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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

in tiefen, wohllautenden Tönen über das Dorf hinschallt, da war der Pastor sonder Verlegenheit erschienen und hatte im Verein mit dem Schulzen den Dank der Gemeinde dargebracht. Aber er hatte dabei vor Anton gestanden wie ein ganz Fremder und hatte ihn angeredet mit „Sie“ und „hochgeehrter Herr!“ – Es war ein sonderbarer, schmerzlicher Augenblick für Mohrmann gewesen, aber natürlich – wie hätte der Mann auch sonst sprechen sollen?

Wie gesagt, Anton hat es längst eingesehen, daß er trotz der vielen Menschen, die ihn umgeben, ein einsamer, sehr einsamer Mann geworden ist. Er sprach doch so gern mal abends über dies und jenes aus seinem Beruf, über seine Wirtschaft, und anfangs hatte er das auch zuweilen gethan, aber Edith gähnte dabei oder bespöttelte diese prosaischen Mitteilungen, allerliebst zwar, ja, er hatte lachen müssen darüber, ein Verständnis aber fand er nicht, auch nicht mehr bei Tante Tonette, die sich doch sonst so entgegenkommend in dieser Beziehung gezeigt hatte.

Jetzt ist überhaupt keine Gelegenheit mehr zu dergleichen vertraulichem Geschwätz. Ediths Wohn- und Schlafräume sind oben geblieben seit der Geburt des Jungen, gerade über den seinen, da, wo früher Tante Tonette wohnte; drei reizende Zimmer, die mit den seinen durch ein zierliches, vergoldetes Wendeltreppchen verbunden sind. Wie sollte er auch zwischen diesen seidnen Polstermöbeln und spitzengeschmückten Wänden reden von Kornpreisen und Saatkorn, von den neuesten Maschinen und den Plänen für die zu erbauende Brauerei? Hierher paßten eben nur zärtliche Tändeleien, süße Schmeichelworte und Ediths anmutiges Schmollen und – seine thörichten Bitten, wieder gut zu sein.

Seine Sorgen behielt er da unten allein für sich, und ihren Schlaf störten auf diese Weise weder sein halblautes Rechnen noch die tiefen Seufzer, mit denen er das ärgerliche Resultat dieser Berechnungen beklagte. – – Na ja, es ist so, sie hat kein Talent zum „guten Kameraden“, sie ist lediglich die schöne, Bewunderung heischende Frau, die ihn immer und immer wieder entzückt!

Ein helles Stimmchen ruft jetzt draußen, und kleine weiche Fäustchen hämmern gegen die Thür: „Aufmachen, Papa! Lothar ist da!“

Er springt empor wie elektrisiert und ist mit zwei Schritten an der Thür, die er aufreißt. Da steht ein Knirps von zwei und einem halben Jahr im weißen gestickten Kleidchen; der große Strohhut ist ihm zurückgerutscht und hängt auf dem Rücken, die blaue Schärpe schleift, halb gelöst, auf dem Boden, das bräunliche Gesichtchen blickt zu ihm auf mit den Augen der Mutter, diesen wunderschönen Augen, und krause dunkle seidenweiche Härchen kleben, feucht von der Anstrengung des Spieles, auf der Stirn.

„Papa, Lothar müde is,“ sagt er und hebt die Aermchen, „Lothar bei Papa bleiben will.“

Mit einer geradezu stürmischen Zärtlichkeit nimmt er den zierlichen Jungen auf den Arm und küßt ihn wieder und wieder. „Mein Herzblatt! Mein Goldjunge, du kommst, ja du kommst zu Papa? Müde bist du? Wo ist denn Frau Klauß, wo ist Sophie und wo Mama?“ fragt er. „Ist keiner da, der dich in die Baba legt?“

„Mama böse mit Lothar und mit Tante Ma,“ sagt der Kleine gähnend und sein Köpfchen sinkt an die Schulter des Vaters, der ihn nun hinaufträgt in die Kinderstube, wo soeben die Zwillinge gebadet werden, umgeben von sämtlichen Ammen und Wärterinnen.

„Ei Gottchen! Ei Gottchen!“ schreit die alte Kindermuhme, „das Lotharchen war doch noch äm hier? Nee, der is ja weeßderhole alleen die Treppen nunter gemacht, Herr Mohrmann! Das derfste nich wieder duhn, hörste? Da kannste dir ja den Hals abstürzen.“

Der Kleine aber ist schon auf dem Wege nach oben in den Armen seines Vaters eingeschlafen, und die ehrenwerte Frau Klauß sagt mit einem Blick auf Antons besorgte Miene: „Das kommt Sie von der Luft, da wärn se müde, die Wärmer, nee, krank is er nich, Herr Mohrmann.“ Und Anton, der eben den Schall des Gong hört, der zum Abendessen ruft, geht nach einem letzten Kuß auf die Stirn des Kleinen hinunter, lächelnd über das Glück, das er dort oben zurückläßt.




Im Speisezimmer auf Schloß Wartau brennen die Lampen über dem Eßtisch noch nicht, doch ist die Tafel bereits gedeckt. Auf der Veranda draußen wird gesprochen, und zwar ist es die weiche Stimme der kleinen Frau Ma, die eben sagt: „Und kurz und gut, Di, ich kündige dir meine Freundschaft, wenn du diese Angelegenheit nicht rückgängig machst. Ich finde es empörend, einem ahnungslosen Menschen dies zuzumuten – verstehst du?“

„Ah, vollkommen! Aber was geht’s dich an?“

„Ich bin deine Freundin, und als solche habe ich Pflichten.“

„Ich entbinde dich feierlich dieser Pflichten, Ma!“

„Gut, dann reise ich morgen.“

In diesem Augenblick tritt Anton rasch in die Thüre und sieht in der Dämmerung des Sommerabends Emma von Lattwitz emporspringen, irgend etwas zusammenraffen und sich dann wie zur Flucht der Treppe zuwenden. Edith wiegt sich im Schaukelstuhl und lacht. Als die Erzürnte den Hausherrn erblickt, setzt sie sich mit einer wunderlichen Beflissenheit wieder und stimmt in Ediths Lachen ein, aber trocken und gezwungen. „Sie sehen uns sehr lustig hier, Herr Mohrmann,“ sagt sie und lacht wieder, „sehr lustig.“

„Desto besser, gnädige Frau – ich hätte eben noch darauf geschworen, daß Sie und Edith sich zankten.“

„O bewahre!“ rufen beide wie aus einem Munde.

Er ist so harmlos, daß er das Geplänkel und die Drohung, abzureisen, für Scherz nimmt, und sofort beginnt er zu erzählen, was ihm das Herz füllt. „Der Lothar ist die Treppe allein hinuntergekrabbelt – denken Sie sich, gnädige Frau! Irgendwie muß er der Wärterin entwischt sein; er hätte wirklich Unglück haben können.“

Edith lacht: „Ach was, er ist ein Junge!“

Frau Ma findet es schrecklich.

„An deiner Stelle würde ich der Wärterin aber doch einen gelinden Vorwurf machen, Edith,“ sagt er.

„O, bitte, das ist doch deine Sache, mein Bester!“

„Die Kindermuhmen gehören in dein Ressort, Edith.“

„Ach, laß mich doch damit zufrieden, Schatz, die Alte ist ganz vernünftig.“

„Schön, dann werde ich es besorgen.“

Im Saale flammen die Lampen auf; der Diener meldet, daß serviert sei, und man begiebt sich zu Tische. Nach dem Abendessen bringt der Silberdiener die mit Adressen versehenen Einladungskarten. Man sieht sie noch einmal durch, auch Ma betrachtet jede einzelne. Plötzlich legt sie auf eine ihre Hand und blickt bittend zu Edith hinüber. Diese wird rot, schüttelt zornig den Kopf und Ma schiebt die Karte wieder an ihren Platz.

Anton verfolgt diesen Vorgang, und als endlich sämtliche Einladungsbriefe wieder übereinander liegen, greift er hinein und zieht die bewußte Karte hervor, die an einer ein wenig umgeknickten Ecke kenntlich ist; Frau Mas hastiger Griff hatte das verursacht.

 „Sr. Hochwohlgeboren
Herrn Premierlieutenant E. von Waldenberg
 z. Z. Berlin W.
 Köthener Straße.“

liest er. War das nicht die Adresse, über die Frau von Lattwitz heute schon einmal in Verlegenheit geriet? Vielleicht ein alter Courmacher von ihr, den zu treffen ihr peinlich ist? Was geht’s ihn an!

Im Begriff, den Brief wieder zwischen die anderen zu schieben, sieht er Ediths Augen auf sich gerichtet, forschend, angstvoll, aus völlig erblaßtem Gesicht. Einen einzigen Augenblick ertappt er sie so, dann ist das Rot wieder auf ihren Wangen und sie spricht etwas Gleichgültiges mit Tante Tonette.

Anton ist nachdenklich geworden; er erhebt sich und geht, eine Cigarre rauchend, draußen auf und ab. Die Thüren sind weit geöffnet und nach ein paar Sekunden hört er Ediths Klavierspiel.

Ja, was ist denn das eigentlich mit diesem Waldenberg? Er nimmt sich vor, sie heute abend noch zu fragen, aber sie verabschiedet sich sehr eilig und kurz von ihm, sie habe noch immer heftiges Kopfweh, und er bleibt allein mit seinem Zweifel. Schließlich beruhigt er sich, als er über alles nachdenkt. Edith hat ihn ja gefragt, ob sie, da die junge Herrenwelt den vielen Damen gegenüber gar so schwach vertreten sei, ein paar alte Bekannte von Ma und sich einladen dürfe. Er wisse nicht genau, ob das geht, hatte er geantwortet. „Ich würde dir den Vorschlag nicht machen, wenn’s nicht ginge,“ war ihre Antwort gewesen –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0279.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)