Rheinländer Wesendonck aus Düsseldorf. „Man soll nicht mit dem Dach anfangen,“ rief dieser, „ehe man ein Fundament hat, und nicht die Rechte der Fürsten zur Diskussion bringen, ehe von den Rechten des Volkes die Rede ist!“ Lebhaft trat Bassermann im Interesse der „Reform“, der Frankfurter Reinganum vom demokratischen Standpunkt aus für eine Durchberatung sowohl des

Der Fackelzug auf dem Roßmarkt in Frankfurt a. M. zu Ehren des Vorparlaments.
Nach einer gleichzeitigen Zeichnung von Braun.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0255.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)