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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Antons Erben.

Roman von W. Heimburg.
(8. Fortsetzung.)


Im obersten Geschoß des Wartauer Schlosses sind die Kinderstuben. Man hat nicht mehr genug an einer, denn vor drei Monaten ist ein Zwillingspärchen hinzugekommen zu dem Stammhalter, ein Mädchenpaar mit blondem Flaum auf den Köpfchen und den blauen Augen des Vaters.

Frau Edith Mohrmann plant ein großes Fest für die Taufe. Ihre Freundin Ma ist auf Besuch in Wartau, ebenfalls mit einem Kleinen; Edith hat sie gebeten, die Zeit während eines Kommandos ihres Gatten nach der Reichshauptstadt hier zuzubringen, und die hübsche junge Strohwitwe ist dieser Einladung mit vieler Freude gefolgt. Es ist aber auch geradezu entzückend auf Wartau, ein Aufenthalt, wie geschaffen, um sich zu erholen von dem knappen Garnisonsleben, in dem das Wirtschaftsgeld nie reichen will. Frau Ma hat hier bereits rote Wangen bekommen und das blasse Stadtkindchen quillt in der frischen Luft und bei der unverfälschten köstlichen Milch auf wie ein kleiner Pfannkuchen. Die Kinderfrau Ediths ist aber auch so vorzüglich, die beiden jungen Mamas brauchen sich thatsächlich um nichts zu kümmern. Gehegt und gepflegt wird das keine Gelichter, als wären es Fürstenkinder, und zu allem Ueberfluß wohnt dort oben Tante Tonette, die schier verliebt ist in den Aeltesten Ediths, in den kleinen Lothar, der äußerlich und innerlich ein echter Wartau zu werden verspricht und lachhaft dem Porträt ähnelt, das seinen Urgroßvater Lothar von Wartau als Kind darstellt.

Ja, Tante Tonette ist auf dem Gipfel ihrer Wünsche angelangt. Sie hat mit Vergnügen ihre Stuben im ersten Stock geräumt und ist nach oben gezogen in das Napoleonszimmer, denn Wartau ist wiedererstanden in allem Glanz vergangener Zeiten, Wartau ist der Brennpunkt der Geselligkeit im ganzen Umkreise; nirgends wird ein Haus in so vornehmem Stil geführt, nirgends giebt es eine so geschmackvolle Einrichtung, nirgends eine so bezaubernde Hausfrau wie hier, und – pflegt die alte Dame im stillen hinzuzusetzen – er stört ja nicht, er ist mit allem zufrieden.

Emma von Lattwitz und Edith sitzen auf der Terrasse unter rotgestreiftem Leinendach und unterhalten sich. Edith ist eine wunderschöne Frau geworden, voll aufgeblüht, groß und schlank. Sie trägt ein scheinbar sehr einfaches Batistkleid, aber die Stickerei läßt ein Unterkleid von gelber Seide durchschimmern, und wenn sie sich bewegt, rauscht diese Seide. Ma, neben ihr, ist in marineblaues Leinen gekleidet, Matrosenbluse und Rock mit weißen Litzen besetzt, sehr einfach, sehr billig, aber sie kann sich trotzdem neben Edith sehen lassen. Ihre Hände arbeiten fleißig an einem Kleidchen für das Kleine.

Man hat Thee getrunken trotz der Hitze; die zierlichen, echt japanischen Täßchen stehen da noch neben der silbernen Kanne und dem Kesselchen, dessen Spiritusflamme heruntergeschraubt ist. Eine große Schale purpurroter Rosen ist etwas zur Seite geschoben, um Edith Platz zu schaffen: sie schreibt in einem Notizbuche.

„Ich freue mich furchtbar,“ sagt sie eben, „und ich begreife nicht, daß ihr alle so kalt bleibt bei meiner Idee, ein Gartenfest im Rokokostil abzuhalten. Du ziehst ein sauersüßes Gesicht, Ma, und Tante Tonette meint, es würde Josepha unsympathisch sein, die sich nun endlich huldvoll herablassen will, zur Taufe auf Wartau zu erscheinen – mein Gott, wenn’s ihr nicht paßt, dann mag sie wieder abreisen, ich sehe nicht ein –“

„Di, ich freue mich ja schon, aber ich glaube, deinem Manne ist’s nicht recht, wenigstens vorhin bei Tische –“

„Anton?“ fragt Edith verwundert, „beste Ma, du siehst Gespenster! Uebrigens, was geht dich das an, wenn Anton sich ausschweigt über irgend eine Angelegenheit?“

„Aber, Edith, er ist doch der Hausherr, und ich möchte nicht, daß er glaubt, ich bestärke dich in deinen extravaganten Einfällen.“

„Extravagante Einfälle? Diese harmlose Sommermaskerade?“

„Na, ich danke!“ sagt Ma ernsthaft, „ich möchte diese harmlose Maskerade nicht bezahlen.“

„Ja, aber wie kommst du denn eigentlich auf alle diese Gedanken?“ fragt Edith. „Meinst du etwa, wir befinden uns plötzlich in so betrübenden Umständen, daß wir kein Tauffest ausrichten könnten? Oder – was meinst du?“

Ma lacht. „Ich bitte dich, Edith, davon ist gar keine Rede. Nur gestern mittag, als du zuerst von deinem Projekt sprachst, sagte dein Mann, daß ihm die Trockenheit dieses Sommers Anlaß zu schlimmen Befürchtungen wegen der Ernte gebe.“

„Ah! bah! das kenne ich! Der gute Anton kommt immer mit irgend einem Unkenruf dazwischen, wenn ich etwas Nettes will. Darauf gebe ich gar nichts mehr, nicht so viel!“ – Sie schnippst lustig mit den Fingern vor Mas Näschen. – „Im Anfang habe ich mich ein paarmal einschüchtern lassen, habe geweint und bin traurig gewesen; später kam ich dahinter, daß solche Prophezeiungen weiter keinen Zweck hatten, als ein bissel billiger wegzukommen von seinen Verpflichtungen. Das liegt so drin bei Naturen wie die seine – sparen! sparen! Das Leben zu genießen verstehen sie nicht. Jetzt höre ich es gar nicht mehr. Also, wenn das dein einziger Kummer ist, Schatz –“

„Aber, Di! Du kannst nicht leugnen, daß der diesjährige Sommer so heiß und trocken auftritt, als sei Mitteldeutschland die Sahara.“

„Und deshalb eben will ich die Taufe abends haben, Illumination des Gartens und im Naturtheater soll das Menuett getanzt werden – du wirst eine süße kleine Schäferin sein, Ma; du blau – ich rosa – zu nett!“

In diesem Augenblick tritt Anton Mohrmann in den Rahmen der Thür. Auch er hat sich verändert, vielleicht zu seinem Vorteil. Er hat nicht unbeeinflußt neben einer so eleganten Frau, wie Edith, gelebt; er ist tadellos angezogen, wenn auch schlicht und ohne Zugeständnis an Modethorheiten. Das Gesicht ist schmäler geworden, aber auf der Stirn zeigen sich ein paar Falten und die Augen haben nicht mehr den alten frohen Ausdruck; es liegt etwas Grübelndes in ihnen, als ob hinter der Stirn nicht einen Augenblick die Gedanken ruhten, allerhand quälende, nörgelnde Gedanken.

„Störe ich die Damen?“ fragt er, zieht aber nichtsdestoweniger einen Stuhl herzu und streckt die Hand bittend nach Edith aus. „Hast du noch eine Tasse Thee für einen Durstigen?“

„Nicht einen Tropfen,“ erwidert sie gelassen, macht aber weder Miene, nachzusehen, ob das Wasser noch heiß ist, noch eine frische Tasse zu bereiten. Dafür fragt sie: „Wo warst du eigentlich, Anton? Es sieht aus, als wärst du irgendwo auf den Knieen umhergekrochen.“

Er lacht plötzlich, sein ganzes Gesicht strahlt, und während er die Sandkörnchen mit dem Taschentuche von seinem Beinkleid abstäubt, sagt er: „Ich war bei den Kindern im Garten und habe für Lothar das Pferd vorgestellt, ist das ein Junge! Er bettelte so lange, bis ich ihm den Gefallen that. Der kleine Wicht kann den Unterschied zwischen Teppich und Rasenplatz eben noch nicht fassen. Ihr Fräulein Tochter, gnädige Frau, interessiert sich ebenfalls für diesen Sport, und so war ich abwechselnd Damen- und Herrenpferd.“

„Gott steh’ mir bei,“ lacht Ma, „das hätt’ ich sehen mögen! Sind die Zwillinge auch draußen?“

„Gewiß! Im ganzen vier Kinderwagen, vier Kinder und vier Aufsichtsdamen; Tante Tonette ist eben als Numero Fünf hinzugekommen.“

„O, bitte, Edith, laß uns hin,“ bettelt Ma, die eine ganz überglückliche Mutter ist.

„Später,“ wehrt diese, „es ist noch so heiß, und da du einmal hier bist, Anton – hast du die Einladungskarten bekommen?“

„Zu Befehl!“ antwortet er scherzend, aber das Lächeln ist aus seinem Gesichte verschwunden.

„Dann vergiß nicht die an Edi Waldenberg, Berlin W., Köthener Straße.“

„Natürlich nicht,“ sagt er zögernd.

Ma wird auf einmal feuerrot und dann steckt sie hastig den Finger in den Mund.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0275.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)