Seite:Die Gartenlaube (1898) 0282.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

also schön, ihm war’s recht. Und dann ward unter andern auch Edi Waldenberg mit aufgeschrieben. – –

Ach, wer ihm gesagt hätte früher, daß ein Weib solche Qualen verursachen kann! Christel, gute brave Christel! Nein, sie hat ihm keine Unruhe gemacht. Die stets gleiche, wohlthuende Ruhe ihres schlichten einfachen Herzens ließ ihn nichts dergleichen auch nur ahnen. Und er konnte alles mit ihr bereden, er konnte auch mal rechtschaffen fluchen in ihrer Gegenwart, wenn ihm der Zorn und Aerger über eine verdrehte Sache aus der Seele schlug in hellen Flammen. Sie ging mit ganzem Herzen auf alles ein, was ihn drückte, ihn ärgerte oder interessierte: es war ganz gleich, ob es Rasenkultur oder künstliche Düngemittel betraf, seine Leute oder Gemeindeangelegenheiten.

O Friede, Friede, wo bist du geblieben?

Jetzt sagt niemand mehr mild und zuredend: „Anto, ärgere dich doch nicht, so schlimm ist das wirklich nicht, sieh mal – so und so –“

Der sanfte Zuspruch hatte ihn damals freilich nicht immer besänftigt. Ja, manchmal war er nach solchen Worten erst recht wütend geworden, verblendet wie er war. Und jetzt, jetzt könnte er weinen wie ein Schulbube, vor Sehnsucht nach solch einem guten Wort – –

Vorüber, vorbei auf Nimmerwiederkehr – er hat gar nicht das Recht, daran zu denken!




Nun ist’s einen Tag vor der Taufe.

Anton und Edith sind mit einem Rosenstrauß und im offenen Landauer gegen Abend nach der Station gefahren; der kleine Lothar kniet auf dem Rücksitz. Tante Josepha soll abgeholt werden. Sie kommt nach langem Grollen zum erstenmal wieder; seit Ediths Verlobung zürnt sie. Nun aber hat die junge Frau ihr so viel bezaubernde Briefe geschrieben und Tonette von Wartau ihr so viel von dem seltenen Glück des Paares vorgeschwärmt, vor allem von den süßen Kindern, daß ihr altes Herz wankend geworden ist. Und die Taufe, die Patenstelle – sie kann doch nicht zum zweitenmal ablehnen. Aber vergessen wird sie nie und nimmer! Ihre vornehme tadellose Gesinnung kann es nicht fassen, daß Schwester und Nichte die brave Frau eines Mannes fortintriguierten, um deren Stelle zu erobern. Das ist noch ihr gelindester Ausdruck dafür. Und was Anton anlangt, so ist er in ihren Augen ein Streber, der, um in höhere Lebenssphären zu gelangen, alles niedertritt, und wäre es das Heiligste und Zweifelloseste auf der Welt, die Ehe.

Sie hatte gerast und getobt über die Entartung ihres vornehmen Blutes, hatte schließlich geweint; leichtsinnig waren sie ja alle die Wartaus, das ist ein altes Lied, aber schlecht, so schlecht, um einen Mann zu bethören, daß er die ihm angetraute Frau verstößt, nein, so etwas war noch niemals geschehen! Was war dagegen das bißchen Raubrittertum im frühen Mittelalter? Ein unschuldiges Kinderspiel.

Trotz alledem, sie kommt, ihr altes Herz will endlich Frieden.

Auf dem Perron steht eine schlanke junge Frau im weißen Kleide, ein Capothütchen aus schwarzer Gaze auf dem schönen Köpfchen, in der einen Hand den Rosenstrauß, an ihrer Rechten ein Kind ebenfalls im weißen Kleide, das zappelnd und rot vor Freude ein kleines Taschentuch schwenkt, und vor Josephas Coupé wartet ein stattlicher blonder Mann, der ihr respektvoll die Hand küßt.

Ja, das sieht alles sehr tadellos aus. Edith sprudelt über vor Liebenswürdigkeit, und der Junge starrt die Großtante mit dem weißen Scheitel an und preßt krampfhaft ein lederüberzogenes Pferdchen an sich, das ihm diese geschenkt. Und die Luft ist so weich und die Rosen duften, und dort weit unten hinter Altwitz geht die Sonne unter.

„Wie du dich freuen wirst über Wartau, Tante,“ sagt Edith.

„Und über die Kinder,“ setzt Anton hinzu.

In Josephas Gesicht zuckt die Rührung, die alte Heimat greift doch mächtig an ihr Herz. Sie möchte am liebsten weinen, und dann wundert sie sich, daß das Paar immer aneinander vorüber spricht, daß es vermeidet, sich anzusehen, und als sie Anton näher ins Auge faßt, erblickt sie müde Züge und eine sorgenvolle Miene. Wollen sehen, wollen sehen, ob alles Gold ist, was glänzt, nimmt sich Fräulein Josepha vor, die eben bemerkt, daß Edith mit einer ungeduldigen Gebärde ihr Kleid wegzieht, auf dem wahrscheinlich sein Fuß gestanden.

„Pardon!“ murmelt er.

Edith redet weiter, unnatürlich lebhaft, von den Gästen, die morgen erwartet werden, und daß niemand abgesagt habe, nur von einem oder dem andern sei es noch ungewiß, ob –

„Eine Absage ist vorhin noch gekommen,“ schaltet Anton ganz ruhig ein, „weißt du schon, Edith?“

„Von wem?“

„Von Lieutenant von Waldenberg.“

Sie kann es nicht hindern, daß sie erbleicht, alles Blut ist ihr zum Herzen geströmt. Und sie hat so gewartet auf Antwort, die Stunden hat sie gezählt, jedem Postboten hat sie aufgelauert – keine Nachricht! Sie hat sich vorgeredet, daß Edi verreist sei, daß er sie vielleicht überraschen wolle, daß sein Brief verloren gegangen sei – sie hat sich in Zweifeln und Hoffnungen aufgerieben, und dieser phlegmatische Mensch ihr gegenüber hat längst die Nachricht, daß Edi nicht kommt, und hält es erst jetzt der Mühe wert, ihr das mitzuteilen.

„Warum erfahre ich denn das nicht früher?“ fragt sie mit vor Erregung bebender Stimme.

„Ich bitte, verzeih,“ sagt er, „ich hatte es ganz vergessen.“

Sie zittert ordentlich vor Enttäuschung und Zorn. „Und wann kam diese Absage, wenn ich fragen darf?“

„Ich fand sie heute mittag auf meinem Schreibtisch unter andern Postsachen.“

„Was schreibt er?“

„Ein paar höfliche Worte; es sei ihm unmöglich, der liebenswürdigen Einladung zu folgen.“

„Und weiter nichts? Keine Gründe?“ ruft sie und eine jähe Röte steigt ihr verräterisch in das Gesicht.

„Nichts von allem.“

Edith setzt sich stumm in die Wagenecke zurück. Die alte Stiftsdame aber blickt mit einem wunderlichen Gesichtsausdruck in die Landschaft hinein, halb erschreckt, halb befriedigt, daß das vielgepriesene Glück in der Nähe besehen doch am Ende ein wenig fadenscheinig sein könne, genau so, wie sie es ja vorher gedacht hatte. Und dann sagt sie laut: „Sein Grund heißt soviel als – ‚Ich will nicht!‘, liebes Kind. Wie kommst du übrigens zu dem Waldenberg? Verkehrt er neuerdings bei euch? Kennen Sie ihn denn, Herr Mohrmann?“

„Ich habe nicht den Vorzug,“ erklärt Anton mit harter Stimme, und ein ungemütlicher Zug liegt auf seinem Gesicht.

„Aber ich desto besser,“ ruft Edith, „er ist ein Jugendfreund von Ma und mir, und wir hätten uns gefreut, ihn bei dem Feste zu sehen.“

Josepha von Wartaus Gesicht nimmt einen hochmütigen Ausdruck an, und dann sagt sie: „Bei uns und zu meiner Zeit wurden Herren nicht invitiert, die der Hausherr nicht kannte. Du hast dir eine kleine Taktlosigkeit zu schulden kommen lassen, liebe Edith, und Herr von Waldenberg quittiert darüber mit seiner Absage.“ Und innerlich setzt sie hinzu: Das kommt davon; wenn der Hausherr nicht an das Parkett gewöhnt ist, dann passieren solche Dinge. Er hätte die Einladung eben nicht absenden dürfen, aber ‚so was‘ hat ja keine Ahnung von geselligen Formen!

„Wir leben nicht mehr in deiner Zeit, liebe Tante,“ antwortet Edith, sich mühsam zu einem höflichen Ton zwingend. „Man denkt heute auch ein wenig freier über Umgangsformen, und wenn mein Mann einverstanden ist, so – aber du darfst nicht böse sein – so kann von Taktlosigkeit meinerseits wohl kaum die Rede sein, auch denke ich, hat ein dritter überhaupt nicht das Recht – –. Ah, da sind wir ja, liebe Tante; bitte, gestatte, daß ich erst Lothar hinausreiche.“

Der Wagen hält, das Kind wird hinausgehoben, dann folgt Fräulein Josepha, und unter lautem Aufschluchzen liegen sich die beiden alten Schwestern in den Armen und küssen sich wieder und wieder. Edith streift Josepha von Wartau mit einem bösen Blick, nimmt dann Lothar an die Hand und steigt mit ihm die Treppe hinauf, ohne ihren Mann noch einmal anzusehen. In der Kinderstube giebt sie den Kleinen ab, pocht dann an Mas Thür und findet die Freundin im verdunkelten Zimmer, über heftige Kopfschmerzen klagend.

„Ach, Di, ich sterbe bald, laß mich allein!“ ist ihre Bitte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0282.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)